Wirtschaft:"Ohne Arbeitskräfte aus Osteuropa schaut es mau aus"

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Stefan Kastner hat viele internationale Mitarbeiter in seinem Waldgasthof. Sie kommen unter anderem aus der Ukraine, Bulgarien und Iran. (Foto: Catherina Hess)

Unternehmer wie Gewerkschafter aus dem Landkreis begrüßen das geplante Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung. IHK-Regionalsprecher Leicher hätte sich eine ähnliche Regelung schon vor sieben Jahren gewünscht.

Von Bernhard Lohr und Sabine Wejsada, Landkreis München

Egal, wo man hinschaut: Es fehlt an Personal. Wer derzeit noch einen Termin zum Aufziehen der Winterreifen braucht, muss sich wochenlang gedulden. Wer abends zum Essen gehen möchte, sollte zuvor am besten nachfragen, ob das Lokal der Wahl überhaupt geöffnet ist. Und wer wegen eines medizinischen Notfalls ins Krankenhaus muss, kann von Glück reden, wenn er irgendwo in der Nähe ein Bett bekommt. Hier könnten die Pläne der Bundesregierung für ein neues Einwanderungsgesetz Abhilfe schaffen. Darauf hoffen jedenfalls Unternehmen, Standesvertretungen und der DGB im Kreis München. Wenn Fachkräfte aus dem Ausland künftig leichter nach Deutschland kommen könnten, dann sei das ein Segen, heißt es übereinstimmend - obschon kaum einer annimmt, dass die Folgen bald spürbar sein werden

Wer bereits deutsch spricht oder in Branchen arbeitet, in denen erheblicher Mangel herrscht, soll nach dem Willen der Bundesregierung auch ohne Jobnachweise wie Arbeitsvertrag oder Ausbildungszeugnis einreisen dürfen, wie es in dem Eckpunktepapier für das neue Fachkräftezuwanderungsgesetz heißt, auf das sich das Kabinett geeinigt hat - und das im Landkreis auf große Zustimmung stößt. Denn auch hier gibt es in so gut wie jedem Bereich unbesetzte Stellen. Und es sind keineswegs nur die gut ausgebildeten Fachkräfte, die fehlen. Auch für einfache Jobs oder Hilfsdienste in der Gastronomie oder im Handwerk gibt es kaum noch jemanden, der anpacken will - oder darf, weil die bürokratischen Hürden wie im Falle von Flüchtlingen viel zu hoch sind: Aufenthaltsstatus, Asylrechtsverfahren, Anerkennung von Abschlüssen im Heimatland und Sprachbarrieren erschweren den Betroffenen den Einstieg in einen Job und den Unternehmen die Schließung der löchrigen Personaldecke.

Christoph Leicher hätte sich schon vor Jahren einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt gewünscht. (Foto: Claus Schunk)

Christoph Leicher, Sprecher des Regionalausschusses der Industrie- und Handelskammer (IHK) im Landkreis München, zeigt sich erleichtert: "Endlich passiert etwas", sagt er am Telefon, klagt aber zugleich, dass es eine solche Erleichterung für den Zuzug von Arbeitskräften bereits 2015 gebraucht hätte, als die zahlreichen Flüchtlinge nach Deutschland und damit auch in den Landkreis kamen. "Seit damals jammern doch alle, dass der Nachwuchs fehlt", sagt Leicher und kritisiert, dass die Chance nicht genutzt worden sei, die Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Dass sich mit der neuen Regierung in Berlin und nicht zuletzt durch die Ankunft von vielen Menschen, die wegen des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine geflohen sind, das Blatt wendet, beurteilt der Kirchheimer Unternehmer als positiv. "Aber dafür hätte es doch keinen Krieg gebraucht", bedauert Leicher.

"Lasst die Unternehmer entscheiden, wen sie einstellen"

Allerdings sei es mit dem neuen Gesetz allein nicht getan: "Es braucht eine andere Willkommenskultur", sagt Leicher. Nötig seien "regionale Wellcome-Center", also Anlaufstellen, die für Unternehmen und Arbeitskräfte offen sind und sie zusammenbringen. Er appelliert nach eigenen Worten an Landrat Christoph Göbel (CSU), dass dieser sich an die Spitze stellt, um den Firmen und Betrieben beim Finden von Arbeitskräften hilft. Auch die Rathäuser in den Kommunen seien gefragt. Je unbürokratischer, desto besser. Und: "Lasst die Unternehmer entscheiden, wen sie einstellen", fordert Leicher, ohne lästige und langwierige Verwaltungsverfahren.

Stefan Kastner, den Wirt des Waldgasthofes Buchenhain, jedenfalls haben nach eigenen Worten die Ukrainer gerettet, die vor dem Krieg in ihrem Land geflüchtet sind. Sie arbeiten an der Rezeption, in der Küche, im Service und im Hotel. Wie Leicher hofft Kastner für die Menschen aus der Ukraine, "dass der Krieg bald zu Ende geht". Dennoch sorge er sich schon, wer dann die Arbeit machen werde. Es sei notwendig, den Zugang in den Arbeitsmarkt insgesamt zu erleichtern. "Ohne Arbeitskräfte aus Osteuropa schaut es mau aus." Bei manchen Ländern, wie etwa Serbien, gebe es unnötige Hürden. Kastner ist grundsätzlich für höhere Löhne im Gastgewerbe, aber das würde auch die Preise treiben. Zugleich sieht er das Bürgergeld kritisch, weil der Anreiz schwinden könnte, eine Arbeit anzunehmen. Sollte alles noch schwieriger werden, sagt er vermehrte Ruhetage oder eingeschränkte Öffnungszeiten voraus. Ideen gebe es da schon noch viele.

Es ist gerade die Gastronomie, die besonders personalintensiv ist - und wegen des "Mensch-zu-Mensch-Bereichs" besonders unter dem Mangel an Mitarbeitern leidet, wie Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, sagt. Man unterstütze das Ziel, "die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt" zu erleichtern. Dabei gehe es allerdings nicht nur um Fachkräfte, sondern um Arbeitskräfte allgemein. "Praktiker sind gesucht, nicht nur der berühmte Ingenieur", sagt Geppert und plädiert für eine "kluge, unbürokratische und pragmatische Zuwanderung".

Derweil setzen die Handwerksbetriebe eben auf jene, die mit ihren Fachkenntnissen ein Gewinn für Firmen und Betriebe sind, weil sie in ihrer Heimat bereits in diesen Berufen gearbeitet haben. Nach Auffassung der Handwerkskammer für München und Oberbayern muss der Fokus beim neuen Zuwanderungskonzept in jedem Fall "mittelstandsorientiert und bürokratiearm" sein. Denn es seien vor allem kleine und mittlere Unternehmen, denen geholfen werden muss, ausländische Fachkräfte einstellen zu können. "Diese tun sich erfahrungsgemäß schwer mit der Komplexität rund um die Zuwanderung. Die neuen Regelungen dürfen dies nicht noch weiter verstärken." Deshalb müsse das gesamte Verfahren entbürokratisiert beschleunigt werden, etwa indem die Visumsvergabe schneller erfolgen kann.

Für Simone Burger ist eine erleichterte Einbürgerung ein "positives Signal an Millionen Menschen". (Foto: Stephan Rumpf)

Der DGB unterstützt laut Kreissprecherin Simone Burger die Pläne des Bundesinnenministeriums. "Eine erleichterte Einbürgerung ist ein positives Signal an Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland, aber auch an Fachkräfte aus dem Ausland. Die Botschaft ist: Wir brauchen nicht einfach nur eure Arbeitskraft, sondern wir wollen auch eure politische Teilhabe." Es seien aber viele weitere Maßnahmen nötig, so die Gewerkschafterin Burger: gute Arbeitsbedingungen, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, Frauenberufe, die besser bezahlt werden, die Chance auf einen Ausbildungsplatz für jeden Jugendlichen - und echte Bleibeperspektiven für Beschäftigte und ihre Familien. Nur so könnten alle profitieren.

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