Ukrainisches Weihnachten:Warten auf Väterchen Trost

Ukrainisches Weihnachten: In der Ukraine wird Weihnachten an Heiligdreikönig gefeiert, kleine Geschenke bringt Väterchen Frost aber bereits in der Silvesternacht.

In der Ukraine wird Weihnachten an Heiligdreikönig gefeiert, kleine Geschenke bringt Väterchen Frost aber bereits in der Silvesternacht.

(Foto: Nina Lyashonok/IMAGO/Ukrinform)

Vasylyna Trypolska und ihre Tochter Liuba könnten heuer sogar zweimal Weihnachten feiern - warum der 39-Jährigen aus Pullachs Partnerstadt und ihrer Tochter trotzdem nicht danach zumute ist.

Von Michael Morosow, Pullach

Eigentlich sollte es doch eine Freude sein, wenn man gleich zwei Mal kurz hintereinander Weihnachten feiern darf: einmal Heiligabend nach dem gregorianischen Kalender am 24. Dezember, ein anderes Mal nach dem julianischen Kalender am 6. Januar. Vasylyna Trypolska und ihrer 16 Jahre alte Tochter Liuba ist indes nach Festlichkeiten nicht zumute. Wie auch sollen sie mit Freude im Herzen das Fest von Jesu Geburt feiern, wenn in ihrer Heimat der Tod allgegenwärtig ist, täglich russische Raketen einschlagen und sie bei jedem Anruf von Zuhause mit dem Schlimmsten rechnen müssen? "Eine neue Freude ist gekommen, die es noch nie davor gab" - dieses ukrainische Weihnachtslied spiegelt die Seelenlage der beiden aktuell jedenfalls nicht wider.

Die Mutter und ihre Tochter zählen zu den 160 Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind und in der Gemeinde Pullach vorübergehend eine Bleibe gefunden haben. Sie wohnen seit März dieses Jahres bei Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund. Diese sitzt mit am Tisch, wie auch Otto Horak und Barbara Kammerer-Fischer vom Partnerschaftenverein, als Vasylyna Trypolska von ukrainischen Traditionen an Weihnachten berichtet. An der Wand im Wohnzimmer hängen zwei Landschaftsbilder, Weihnachtsgeschenke von Tochter Liuba für Susanna Tausendfreund.

Ukrainisches Weihnachten: Vasylyna Trypolska hat mit ihrer Tochter Liuba bei Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund Zuflucht gefunden.

Vasylyna Trypolska hat mit ihrer Tochter Liuba bei Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund Zuflucht gefunden.

(Foto: privat)

Nach einem Beschluss der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, feiert die Ukraine seit 2017 das Weihnachtsfest zweimal. "Um uns von Russland abzugrenzen", sagt die 39-Jährige, die aus dem 700-Seelen-Ort Selyschtsche stammt, nahe der Stadt Baryschiwka, mit der die Gemeinde Pullach seit 1990 eine Partnerschaft pflegt. "Weihnachten, das war für uns immer eine schöne Zeit", sagt die zierliche Frau mit Wehmut in der Stimme. Zur Tradition gehöre es, dass man von Haus zu Haus zieht und gemeinsam Lieder singt. Kinder und Jugendliche kleideten sich dazu ungewöhnlich festlich, manche würden sogar Masken tragen. Zur Belohnung bekämen sie Süßes oder ein wenig Geld.

"Den ganzen Tag haben wir Gäste, Verwandte, Bekannte, unsere Freunde. Viele Kinder und meine Schüler kommen zu uns. Sie singen und erzählen Gedichte. Es ist so schön, die Kinder bringen Freude im Haus", sagt Vasylyna Trypolska, die in ihrer Heimat Lehrerin für Deutsch und Englisch ist und seit dem russischen Angriffskrieg ihre Schüler von Pullach aus online unterrichtet, "wenn nicht wieder Stromausfall in der Ukraine ist". Und sobald Alarm ertönt, müsse sie den Unterricht sofort beenden, damit die Kinder sich in Deckung bringen können. Seit mehreren Monaten gibt die 39-Jährige außerdem ukrainischen Kindern am Otfried-Preußler-Gymnasium Deutschunterricht. Ihre jüngere Schwester Olha, die mit ihrer Tochter Maria in einer Werkswohnung von United Initiators untergekommen ist, unterrichtet an der Pater-Rupert-Mayer-Tagesheimschule Englisch.

Heuer an Heiligabend im Hause Tausendfreund hat es Huhn, Gemüse und Blaukraut gegeben. In der Ukraine, so berichtet die orthodoxe Christin, sei eine der ältesten Weihnachtstraditionen das festliche Abendmahl, zu dem zwölf fleischlose Gerichte serviert werden, weil bis zum ersten Weihnachtstag gefastet werde. "Nach einer Version bedeutet die Zahl zwölf die Anzahl der Monate in einem Jahr, nach einer anderen die Anzahl der Apostel. An welcher Option man festhält, entscheidet jeder für sich", sagt Trypolska.

Ukrainisches Weihnachten: Kutja ist ein traditionelles ukrainisches Essen zu Weihnachten, es besteht aus Weizen, Nüssen, Honig und Mohn.

Kutja ist ein traditionelles ukrainisches Essen zu Weihnachten, es besteht aus Weizen, Nüssen, Honig und Mohn.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Was niemals fehlen dürfe sei Kutja, "das wichtigste Gericht". Dessen Zutaten bestehen aus Weizen, Honig, gehackten Nüssen, gemahlenem oder zerriebenem Mohn und Rosinen. Sie sollen Hoffnung und Unsterblichkeit, Erfolg, Glück und Ruhe symbolisieren. Weizen symbolisiere die Vereinigung der Welt der Lebenden und der Toten. "Schließlich glauben wir, dass an diesem Abend die Geister der Vorfahren aus ihrer Welt kommen und durch unsere Straßen wandern", sagt die 39-Jährige. Viele der zwölf Gerichte sind symbolbeladen, etwa Borschtsch mit geräucherten und getrockneten Pflaumen und Pilzen, die Frieden und Harmonie symbolisieren, oder Sitschenyky, Erbsenpflanzerl, die für die Tränen der Gottesmutter stehen, die für die Sünden der Menschen vergossen wurden.

Vasylyna Trypolska hat Pullach bereits als Mädchen kennengelernt, als sie auf Einladung der Gemeinde mit 19 weiteren Kindern hier ankam und bereits bei Susanna Tausendfreund und ihrem mittlerweile verstorbenen Mann Odilo Helmerich wohnte. "Der Einfluss meines meines Mannes, der Gymnasiumslehrer war, ist dafür entscheidend gewesen, dass Vasylyna selbst den Lehrberuf ergriffen hat", sagt Tausendfreund über ihren Gast.

Manche Geschenke sind noch nicht angekommen, andere unterwegs mit der Post kaputt gegangen

"Das ist keine leichte Zeit für Eltern", sagt die heutige Pädagogin, deren Tochter in Pullach aufs Gymnasium geht. An Heiligabend hat Liuba Süßigkeiten geschenkt bekommen. Das eigentliche Geschenk ist nicht rechtzeitig angekommen, weil wegen der Bombardierungen in der Heimat Post und Geschäfte nicht regelmäßig geöffnet haben. So wartet sie auf drei Bücher, welche sie sich gewünscht hat. In einem Paket, das pünktlich angekommen ist, sind wiederum einige Geschenke zerbrochen gewesen. Nicht aber das Geschenk für ihre Gastgeberin Susanna Tausendfreund, das diese stolz auf den Tisch stellt: eine kleine Box mit hölzernen Untersetzern.

In der Ukraine bringt Väterchen Frost, wie der Weihnachtsmann dort heißt, üblicherweise Geschenke in der Silvesternacht - in Russland am Neujahrstag. Das Schenken und Beschenktwerden haben für Vasylyna Trypolska und ihre Tochter Liub aber in diesem Jahr ohnehin keinen hohen Stellenwert. Ihren größten Wunsch teilen sie mit 43 Millionen ukrainischen Landsleuten: Frieden. Für den 7. Januar, um 13 Uhr, hat der Partnerschaftenverein eine Weihnachtsfeier im Feuerwehrhaus organisiert - nachträglich zum orthodoxen Weihnachtsfest.

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