Vorwürfe gegen Sepp Krätz:"Er hat den Bogen überspannt"

Weil sie gut verdienten, haben die Bedienungen im Hippodrom lange die Behandlung durch ihren Chef Sepp Krätz hingenommen - bis es am letzten Wiesntag zum Eklat kam.

Bernd Kastner

Wie jedes Jahr reckte Christian Ude, nachdem er angezapft hatte, den Hammer in die Höhe und rief: "Auf eine friedliche Wiesn!" Dass beim Bierfest auf der Theresienwiese bisweilen Verletzte durch fliegende Maßkrüge zu beklagen sind, gehört irgendwie zur Folklore. Wie aber hätte der Oberbürgermeister ahnen sollen, was nun offenbar wurde. Dass nicht nur manch betrunkener Gast, sondern auch ein Wirt von aufbrausender Natur das Gebot der Friedlichkeit missachtet, und das nicht nur verbal. "Extrem unerfreulich" nennt der oberste Anzapfer das, was Bedienungen aus dem Hippodrom über ihren Wirt erzählen.

177. Oktoberfest - Eröffnung

Sepp Krätz mit Schauspielerin Christine Neubauer und Bierkönigin Franziska Sirtl im Hippodrom.

(Foto: dpa)

Sepp Krätz. Er schien auf dem Gipfel des Wirteglücks angekommen. Zum "Gastronom des Jahres 2011" wurde er gewählt, schon 2010, doch nun bekommt sein Image noch im alten Jahr tiefe Kratzer. Nachdem ein paar Bedienungen erstmals berichtet hatten, wie Krätz mit seinen Angestellten umgeht, meldeten sich immer mehr mit Geschichten aus dem Hippodrom. Es ist, als wäre ein Damm gebrochen. Ein Kellner nach dem anderen berichtet, was seit Jahren Praxis sei im Hippodrom: Worte wie Volltrottel und Blödmann, demütigendes Bloßstellen vor Gästen und Kollegen, Tritte in Hintern und Hacken. "Es ist der blanke Horror", sagt eine Bedienung. "Man hofft, er läuft einem nicht über den Weg."

Dass die Mitarbeiterführung des Sepp Krätz gerade jetzt, nach 15 Wiesnjahren des Wirts, öffentlich wird, dürfte zwei aktuelle Gründe haben. Da ist die pompös in der Residenz gefeierte Prämierung zum Gastronomen des Jahres, wo der Ministerpräsident höchstselbst sich die Ehre gab. Das erboste einige, die sich seit langem gegängelt fühlen: "Schaut denn niemand hinter die Kulissen?", fragt sich ein Kellner. "Es ist ein Unding, dass nie geprüft wird, wie er mit den Mitarbeitern umgeht."

Das Fest in der Residenz stieg wenige Tage vor Beginn der Jubiläumswiesn. Als es in den letzten Minuten des letzten Wiesnabends zum offenen Eklat im Zelt kam, gab es kein Halten mehr: Krätz hatte die Kellner, die das traditionelle Abschiedslied singen wollten, von der Bühne geworfen. Mit Schlägen, behaupten Kellner, und man hört, dass einem Kellner ob der Handgreiflichkeit die Tränen gekommen seien. Krätz spricht von "Runterdrängen". Wie auch immer, hinterher, in der Küche, kam es zum verbalen Gefecht, teilweise dokumentiert auf einem Video, und mancher sagte sich wenig später: "Wir wollen nicht, dass er mit so einem Verhalten durchkommt."

Dass alle seine Bediensteten so lange geschwiegen haben, hat einen ganz banalen Grund: das Geld. Der Job als Wiesnbedienung ist sehr lukrativ, im Hippodrom zumal, gehen dorthin doch gerne die Besserverdiener. Rund zehn Prozent von seinem Umsatz bekommt ein Kellner, plus Trinkgeld, da komme man schon auf 400 Euro pro Tag, berichtet einer. So kommen locker einige tausend Euro zusammen, und die frei von Sozialabgaben. So erklärt sich, dass offenbar viele Kellner gerne bis zu 15 Stunden mit minimalen Pausen arbeiten, Arbeitszeitgesetz hin oder her, jede Stunde ist bares Geld. Krätz dagegen betont, dass er immer ausreichend Pausen zulasse.

Für den guten Verdienst tolerierten die meisten der 170 Kellner im Hippodrom stillschweigend die Eskapaden ihres Chefs. Viele haben sich Urlaub genommen für die Wiesn und wollen nicht riskieren, wegen Widerworten nach ein paar Tagen zu Hause zu sitzen. Viele berichten, dass sie versuchen, ihrem Wirt aus dem Weg zu gehen, erzählen von heimlichen Pausen in einer stillen Ecke, um nicht Ziel seiner Tiraden zu werden.

"Die Zitrone gehört an den Arsch"

Tobias Eichiner, 29 Jahre alt und im Hauptberuf Ingenieur bei Audi, erzählt, wie er heuer in seinem fünften Jahr im Hippodrom zum Opfer des Krätz'schen Strafgerichts geworden sei. Dafür muss man wissen, dass Sepp Krätz auf den Tischen keine betrunkenen Gäste sehen will, es soll in seinem Zelt gesitteter zugehen als anderswo. Nun kam es, dass am zweiten Wiesnsamstag zwei Engländer auf die Bank gestiegen waren, berichtet Eichiner, und dann habe Krätz seinen Angestellten vor den Gästen nicht nur als "Arschloch" und "Drecksau" tituliert, sondern ihn auch heftig am rechten Ohr gepackt. Später sei es verbal am Rande des Zelts weitergegangen.

Nun könnte man es schon als ungerecht betrachten, wenn ein Kellner für betrunkene Gäste zur Rechenschaft gezogen wird. Doch in seinem Fall, versichert Eichiner, sei der Engländer-Tisch gar nicht mal seiner gewesen. Er habe an den Nachbartischen bedient. Den Herrn Krätz aber habe sein Einwand nicht beeindruckt. Wenige Tage später sei Eichiner für einen Tag beurlaubt, tags darauf in den weniger lukrativen Biergarten strafversetzt worden. Da habe es ihm gereicht, er habe dann selbst gekündigt. "Herr Krätz", sagt der Kellner, "hat den Bogen überspannt."

Ordnung muss sein im Zelt

Ordnung muss sein im Zelt des gelernten Metzgermeisters aus Schwaben, das gilt auch für die Hendl. "Die Zitrone gehört an den Arsch", fasst eine Bedienung die Servieranweisung des Wirts zusammen. Die Petersilie muss unter den Flügel, und serviert werden müsse das halbe Tier mit der Brust voraus zum Gast. Wehe, wenn nicht, "da kann er schon mal ausflippen", erzählt einer. Und ein anderer weiß gar vom angedrohten Rauswurf zu berichten, sollte die Zitrone nicht das richtige Körperteil zieren.

Dieses Körperteil scheint Krätz öfter zu beschäftigen, auch das von weiblichen Bedienungen. Davon jedenfalls berichten Kellnerinnen. Da könne es schon mal einen Klapps auf den Popo geben oder eine unerwünschte Umarmung von hinten. Krätz selbst, angesprochen auf die angebliche körperliche Nähe, stutzt und sagt, dass er sich an so etwas nicht erinnern könne. "Kann ich mir nicht vorstellen."

Ums Erinnern ging es immer wieder am Mittwoch dieser Woche, als Sepp Krätz bereit war zu einem Treffen mit der SZ, unten, im Keller seines Wirtshauses Andechser am Dom. Es fällt auf, dass er sich nach diversen Nachfragen an immer mehr aus seinem Leben als Wiesnwirt zu erinnern scheint. In einer ersten Reaktion auf die Mitarbeitervorwürfe hatte er sie am Telefon noch pauschal als "erfunden" zurückgewiesen, "mehr kann ich dazu nicht sagen". Auch dieses Gespräch beginnt er mit einem Dementi, um dann auszuholen: "Ich seh's positiv." Er erzählt, wie er das Hippodrom zu einem der Aushängeschilder der Wiesn gemacht habe, und wie stolz er auf sein Werk und seine Mannschaft sei.

Aber hat er seine Leute beleidigt, geschlagen und getreten? Je öfter man das fragt, desto differenzierter klingt er. Zunächst räumt er diverse Schimpfworte ein ("im Eifer des Gefechts kann es passiert sein"), die man als Beleidigung werten kann, aber auch als ein wenig zu starke Worte eines großen Mannes. Krätz sagt, er habe die Kritik an seiner Art mit seiner Ehefrau "analysiert" und verspricht Besserung: "Das muss ich abstellen." Bei einem aber bleibt er: Geschlagen? Nie! Da können noch so viele Kellner vom Gegenteil berichten. "Zugeschlagen habe ich nicht." Nur eine Handgreiflichkeit räumt er ein: Die Sache mit Kellner Eichiner, "das gebe ich jetzt zu", sagt er und lächelt. Er wirkt jetzt wie ein Bub.

Als er am letzten Wiesnsamstag die Kellner um halb elf von der Bühne "schubste", wie er es nennt, geschah dies teilweise vor den Augen der Gäste. Weil er versehentlich auch einen Kellner erwischte, der gar nicht singen, sondern bedienen wollte, sah Krätz sich hinterher genötigt, den verdutzten Gästen eine Flasche Magnum zu spendieren.

Nicht nur im Hippodrom scheint es bisweilen ruppig zuzugehen, auch im Andechser am Dom. Eine Besucherin berichtet, wie sie neulich Zeugin wurde einer verbalen Entgleisung des Wirts. Ziel sei auch dort ein Mitarbeiter gewesen, der zwei junge Frauen bedient und in den Augen des Chefs offenbar gefehlt habe. Vor aller Augen und Ohren habe Krätz den Mann "runtergemacht". Krätz sagt, er könne sich nicht daran erinnern. "Der Ober war völlig fertig", erzählt die Frau. "Und als Gast habe ich mich richtig unwohl gefühlt."

Sepp Krätz wirkt am Freitag am Telefon niedergedrückt, offenbar sorgt er sich um seine Zukunft als Wiesnwirt. Er verstehe ja seine Leute, die sich empören, "das respektiere ich", sagt er, aber 90 Prozent der Bedienungen seien doch zufrieden. "Zum Teil sind wir eine Familie."

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