Kreis und quer:Stunde der Luftikusse

Wintervögel korrekt zu zählen, wäre einfacher, wenn die Luftbewohner nicht ständig rumfliegen würden - oder wenigstens Namensschilder trügen.

Glosse von Michael Morosow, Landkreis

Die letzten Inventuren zum Jahreswechsel sind erledigt, alle Regale und Lagerbestände ordentlich aufgelistet. Denn alles was zählt, sind Zahlen. In diesem Sinne geht es im gerade begonnenen Jahr 2022 weiter. Der Zensus 2022 steht vor der Tür, im Mai wird die Volkszählung über die Bühne gehen. Eigentlich eine einfache Übung, denn anders als bei der ersten Volkszählung auf Erden zu Zeiten des römischen Kaisers Augustus muss heute dazu nicht an jede Tür geklopft werden. Die Frage, ob der Landkreis München die 350 000-Marke reißen wird, unter der er (Stand: Dezember 2020) ganz knapp geblieben war, ist das Spannendste dabei.

Bereits mitten im Gange ist allerdings eine weitere Volkszählung, auf deren Ergebnis mit wesentlich mehr Interesse gewartet wird. Seit dem Heiligdreikönigstag und noch bis zum Sonntag läuft die bundesweite Aktion "Stunde der Wintervögel", und alle Freundinnen und Freunde von Amsel, Drossel, Fink und Star sind dazu aufgefordert, eine Stunde lang die Piepmatze am Futterhäuschen, im Garten, auf dem Balkon oder im Park zu zählen und zu melden.

Das Blöde daran ist die ständige Rumfliegerei der Luftbewohner. Anstatt übersichtlich in Reih und Glied auf einer Stromleitung zu sitzen, schwirren sie ohne erkennbare Ordnung nach Lust und Laune am heimischen Balkon vorbei. Und weil keiner ein Namensschild trägt, weiß der Zensor am Ende nicht mehr, ob er zwölf Amseln gezählt hat, oder eine Amsel zum zwölften Male. Leichter fällt ihm dagegen das Zählen von Kiebitzen und Turteltauben. Das Ergebnis nach einer Stunde: Null. Muss einen nicht wundern, seit 1980 ist die Population dieser beiden Luftikusse jeweils um mehr als 90 Prozent gesunken. Erfreulich dagegen die Zahl der Spatzen, die in Mannschaftsstärke vorbei segelten: 25 waren es nach 60 Minuten.

Hört sich nach viel an, aber vor wenigen Wochen hätte man gut und gern doppelt so viele Striche machen können, denn damals stand die Hecke noch, die jetzt der Bauabsicht des Nachbarn zum Opfer fiel. Keine Hecke, kein zuverlässiger Schutz vor Beutegreifern - seit diesem Tag hat sich die Vogelpopulation im Garten mindestens geviertelt. Waren es zuvor ganze Schwärme von Singvögeln und anderen gefiederten Zeitgenossen, die über das Futterhäuschen herfielen, holen sich heute nur noch vereinzelt Vögel Körner to fly. Es ist schon erstaunlich, welche unmittelbaren Folgen das Eingreifen des Menschen in die Lebensräume anderer Erdbewohner zeitigt. In jedem Fall ist es ein eher mageres Ergebnis der Zählaktion, das man melden wird. Und wahrscheinlich wird auch das Bundesergebnis aufzeigen, dass sich die Reihen der Vögel abermals gelichtet haben.

Umso dringender ist es, dass die Initiative "Blühender Landkreis" bei Gartenbesitzern, Landwirten und Gärtnern verfängt. Die Vögel würden zum Dank täglich ein Ständchen singen.

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