Widerstand gegen Wohnungsbau:Warum ist an der S 7 noch so viel Platz?

Widerstand gegen Wohnungsbau: Der Kirchturm von St. Nikolaus in Peiss vor dem Zugspitzmassiv.

Der Kirchturm von St. Nikolaus in Peiss vor dem Zugspitzmassiv.

(Foto: Claus Schunk)
  • In den Gemeinden an der S 7 sind noch viele Flächen in Bahnhofsnähe frei.
  • Der Zuzug in die Region um München ist ungebrochen, in den nächsten 18 Jahren sollen 400 000 Menschen hinzukommen.
  • Trotzdem weigern sich die Gemeinden, die Flächen zu bebauen.

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Wer mit der S-Bahn durch den Landkreis fährt, kann sich schon mal wundern. Zum Beispiel, wenn er in der S 7 sitzt und die Bahn in Dürrnhaar hält. Im Osten sieht man ein paar Häuser, im Westen bloß ein großes Feld. Dann der S-Bahnhof Aying: Wieder im Osten Felder, dahinter Wald. S-Bahnhof Peiß - der gleiche Anblick. Ebenso wie Hohenbrunn, Sauerlach und Furth. Warum werden solche günstig gelegenen Flächen nicht bebaut? In einer Region, wo der Wohnraum knapp und die Mieten teuer sind? Warum lassen Gemeinden ausgerechnet an der S-Bahn Flächen brachliegen?

Die Wohnungsmarktsituation wird sich in den nächsten Jahren dramatisch zuspitzen, wenn es kein Umdenken gibt: In den nächsten 18 Jahren werden etwa 400 000 Menschen mehr im Großraum München leben. Diese Zahl hat der Planungsverband diese Woche veröffentlicht. All diese Leute müssen irgendwo wohnen.

Die Statistiker gehen davon aus, dass sie mindestens 200 000 Wohnungen brauchen, Platz ist momentan aber nur für 160 000 - denn es gibt nicht genug Flächen. Trifft die Prognose ein, fehlen 40 000 Wohnungen für 80 000 Menschen. Das heißt: Der Region München geht der Baugrund aus. Und gleichzeitig liegen Flächen brach, die noch dazu verkehrsgünstig liegen. Der Planungsverband hat festgestellt, dass 60 Prozent der Flächenreserven im Münchner Umland an "Schienenhaltepunkten" liegen, also zum Beispiel an S-Bahnhöfen.

In Hohenbrunn, wo westlich der Bahn auch große Leere herrscht, diskutieren die Gemeinderäte in jüngster Zeit wieder häufiger, wie es dort weitergehen soll. Die CSU hat beantragt, einen Bürgerworkshop einzuberufen. Aber wie soll diese Bürgerbeteiligung aussehen? Und was will der Gemeinderat selbst? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wollen sich jetzt erst einmal die Fraktionssprecher treffen. Das Projekt wäre groß - keine Frage. Es geht um eine Fläche, die etwa halb so groß ist wie das bestehende Dorf Hohenbrunn. Um die 1500 Menschen hätten dort wohl Platz.

Momentan hat die Gemeinde nicht ganz 9000 Einwohner - von denen die meisten im Ortsteil Riemerling leben. Der Ort würde sich verändern. Deshalb diskutieren Gemeinderäte das Projekt bereits seit den Siebzigerjahren. Im Flächennutzungsplan ist das Areal als Wohngebiet gekennzeichnet - mindestens seit 1994 schon. Ältere Pläne konnte die Verwaltung nicht finden. Passiert ist seitdem nicht viel. Auf einer Klausurtagung vor zwei Jahren haben sich die Gemeinderäte auf die Formulierung geeinigt, dass sie "Chancen einer Bebauung" sehen.

Warum dauert das alles so lange? Auch Christian Breu, der Geschäftsführer des Planungsverbands, ist nicht zufrieden, wie wenig der Wohnungsbau in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Es gehe zu langsam. "Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Das liegt nicht immer an den Gemeinden." Grundstücksbesitzer würden ihr Land nicht gerne verkaufen. Sie bekommen dafür zwar viel Geld, aber wenn es auf der Bank liegt, keine Zinsen. Im Gegenteil. Ein Grundstück im Raum München ist eine krisenfeste Anlage und vor allem eine, die voraussichtlich an Wert gewinnt.

"Wir wollen das Flair eines Dorfes erhalten"

Auch Hohenbrunn gehört das Areal am Bahnhof nicht. Aber das war wohl in der Vergangenheit gar nicht das Hauptproblem. CSU-Gemeinderat Anton Fritzmair sagt: Manche Leute hätten Horrorszenarien im Kopf - Neuperlacher Hochhaussiedlung vor ihrer Haustür. Auch Breu beobachtet, dass die Menschen immer skeptischer werden, wenn es um Neubauten geht. "Dabei sind viele selbst erst vor ein paar Jahren hergezogen. Aber jetzt wollen sie ihren schönen Ausblick behalten und das kommt an bei den Kommunalpolitikern." Identitätsverlust lautet das Stichwort. Und damit lassen sich Wahlen gewinnen.

"Was ist so schön an Aying?", fragt Bürgermeister Johann Eichler (parteilos), wenn man ihn auf die freien Flächen westlich und östlich der Bahn anspricht. Auf was er hinaus will: das Alpenpanorama, der Wald, die Zwiebeltürme und Bauernhäuser. "Wir wollen das Flair eines Dorfes erhalten." Deshalb sehe er keinerlei Anlass, auf den jeweils anderen Seiten der S-Bahnhöfe irgendetwas hinzubauen. Und das werde sich die nächsten zehn, 15 Jahre auch nicht ändern.

Momentan würden im Schnitt 80 Personen jedes Jahr nach Aying ziehen - das sei für den kleinen Ort eine Menge. Neue Baugebiete muss die Gemeinde dafür kaum ausweisen. Zweidrittel finden Wohnraum durch Nachverdichtung. Indem das Dach ausgebaut wird oder im Garten ein Haus errichtet. Eichler weiß, dass das nicht endlos geht. Und dass ein Ort mit Bungalows statt Bauernhöfen auch nicht mehr wirklich nach Dorf aussieht. "Aber Aying kann nicht die Probleme der gesamten Region lösen."

Auch wer beim S-Bahnhof Furth hält, der zur Gemeinde Oberhaching gehört, sieht viel Feld und Wiese. Ein Blick in den Flächennutzungsplan der Gemeinde zeigt: Grundsätzlich ist hier Wohnbau vorgesehen - irgendwann. Anlass sich zu beeilen, sieht Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) aber nicht. Zuerst soll nachverdichtet werden, dann auf neuen Flächen gebaut. 90 Wohneinheiten werde Oberhaching in diesem und dem nächsten Jahr errichten. Die Gemeinde komme ihren Verpflichtungen nach.

Dass der Druck trotzdem immer weiter steigt, liegt aus Schelles Sicht an München und den Kommunen im Norden. "Oberhaching hat 13 500 Einwohner und 5600 Arbeitsplätze. Unterföhring hat 10 000 Einwohner und 30 000 Arbeitsplätze." Nach seiner Berechnung müsste Unterföhring sechs Mal so viele Einwohner haben. Eine ähnliche Logik wendet Schelle für die Stadt München an. Das Problem ist nur: Dort ist langsam alles zugebaut. Aus dem Bericht des Planungsverbands geht hervor, dass es in München zurzeit ein "Gesamtpotenzial" von etwa 60 000 Wohnungen gibt. Die Stadt strebe an, weiteres Baurecht im Norden zu schaffen. Aber irgendwann ist Schluss.

Und dann? Höher und dichter bauen, steht im Fazit des Planungsverbandsberichts. Also doch Neuperlach Süd vor dem Ayinger Alpenpanorama? Eine weitere Lösung sieht der Verband noch: Der öffentliche Nahverkehr müsse verbessert werden. Damit die Menschen von noch weiter weg in die Stadt pendeln könnten.

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