Süddeutsche Zeitung

Wasserretter in Oberschleißheim:"Die meisten gehen still unter"

Bei einem Notfall im Wasser zählt jede Minute. Damit jeder Handgriff sitzt, müssen die Helfer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft regelmäßig üben. Manchmal aber können auch sie nichts mehr tun.

Von Nadja Tausche, Oberschleißheim

Drei Minuten. Diese Zeit brauchen die Helfer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) vom Moment der Erkenntnis, dass jemand im Wasser ein Problem hat, bis zur Rückkehr mit dem Geretteten ans Ufer. Das gilt zumindest an der Küste, wenn die Einsatzkräfte aufs Meer hinaus müssen, wie Michael Reiner erklärt. Er ist der technische Leiter der DLRG in Oberschleißheim. In Seen gehe es sogar noch etwas schneller, sagt er. Damit im Notfall jeder Handgriff sitzt, müssen die Helfer regelmäßig trainieren.

Wie eine Rettung so schnell funktionieren kann, zeigen Jessica Reiner, 15, und Lucas Marchlewitz, 21, an diesem Tag auf dem Regattaparksee in Oberschleißheim. Das rote Rettungsboot rast los, im Halbkreis um die Puppe herum, die bewegungslos im Wasser treibt. An ihren Füßen hängen Gummistiefel. Jessica zerrt am orangefarbenen Overall der Puppe, greift dann unter ihre Arme und hievt den Oberkörper in das rote Boot. Während die Puppe noch halb im Wasser hängt, gibt Lucas schon Vollgas. 40 Kilogramm wiegt die Puppe, ganz schön schwer, wie die beiden später erzählen.

Die DLRG ist im Sommer an vielen Seen und in Schwimmbädern in München und Umgebung aktiv. Die Helfer fahren bei schönem Wetter an Wochenenden und Feiertagen raus und verbringen den Tag an der Wachstation. Es sei wichtig, dass jemand sofort eingreifen kann, wenn ein Badegast im Wasser Probleme habe, sagt Reiner. Denn Feuerwehr und Wasserwacht brauchen trotz Hubschrauber 15 Minuten zum See. "In der Regel gibt es dann keine Rettung mehr, sondern eine Bergung", sagt Christiane Wickfelder, die an diesem Nachmittag Wachleiterin am Regattaparksee ist. Der DLRG-Ortsverband zählt rund 350 Mitglieder, aktiv sind davon etwa 25. Im vergangenen Jahr hatten die Oberschleißheimer 60 Einsätze, 20 davon am Regattasee. Die Mitglieder der DLRG machen Kontrollfahrten über den See, üben den Ernstfall, versorgen Menschen, die plötzlich einen Asthma-Anfall bekommen oder holen kleine Kinder von der Insel in der Mitte des Sees ab, die keine Kraft mehr haben.

Erst Ende Mai ist eine Frau ertrunken

Auch wenn die Lebensretter vor Ort sind, können sie aber nicht immer verhindern, dass am See etwas passiert. Ende Mai ist im Regattaparksee eine Frau ertrunken. Als ihr Lebensgefährte die DLRG an der Wachstation informiert hat, dass seine Begleitung verschwunden sei, sei sofort ein Boot losgeschickt worden, sagt Reiner: Man habe den See abgesucht, auf dem Floß in der Mitte des Sees nachgeschaut sowie am Ufer, ob sie sich dort vielleicht zum Sonnen hingelegt habe. Zeitgleich informiere die DLRG in so einem Fall die Leitstelle des Rettungsdienstes in München, erklärt Reiner, und das sei auch in diesem Fall so gewesen. Die Frau konnte aber trotz Hubschrauber nicht mehr gerettet werden. "Die meisten gehen still unter", erklärt er. Die DLRG habe dann keine Chance, obwohl sie, wie an jenem Tag, an der Wachstation präsent sei. "Dass jemand laut schreiend untergeht, ist die absolute Ausnahme", sagt Reiner.

Bei einem normalen Dienst übernimmt die DLRG am Regattaparksee auch eine andere Aufgabe, zum Beispiel an diesem Nachmittag. Das rote Boot rast los, einmal quer über den See. Man bekommt schon fast Angst, es könnte etwas passiert sein. Stattdessen ist ein Paddelboot ins Naturschutzgebiet am hinteren Ende des Sees gefahren, die Einsatzkräfte müssen die Bootsfahrer wieder rausschicken. Sobald die Helfer das Naturschutzgebiet erreichen, schalten sie den Motor aus und lassen sich treiben: Man will ja die Tiere nicht stören. Das hintere Ufer ist von der Landseite her abgesperrt, aber auf dem See fehlt ein Schild, das auf das Schwimmverbot hinweist. "Uns ist Naturschutz wichtig", sagt DLRG-Mitglied Maik Wickfelder, deswegen schicke die DLRG Schwimmer, Bootsfahrer und Stand-up-Paddler weg. Nicht immer ist die Reaktion der Badegäste positiv.

An diesem Tag habe sich zum Beispiel eine Frau beschwert, dass der Motor des Bootes so laut sei, erzählt Lucas. "Wir erklären jedes Jahr, dass das schon aus Übungszwecken sein muss", so Christiane Wickfelder. Sie erinnert sich aber auch an positive Reaktionen auf ihre Arbeit, zum Beispiel der ältere Mann, der sich im vergangenen Jahr das Bein aufgerissen habe und sich bei der DLRG für die Versorgung "gefühlt hundert Mal bedankt hat", erzählt Wickfelder. Lucas hat allerdings das Gefühl, die negativen Reaktionen überwiegen. Warum er trotzdem so viele Sommerwochenenden an der Wachstation verbringt, erklärt Lucas mit dem "Dienst an der Allgemeinheit". Und fügt hinzu: "Ich will nicht vor dem Computer versauern."

Wer einen Dienst für die DLRG übernehmen will, muss verschiedene Schritte durchlaufen. Sie habe erst den sogenannten Junior-Retter gemacht, ein Abzeichen über Fremdrettung, erzählt Jessica, die Tochter vom technischen Leiter Einsatz Michael Reiner. Dann folgte das Deutsche Rettungsschwimmabzeichen Bronze. Außerdem braucht jeder, der mit dem Rettungsboot fährt, einen Bootsführerschein.

Das sei zwar von der Größe des Bootes her eigentlich nicht notwendig, sagt Lucas - "aber sobald DLRG draufsteht, erwarten die Leute, dass man auch entsprechende Fähigkeiten hat". An einem normalen Wochenendtag scannt die Wachleiterin mit einem Fernglas den See, auch einige der anderen Mitglieder schauen auf die Wasserfläche. Trotzdem sind es laut Reiner bei den meisten Ernstfällen die Gäste, die die DLRG darauf hinweisen, dass etwas nicht stimmt. Man sei hier auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen.

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SZ vom 18.08.2018/belo
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