Westend:Trend-Viertel ohne Trend-Setter

Erst kamen die Brauereien, dann die Eisenbahn - und nun die Trend-Setter? Wir sind durch das "neue" Westend flaniert.

Christina Warta

7 Bilder

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Erst kamen die Brauereien, die an der Hangkante ihr Bier kühlten. Dann kam 1838 die Eisenbahn und mit ihr Industrie und Arbeiter. Heute wohnt im Westend eine gemischte Bevölkerung, die Schwanthalerhöhe hat den zweithöchsten Ausländeranteil Münchens. Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit wird das Viertel über der Theresienwiese alle paar Jahre als neuer Szene-Treff ausgerufen. "Wir wurden schon in der New York Times erwähnt", sagt Andrea Bekesi vom Espresso-Experten "Baresta". Zuletzt sind nicht wenige Münchner mit Geschäftsideen dorthin gezogen. Trendige Läden und türkische Stuben existieren friedlich nebeneinander. Ist das Westend also ein Trendviertel? "Nein", sagt Ladenchef Stefan Daubenschütz, "da müssten ja Trends gesetzt werden." Auch das KVR verhindere, so die Geschäftsinhaber, dass Shopping-Flair aufkomme: Die Freiflächen vor den Läden würden stets überwacht. "Dabei ist ein Kleiderständer vor der Tür doch einladend", findet Fritz Schneider. Doch das sei nicht erlaubt. Insofern wäre das Westend also doch kein Trendviertel - Spaß macht Flanieren dort aber trotzdem.

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Neondorn Store

Der Neondorn Store ist für den Grafiker und Modemacher Fritz Schneider und seine Lebensgefährtin, die Fotografin Roswitha Löffler, alles in einem: Büro, Laden und Fotostudio. Den "postmodernen Bauchladen mit Werkstatt/Boutique", wie er offiziell heißt, haben sie im November 2008 eröffnet. In den in kühlem Weiß gehaltenen Räumen in der Schwanthalerstraße 160 wühlen junge Frauen hingebungsvoll in den Stapeln mit Kleidern angesagter Marken, bevor sie kichernd in der Umkleidekabine verschwinden.

Im Zimmer nebenan sitzt Fritz Schneider am Layout der dritten Ausgabe des Magazins Westend. Im Winter hat Schneider das Stadtviertelmagazin ins Leben gerufen, seither produziert er für jede Jahreszeit ein Heft. Darin werden neue Läden vorgestellt und Künstler porträtiert, per Kleinanzeigen suchen Westendler Wohnungen oder bieten Unterricht und Secondhand-Möbel an. "Wir waren vorher in der Baaderstraße", sagt Schneider über seinen Laden, "dagegen ist man hier schon abgeschieden."

Weg will das Paar trotzdem nicht mehr. Die Räumlichkeiten sind größer und günstiger als in der Innenstadt, und sie liegen direkt gegenüber dem heimlichen Zentrum des Viertels, dem Café Marais. "Das Café war der letzte Kick", sagt Fritz Schneider, "und außerdem ist das Viertel einfach toll."

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Damen/Herrenabteilung

Stefan Daubenschütz' Laden ist vor allem eines: hip. Doch dieses Wort gefällt ihm nicht. Wenn er es hört, verzieht er erst einmal unwillig das Gesicht. Trotzdem ist es so: Die Decke besteht aus rauem Beton, an den Wänden sieht man die vielen Farbschichten vergangener Jahrzehnte. Daubenschütz hat seine beiden Secondhand-Läden Damenabteilung und Herrenabteilung mittlerweile in der Schwanthalerstraße 156 zusammengelegt.

An den endlos langen Kleiderstangen an den Wänden hängt vor allem Modisches aus zweiter Hand: T-Shirts mit aufsehenerregenden Aufdrucken und Kleider, die es sicherlich nicht noch einmal gibt. "Wir spielen hier ein bisschen Berlin", sagt Daubenschütz und grinst. Im März 2007 hat er angefangen, im Westend Kleidung zu verkaufen. "Ich habe das Viertel immer geliebt", sagt er. Doch erst nach und nach sei aus dem reinen Wohnviertel eines geworden, in dem man auch leben kann, ausgehen und einkaufen. "Das Westend erwacht langsam", sagt er, innerhalb der vergangenen vier Jahre hätten immer mehr Läden eröffnet. Und auch Daubenschütz beschränkt sich nicht auf die Damen- und Herrenabteilung, seit vergangenen November betreibt er einen weiteren Laden: In der Parke 6 wird exklusive und oft schwer zu findende Mode von unabhängigen Designern verkauft.

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Die Postkarten-Illustratorin

Wenn man sich mit Stefanie Duckstein in ihrem Laden aufhält und eine dritte Person hereinkommt, wird es schwierig: Man quetscht sich zwischen die Postkartenhalter, macht sich schmal, schiebt sich aneinander vorbei. Der Platz reicht trotzdem nicht aus. "Zwei Räume wären besser", sagt die Illustratorin, "aber einer muss erst einmal reichen."

Und so geht es eben einfach eng zu in diesem kleinen Zimmer in der Parkstraße 7, das Laden und Atelier zugleich sein muss: In einem Regal liegt stapelweise Papier, auf dem Tisch stehen zahllose Tuben mit unterschiedlichen Farben. An diesem Tisch arbeitet Stefanie Duckstein seit rund vier Jahren ganz klassisch: Die gelernte Kunsterzieherin verwendet Bleistift, Kreiden oder Kohle, wenn sie ihre Entwürfe zu Papier bringt. Stefanie Duckstein arbeitet auch für Verlage, doch am liebsten kaufen die Kunden die von ihr entworfenen und illustrierten Postkarten.

Rund 30 Motive hat sie mittlerweile im Angebot: Tierfiguren, die Blumen und Glückwünsche überbringen oder einfach nur traurig dreinschauen, märchenhafte Feen, die durch den Sternenhimmel sausen: Auch Firmen lassen sich bei ihr Motive für Grußkarten entwickeln oder Illustrationen als Geschenke für verdiente Mitarbeiter realisieren. "Das hat sich aufgrund der Nachfrage einfach so entwickelt", sagt sie.

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Bonnie & Kleid

Bis vor kurzem waren sie vier Münchner Designerinnen, die - jede für sich - in ihren Ateliers an Kollektionen für ihre eigenen Labels arbeiteten. Genau genommen tun Vanilla Houver, Kristina von Johnson, Laura Kröll und Simone Graber das immer noch - aber sie betreiben seit Juli auch ein gemeinsames Geschäft in der Schwanthalerstraße 154. "In einem Laden kann man viel besser auf Kunden eingehen", sagt Simone Graber, die an diesem Tag die Stellung hält im Bonnie & Kleid. "Wenn einer Kundin ein Kleid nicht exakt passt, können wir es noch anpassen."

Hier kann man die duftigen Röcke aus Recyclingstoffen von Grabers Label "Luxusbaba" anprobieren oder sich für die witzigen Accessoires von Johnsons "Münchner Filz" erwärmen. "The little spirit factory" von Vanilla Houver produziert Schmuck und Altarobjekte, Laura Kröll schneidert für "Heimatpunk" Kleidung, die zwar an klassische Trachten erinnert, aber eine gehörige Portion Ironie mitliefert. Doch Bonnie & Kleid will mehr sein als ein Geschäft, in dem man besondere Designer-Unikate findet. "Wir wollen, dass die Menschen verweilen", sagt Simone Graber. Unter einem blau-weiß gestreiften Sonnenschirm kann man auf der Bank sitzen und die Zeit bei einem Plausch vorbeiziehen lassen. "Es ist nett", sagt sie, "einfach hier zu sein."

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Geheimrad

Das Fahrrad ist einfach nur schwarz lackiert, hat einen braunen Ledersattel ohne Schnellspanner und - natürlich - eine Beleuchtung mit Dynamo. Wer in der Stadt radelt, weiß, dass derlei Dinge wichtig sind: "Stadträder müssen robust und unkompliziert sein, sie brauchen eine schlichte, schicke Optik und sie müssen leicht zu pflegen sein.'' Das sagt Eduard Krömer, der in der Schwanthalerstraße 147 den Fahrradladen Geheimrad betreibt. Während er das Bremskabel eines reparaturbedürftigen Trekkingrades erneuert, erzählt Krömer vom idealen Stadtrad. Unter dem Motto "Urbane Velokultur" bietet er seit zwei Jahren schöne und individuelle Fahrräder an - und profitiert dabei auch vom nebenan gelegenen Biergarten Zur Schwalbe. "Biergarten-Publikum ist auch Fahrrad-Publikum", hat er festgestellt.

Auch die Aktionen der Stadt haben dazu geführt, dass die Nachfrage nach Rädern zuletzt etwas zugenommen hat. Besonders gefragt sind derzeit Single-speed-Räder, also Fahrräder mit nur einem Gang - so kann keine Gangschaltung kaputtgehen. ,,In manchen Kreisen ist das Rad mittlerweile so etwas wie ein Statussymbol'', sagt Krömer. Andere Menschen dagegen seien nicht bereit, etwas mehr Geld für ein Fahrrad auszugeben. "Dabei hätte es sich mit ein paar Tankfüllungen amortisiert."

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Hänselgret

Wer zu Angela Ruepp in den Laden kommt, wird spätestens nach ein paar Minuten von nostalgischem Wehmut ergriffen. Da ist das Postspiel, bei dem man so toll Briefe abstempeln konnte, und da ist auch eine Anziehpuppe, aber nicht aus dünnem Papier, sondern aus festem Holz und mit Magnetkleidern. In Hänselgret in der Schwanthalerstraße 141 hat die Inhaberin Dinge zusammengetragen, "die sich von früher, auch in meiner Kindheit, bewährt haben". Dazu gehört für sie ein Brummkreisel, schöne Rasseln, das Postspiel oder Murmeln.

Im Juli ist die Kostümbildnerin mit ihrem Geschäft aus der Ligsalzstraße hierher gezogen. "Wir brauchten einfach mehr Platz", sagt sie. Nun hat Angela Ruepp noch mehr Möglichkeiten, schöne Kindermode aus Dänemark zu zeigen, aber auch ihre eigene kleine Kollektion zu präsentieren. Einige ältere Damen aus dem Westend stricken außerdem Schühchen, Söckchen und Mützchen nach alten Anleitungen. Und kleine Mädchen werden ohnehin kaum mehr aus diesem Laden zu kriegen sein: Zuhauf stapelt sich Schmuck und Uhren, Schmuse- und Käthe-Kruse-Puppen, Ausstattung für den Kaufladen und die Puppenküche sowie herzig bedruckte Köfferchen für die Puppengarderobe. "Ich bin immer auf der Suche nach Neuigkeiten", sagt Angela Ruepp - und das mit Erfolg.

© SZ vom 7.8.2010/sonn
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