Vor 25 Jahren: Gasteig eingeweiht:Die Fehlentscheidung

Drei Weltklasseorchester proben und spielen in München. Doch seit der Zerstörung des Odeons gibt es in der Stadt nur noch Konzertsäle mit mieser Akustik. Den Gasteig hat man gar ohne Akustiker geplant. Wie konnte das passieren?

S. Braunfels

Der Autor ist Architekt und ein begeisterter Konzertgänger.

Vor 25 Jahren: Gasteig eingeweiht: Konzertsaal der Philharmonie im Gasteig: "Burn it", war die lapidare Empfehlung Leonard Bernsteins.

Konzertsaal der Philharmonie im Gasteig: "Burn it", war die lapidare Empfehlung Leonard Bernsteins.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Es ist unglaublich, aber der Konzertsaal im Gasteig wird ohne Akustiker geplant", berichtete mir Ende der siebziger Jahre Franz-Xaver Ohnesorg, der damalige Intendant der Münchner Philharmoniker. Davon hat sich der Gasteig bis heute nicht erholen können. Als späterer "Gasteig-Direktor" versuchte Ohnesorg zu retten, was (nicht mehr) zu retten war, denn der nachbeauftragte Akustiker, Professor Keilholz, konnte den Hauptplanungsfehler - zu breit, zu hoch und zu tief - mit heftigen Holzondulationen nur noch mildern.

Das Raumvolumen ist für einen Konzertsaal viel zu groß, um eine gute Akustik zu gewährleisten - dafür ist die Philharmonie im Gasteig der einzige Konzertsaal der Welt, dessen Fußspielraum in jeder einzelnen Reihe so reichlich bemessen ist, dass für Zu-spät-Kommer nicht aufgestanden werden muss ..."Burn it", war die lapidare Empfehlung Leonard Bernsteins damals!

Unvergesslich ist mir mein erstes Konzert - das Cellokonzert von Dvorak, bei dem ich von dem Cellisten Misha Maisky keinen Ton hörte, sondern ihn nur heftig agieren sah ...Viele internationale Dirigenten und Orchester weigern sich seither, im Gasteig aufzutreten.

Auch ich gehe viel lieber in die Berliner Philharmonie als in den Münchner Gasteig, nicht nur weil man dort auf allen Plätzen gut hört und sieht, sondern auch weil das Foyer der Berliner Philharmonie von atemberaubender Leichtigkeit und weltstädtischer Eleganz ist, während die gedrückten, unübersichtlichen Foyerebenen im Gasteig mit ihren völlig überdimensionierten bunkerartigen Stützen die Bewegungs- und Begegnungsmöglichkeiten behindern.

Wie konnte das passieren? Wie kann es sein, dass eine der Welthauptstädte der Musik seit der Zerstörung des wegen seiner Akustik weltberühmten Odeons keinen Konzertsaal mit auch nur akzeptabler, geschweige hervorragender Akustik hat? Drei Weltklasseorchester proben und spielen in München: die Münchner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und das Staatsopernorchester. Alle drei Orchester haben eine großartige Tradition: Felix Mottl, Richard Strauss, Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler und viele andere Dirigenten von Weltruhm leiteten und dirigierten sie - heute sind es Christian Thielemann, Mariss Jansons, Kent Nagano. Aber seit der Zerstörung des Odeons, seit 65 Jahren, müssen sie in Sälen mit mittelmäßiger oder im Falle des Gasteigs sogar miserabler Akustik spielen ...

Ich kann mich gut erinnern, wie in den 60er Jahren keine der fast täglichen Großkritiken von Joachim Kaiser in der SZ ohne ein Lamento auf die schlechte Akustik des Kongresssaales auskam. Musik-München stöhnte damals: Egal, was kommen würde, es kann nur besser werden ... Der Architektenwettbewerb für den Gasteig war völlig falsch strukturiert: Statt internationale, im Konzertsaalbau erfahrene Koryphäen einzuladen, wurde zunächst ein lokaler Städtebauwettbewerb für das Areal zwischen Ostbahnhof und Isartor ausgelobt, unter dessen sechs Preisträgern dann die KonzertsaalArchitekten ausgewählt wurden.

Aber auch städtebaulich ist der Gasteig misslungen und von den Münchnern nie richtig geliebt worden. Ironie der Geschichte: Genau an dieser Stelle, auf dem Isarhochufer gegenüber der befestigten Altstadt von München, wurde im 16. Jahrhundert eine Bastion geplant, die verhindern sollte, dass München von hier aus angegriffen werden konnte. Aus Kleinmut und Geiz wurde sie nie errichtet, sodass von hier aus die Schweden im Dreißigjährigen Krieg München leicht einnehmen konnten - der Beginn eines jahrzehntelangen Niedergangs ...

Dass 400 Jahre später, also vor 30 Jahren, genau an dieser Stelle eine im Inneren akustisch missratene und äußerlich abweisende Trutzburg errichtet wurde, ist sicher eine der größten Fehlplanungen der letzten hundert Jahre in München. Viel besser wäre die neue Philharmonie schon damals am Marstallplatz errichtet worden, und zwar an der Stelle, wo damals noch ausreichend Platz war. Stattdessen wurde später - und nicht wirklich zwingend - an dieser vielleicht prominentesten und städtebaulich markantesten Ecke Münchens das Max-Planck-Institut gebaut.

Heute ist der Marstallplatz wieder in der Diskussion, wenn es darum geht, endlich einen akustisch befriedigenden Konzertsaal zu bauen, wie er der Musikstadt München seit Jahrzehnten fehlt. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, neben den Berliner Philharmonikern das beste Orchester Deutschlands, braucht seit langem ein eigenes Haus. Eine freistehende Skulptur wie die Berliner Philharmonie ist hier aber nicht mehr möglich, jedoch ein etwas kleinerer Saal wie der akustisch vielleicht noch bessere Konzertsaal in Luzern.

Ziegelrote Festung am Isarufer

Die Berliner Philharmonie ist seit 50 Jahren Vorbild für viele Konzertsäle der Welt und war es auch für den Gasteig. Beim Gasteig kam allerdings der falsche Ehrgeiz hinzu, es ganz anders machen zu wollen als im Berliner "Zirkus Karajani": Statt 2400 Zuhörer um das Orchester herum zu versammeln, sollten sie alle dem Orchester gegenüber sitzen, wodurch die Entfernungen innerhalb des Saals eben viel zu groß wurden. Dann kam noch die Befürchtung hinzu, dass dieser Riesensaal oft nur halb voll sein könnte, weshalb man ursprünglich plante, die hinteren Ränge seitlich des merkwürdigen Mittelkeils hinter flexiblen Trennwänden verschwinden lassen zu können. Dass das nicht gutgehen konnte (es gibt keine zwei unterschiedlichen akustischen Systeme für ein und denselben Saal) erkannte man dank Ohnesorg und Keilholz schon während der Bauzeit und strich die flexiblen Trennwände.

Dass der Gasteig zu allem Überfluss dann auch noch mehr als dreimal so viel gekostet hat, als ursprünglich veranschlagt war, spüren Veranstalter und Besucher noch heute an enormen Mietkosten und entsprechenden Ticketpreisen.

Doch die Münchner haben sich mit dem Gasteig, dieser ziegelroten Festung auf dem anderen Isarufer, abgefunden. Immerhin gibt es hier die hervorragende Stadtbibliothek, eine Musikbibliothek und mehrere kleinere Säle für vielfältige Veranstaltungen. Auch ist die Anbindung durch S-Bahn und Straßenbahn sehr gut, allerdings weiß man nie so recht, wo man hinterher am besten hingeht - der Gasteig liegt halt nicht im Zentrum der Stadt ...

Es ist schon tragisch, dass die Verbesserung der Akustik im Gasteig heute nur mit einem Umbau zu erreichen ist, der mehr als 200 Millionen kosten würde, also mehr als der ganze Gasteig damals gekostet hat. Da ist ein Neubau in der Nähe von Hofgarten und Residenz, also im kulturellen Zentrum Münchens, nach wie vor die richtigere Lösung: Die Wiederherstellung der wunderbaren Hofreitschule von Klenze - es wäre Münchens größter und schönster Festsaal - als Mehrzwecksaal und als festliches Foyer eines akustisch perfekten, modernen Konzertsaals nach dem Vorbild Luzern wäre eine Möglichkeit. Eine andere wäre ein ganz neuer, freistehender Saal im Finanzgarten.

Allerdings steht zu befürchten, dass weder ein Umbau des Gasteigs noch ein Neubau nördlich oder südlich des Hofgartens so bald möglich werden wird. Das hochmusikalische München muss wohl noch lange auf den langersehnten Saal mit guter Akustik warten, da Bayern alle dafür gezahlten Steuern unlängst im Wörther See versenkt hat.

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