Helfer vor Ort:Zwischen Leben und Tod

Helfer vor Ort: Fried Saacke, Einsatzleiter der Helfer vor Ort in Ismaning, plädiert dafür, dass die Helfer eine Aufwandsentschädigung bekommen.

Fried Saacke, Einsatzleiter der Helfer vor Ort in Ismaning, plädiert dafür, dass die Helfer eine Aufwandsentschädigung bekommen.

(Foto: Catherina Hess)

Noch bevor der Notarzt und der Krankenwagen kommen, sind die Helfer vor Ort in Ismaning bei den Patienten. Manchmal müssen sie sich nur um Kleinigkeiten kümmern, manchmal aber auch reanimieren. Die SPD fordert nun, die Bereitschaft auf 24 Stunden am Tag auszuweiten.

Von Christina Hertel, Ismaning

Ein kleiner Junge steht da und heult, ein bisschen Blut läuft ihm aus der Nase. Er ist fünf und hat sich heute Morgen eine kleine Perle in die Nase geschoben. Wahrscheinlich dachte er sich schnell, dass das keine allzu schlaue Idee war. Sofort versuchte er, das runde Ding wieder herauszupopeln. Aber damit schob er es nur noch weiter hoch. Irgendwann begann seine Nase ganz fürchterlich zu bluten.

Seine Erzieherin bekam Panik und rief den Notarzt. Stattdessen kam aber Fried Saacke, der Leiter der Helfer vor Ort und des Bereitschaftsdienstes des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Ismaning. Er tröstete den Jungen, sagte ihm, dass er nicht weinen müsse und schickte ihn und seine Mutter zu einem Hals-Nasen-Ohrenarzt. Saackes Einsätze sind nicht immer so harmlos.

Die Helfer vor Ort sind dazu da, die Zeit zu überbrücken, bis der Notarzt und der Krankenwagen kommen. Ihre Aufgabe ist, die lebenserhaltenden Funktionen aufrecht zu erhalten. Das heißt: Reanimation, Herz-Druck-Massage, Beatmung. "Bei Herz-Kreislauf-Versagen sinkt mit jeder Minute, die vergeht, die Überlebenschance um zehn Prozent", sagt Saacke. Nach etwa sechs bis acht Minuten treten Schäden am Gehirn auf. Bis aber der Krankenwagen kommt, dauert es oft länger.

Bis der Notarzt da ist, vergeht oft wertvolle Zeit

Die Rettungsfahrzeuge sind in Bayern so verteilt, dass jeder Einsatzort in der Regel innerhalb von zwölf Minuten erreicht werden kann. In dünn besiedelten Gebieten kann es bis zu 15 Minuten dauern. Bei dieser Zeitspanne handelt es sich jedoch um die reine Fahrzeit. Bis Zeugen merken, dass ein Notfall vorliegt, sie den Notruf wählen, die wichtigen Fragen geklärt sind und das Telefonat beendet ist, vergehen weitere Minuten.

Regelmäßig engagieren sich bei den Helfern vor Ort in Ismaning 15 Ehrenamtliche. Fast alle kommen aus der Gemeinde. Sie gehören zum BRK und fahren - anders als die Krankenwagen, die manchmal aus Garching oder Unterföhring kommen - immer direkt aus Ismaning los. Bis jetzt stehen sie das ganze Wochenende über und unter der Woche von 18 bis sieben Uhr morgens bereit. Tagsüber hängt es davon ab, wer gerade Zeit hat. Denn alle helfen in ihrer Freizeit als Ehrenamtliche. Die SPD-Fraktion im Gemeinderat hat einen Antrag gestellt, dass die Helfer vor Ort 24 Stunden am Tag besetzt werden. Wie und ob das realisiert werden kann, ist offen.

Helfer vor Ort: In Ismaning stehen 15 Ehrenamtliche beim Roten Kreuz bereit, um schnelle Hilfe zu leisten. Die Organisation sucht noch zusätzliche Helfer.

In Ismaning stehen 15 Ehrenamtliche beim Roten Kreuz bereit, um schnelle Hilfe zu leisten. Die Organisation sucht noch zusätzliche Helfer.

(Foto: Catherina Hess)

Saacke hat dafür verschiedene Ideen. Wichtig ist ihm, dass es beim Ehrenamt bleibt, aber dass es trotzdem eine Aufwandsentschädigung gibt. "Wir könnten den Helfern eine Pauschale zukommen lassen oder den Arbeitgeber für den Dienstausfall entschädigen." Eine andere Möglichkeit wäre, Leute, die ein Freiwilliges Soziales Jahr machen oder Bundesfreiwilligendienst-Leistende zu beschäftigen. Alle Modelle würden rund 30 000 Euro im Jahr kosten. Bevor aber eine Entscheidung getroffen werden kann, müssen die Konzepte erst mit dem Kreisverband München des BRK abgestimmt werden.

In 19 Kommunen gibt es Helfer vor Ort oder First Responder

19 von 29 Kommunen im Landkreis München haben ein System wie die Helfer vor Ort. Bis auf die Gemeinden Taufkirchen, Planegg/Krailling und eben Ismaning stehen die Helfer immer rund um die Uhr bereit. Und nur in diesen Gemeinden werden sie Helfer vor Ort genannt, in allen anderen heißen sie First Responder und hängen mit der Feuerwehr zusammen. Auch in einem Leitfaden des Innenministeriums steht, dass organisierte Erste-Hilfe-Gruppen möglichst 24 Stunden in Bereitschaft sein sollten. Außerdem sollte eine Schicht möglichst von zwei Personen besetzt sein. Um das zu garantieren, hat Saacke momentan jedoch zu wenig Leute.

Dass er den Job als Rettungssanitäter nicht hauptberuflich macht, sieht man ihm nicht an. Saacke trägt eine rahmenlose Brille und ein weißes Polo-Hemd mit BRK-Logo. Wenn er erklärt, dass ein Ersthelfer bei einer Herz-Druck-Massage den Brustkorb des Patienten 100 bis 120 Mal pro Minute etwa sechs Zentimeter nach unten drücken muss, kann man sich ihn auch gut in einer Arztpraxis vorstellen. Dabei arbeitete Saacke immer nur ehrenamtlich im Rettungsdienst, mit Ausnahme seiner Zivi-Zeit.

Schon als Schüler engagierte er sich in der Bergwacht, später absolvierte er eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Obwohl ihm das Helfen immer Spaß machte, konnte er sich das als Beruf nie so richtig vorstellen. "Die Perspektiven sind nicht einfach, es wird nicht besonders gut bezahlt." Also hat Saacke eine Ausbildung zum Informatiker gemacht und ist heute Geschäftsführer einer Firma für Verlagsangelegenheiten und Schulungen. Diese Tätigkeit ermöglicht es ihm, viel von Zuhause aus zu arbeiten. Dementsprechend oft lässt er sich für die Bereitschaftsdienste der Helfer vor Ort in Ismaning eintragen.

Im Schnitt gibt es einen Einsatz pro Tag

Im Schnitt müssen die Helfer etwa einmal am Tag zu einem Einsatz fahren. Verständigt werden sie direkt von der Rettungsleitstelle und zwar immer, wenn ein Mensch bewusstlos ist, wenn er reanimiert werden muss, einen Atemstillstand hat, wenn er aus großer Höhe gestürzt oder mehrfach verletzt ist. Bei allen anderen Fällen ist es Ermessenssache des Mitarbeiters der Rettungsleitstelle, ob die Helfer vor Ort notwendig sind.

Heute hat Saacke so ein Gefühl, dass mehr passieren könnte als der Junge mit der Perle in der Nase. Tatsächlich klingelt ein paar Stunden später das Handy noch einmal, laut, schrill, ein eindeutiger Alarmton. Eine ältere Frau hat starke Bauchschmerzen. Per Funk wird Saacke gesagt, wo er hin muss. Außerdem werden ihm die Daten aufs Handy gemailt. Und los geht's. Saacke ignoriert alle roten Ampeln, alle Stopp-Schilder. Er wirkt konzentriert, aber nicht angespannt.

Die Frau liegt in ihrem Bett. "Mir geht es schon seit Tagen ganz miserabel. Können Sie mir nicht eine Spritze geben?", fragt sie. Aber das geht nicht, Saacke ist ja kein Arzt. Also misst er ihren Blutdruck, redet ihr gut zu und schickt die andere Frau, die im Haus ist, raus, um dem Rettungswagen zu winken. Ein paar Minuten später ist er da. Saackes Aufgabe ist erfüllt, er kann nach Hause fahren. Das ist nicht immer so. Oft muss er den Sanitätern helfen - zum Beispiel beim Freiräumen der Flure.

Manchmal können die Helfer nichts mehr tun

Heute ist der Tag harmlos, aber das kann er vorher nie wissen. Richtig ernst ist es ohnehin oft genug. Nicht selten kommt es vor, dass niemand mehr etwas tun kann, dass der Mensch schon tot ist, bevor die Helfer vor Ort überhaupt eintreffen, oder dass der Patient während der Reanimation stirbt. Wie geht man damit um? "Ich mache mir immer bewusst, dass der Tod zum Leben dazu gehört. Aber es geht einem schon manchmal nahe."

Die meisten Menschen, sagt Saacke, würden den Tod verdrängen, sich auch nie mit Erster Hilfe beschäftigen, bis irgendwann der Ernstfall da ist. "Und dann wissen sie nicht, was sie machen sollen." Etwa 20 Mal im Jahr müssen die Helfer vor Ort in Ismaning reanimieren. Grob die Hälfte der Patienten stirbt, schätzt Saacke. Und nur von fünf der 20 Personen weiß er, dass sie heute noch leben und zwar gesund, ohne neurologische Defizite. "Das alles waren Menschen, bei denen ein Augenzeuge schon mit einer Herz-Druck-Massage angefangen hat, bevor wir kamen."

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