Wirecard:Im Auge des Orkans

Wirecard: Reif für die Insel: Pressefotografen und Kamerateams warten vor der Konzernzentrale in Aschheim auf Bilder von der Durchsuchung.

Reif für die Insel: Pressefotografen und Kamerateams warten vor der Konzernzentrale in Aschheim auf Bilder von der Durchsuchung.

(Foto: Claus Schunk)

Journalisten auf der Straße, Ermittler in den Firmenbüros: Durch den Wirecard-Skandal ist Aschheim in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. In der Gemeinde geht man mit der plötzlichen Berühmtheit gelassen um.

Von Christina Hertel und Anna-Maria Salmen, Aschheim

Plötzlich ist Aschheim berühmt. Das ZDF ist gekommen, der Bayerische Rundfunk, RTL, Sat 1, Kameramänner, Journalisten und Fotografen aus ganz Deutschland. Sie alle wollen an diesem Mittwoch sehen, wie Staatsanwälte die Büros von Wirecard in Aschheim durchsuchen. Schon am Abend zuvor saßen ein Redakteur und ein Fotograf der Bild-Zeitung im Gemeinderat, um den Bürgermeister des Ortes zu sprechen, in dem zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Dax-Konzern pleite ging, wo Manager Aktienkurse manipuliert und Bilanzen gefälscht haben sollen. Der Spiegel schreibt vom "Kaff Aschheim", die FAZ über das "Desaster von Aschheim". Auch die Überschriften "Armageddon in Aschheim" und die "Apokalypse aus Aschheim" konnte man lesen.

Wie ist es, auf einmal ein ungeliebter Star zu sein?

"Früher nannten die Medien Wirecard immer den aufstrebenden Dax-Konzern aus München", sagt Aschheims Bürgermeister Thomas Glashauser (CSU). Jetzt sei das Unternehmen pleite und der Name Aschheim plötzlich Teil der Schlagzeile. Warum? Vielleicht weil Aschheim für Redakteure aus Berlin und Hamburg klingt, als hätte sich der Konzern zwischen ein paar Bauern und ihren Kühen niedergelassen. Vielleicht weil das die ganze Sache noch mysteriöser macht.

Tatsächlich aber könnten die Wirecard-Mitarbeiter aus ihrem Bürofenstern wohl nach München hinüberspucken - so nah liegt die Zentrale an der Stadtgrenze, in einer Straße, in der nicht das erste berühmte Unternehmen Insolvenz anmeldet. Ein paar Häuser weiter ging das Luxuslabel Escada pleite, es galt in den Neunzigerjahren als das größte Damenmode-Unternehmen der Welt. Claudia Schiffer und Cindy Crawford ließen sich in Kleidern der Marke ablichten. Dass sie dabei betont hätten, dass sie Mode aus Aschheim tragen, ist schwer vorstellbar.

Niedriger Hebesatz zieht Firmen an

Was Unternehmen nach Aschheim zieht, obwohl dem Ort der Glamour fehlt, fasst Philipp Ullrich, der Vorsitzende des Vereins, der das Gewerbegebiet vermarktet, so zusammen: Die Unternehmen haben hier die 089, die Münchner Telefonvorwahl, und gleichzeitig die 310, den Aschheimer Gewerbesteuersatz. In München liegt dieser 180 Prozentpunkte höher. In den vergangenen zehn Jahren, sagt Ullrich, sei der Landkreis München wegen der niedrigeren Hebesätze ein "Überlaufbecken" für all jene Unternehmen geworden, denen die Münchner Steuer- und Mietpreise zu teuer oder der Platz zu eng wurde.

Davon profitierten auch Aschheim und sein Gewerbegebiet im Ortsteil Dornach: Vor sechs Jahren stand laut Bürgermeister Glashauser in dem Gewerbegebiet noch ein Drittel der Immobilien leer. Heute würden gerade mal noch elf Prozent der Flächen nicht genutzt.

Wirecard allerdings residierte noch nie in einem schicken Bürokomplex in der Münchner Innenstadt. Bevor das Unternehmen vor gut zehn Jahren nach Aschheim zog, hatte es seinen Standort in Grasbrunn, also auch im Osten des Landkreises. Damals verdiente es sein Geld vor allem als Bezahldienst für Onlinekasinos und Pornoseiten. 2018 verdrängte der Konzern, der sein Schmuddelimage zwar immer noch nicht ganz abgeschüttelt, sich aber zu einem international tätigen Onlinedienst entwickelt hatte, schließlich die Commerzbank aus dem Aktienindex.

Wirecard: Wer am Mittwoch aufs Betriebsgelände wollte, wurde vom Sicherheitsdienst genau kontrolliert.

Wer am Mittwoch aufs Betriebsgelände wollte, wurde vom Sicherheitsdienst genau kontrolliert.

(Foto: Claus Schunk)

Zwar darf der Aschheimer Bürgermeister aufgrund des Steuergeheimnisses nicht verraten, wie viel Wirecard an Gewerbesteuer in der Vergangenheit an die Gemeinde gezahlt hat, doch in der Kasse der Kommune machten sich die Geschäfte offensichtlich bemerkbar: Von 2017 auf 2019 verdoppelten sich die Einnahmen Aschheims praktisch - von 21,6 auf 39,7 Millionen Euro. Die Nachbargemeinde Kirchheim, wo fast 3000 Menschen weniger leben, kam 2019 bloß auf 13,5 Millionen Euro - und das galt dort bereits als neuer Höchstwert im Vergleich zu den Vorjahren.

Sondersitzung zur Zukunftsplanung

Wenig überraschend also, dass sich die Aschheimer Gemeinderäte und der Bürgermeister Gedanken machen, wie es nach dem Insolvenzantrag des Unternehmens weitergeht. Für Dienstagabend hatte Glashauser eine Sondersitzung angesetzt, um zu besprechen, welche Folgen sich für Aschheim ergeben. Er rechnet nach eigenen Worten zwar nicht damit, dass sich die Gemeinde geplante Bauvorhaben wie neue Schulen nicht mehr leisten können wird, wie er am nächsten Morgen noch einmal am Telefon wiederholt. Sehr viel konkreter wurde er aber auch in der Sitzung nicht - was besonders die Freien Wähler ärgerte: "Man wird ohne Antwort stehen gelassen. Die Veranstaltung hätten wir uns sparen können", kritisierte deren Fraktionsvorsitzender Eugen Stubenvoll.

Eine Erkenntnis gab es allerdings doch: Das Immobilienunternehmen Rock Capital, das für Wirecard gerade ein leer stehendes Bürogebäude renoviert, hat seinen Bauantrag für ein neues Parkhaus zurückgezogen. Die Gemeinde hatte dem Vorhaben allerdings bereits vor Monaten eine Genehmigung erteilt, auch Boden wurde bereits abgetragen. Verbieten kann Aschheim das Parkhaus also nicht mehr, sonst drohen der Gemeinde Schadenersatzklagen. Wann allerdings dort, wo heute meterhohe Haufen Erde liegen, 463 Autos parken sollen und für wen die Fahrer arbeiten, ist neuerdings unklar.

Dass durch den Wirecard-Skandal das Image Aschheims leiden könnte, wenn an dem Namen Schlagworte wie Apokalypse kleben, glaubt Ullrich, der Vorsitzende des Marketingvereins, nicht. Die Schlagzeilen von heute seien morgen alt. "Corona ist ein größeres Problem", sagt er. Womöglich könnten Firmen nun, weil sie merkten, wie gut Home-Office funktioniert und weil die Krise sie zum Sparen zwingt, weniger Büros mieten.

Der Name Aschheim ist ohnehin nicht Teil von Ullrichs Marketingkonzept. Als Ullrich vor gut vier Jahren Hochglanzprospekte druckte und eine neue Homepage entwarf, um das Gewerbegebiet bekannter zu machen, erfand er auch einen neuen Namen, der heute in keiner Überschrift steht: "Expo-Gate Munich-Dornach" taufte es der Verein damals.

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