Volkstrauertag:Zwischen Gedenken und Gegenwart

Volkstrauertag: Uniformen sind vielerorts am Volkstrauertag noch präsent, viele Kommunen bitten aber darum, auf das Tragen von Waffen zu verzichten. Am Mahnmal in Ottobrunn lädt die Gemeinde heuer bewusst zur „Friedensfeier“.

Uniformen sind vielerorts am Volkstrauertag noch präsent, viele Kommunen bitten aber darum, auf das Tragen von Waffen zu verzichten. Am Mahnmal in Ottobrunn lädt die Gemeinde heuer bewusst zur „Friedensfeier“.

(Foto: lks)

Am Sonntag wird vielerorts an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erinnert. Ottobrunn versucht den Spagat mit zwei Veranstaltungen - mit einer Zusammenkunft an der Kirche und einer Friedensfeier bei der Grundschule

Von Irmengard Gnau, Ottobrunn/Haar

Am diesem Sonntag werden sich Hunderte Landkreisbürger versammeln, um in ihrem Ort der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken. Auch Thomas Loderer und Martin Haum werden in Ottobrunn teilnehmen an den Feierlichkeiten zum Volkstrauertag - zusammen. Das ist nicht selbstverständlich. Doch der Ottobrunner Bürgermeister und der Vorsitzende der Soldaten- und Kriegerkameradschaft haben einen Weg gefunden, den Tag gemeinsam zu feiern. Zunächst wird es um 15.45 Uhr an der Gedenktafel an der St.-Otto-Kirche ein Gedenken für die Ottobrunner Gefallenen der beiden Weltkriege geben. Um 16 Uhr beginnt wenige Meter weiter am Mahnmal auf der Pausenwiese der Grundschule eine Veranstaltung, die die Gemeinde bewusst mit dem Titel "Friedensfeier" überschrieben hat. "So wichtig es ist, der Vergangenheit und der Gefallenen zu gedenken, es ist doch umso wichtiger, in die Zukunft zu schauen", sagt Loderer (CSU).

Der Volkstrauertag ist ein Feiertag, mit dem sich mancher schwer tut. Gerade jüngeren Menschen fehlt häufig der Bezug, das teils militaristisch gefärbte Vokabular von Kriegerdenkmal und Gefallenenehrung stößt manchen ab. "Der Volkstrauertag ist von seiner Intention her - nie wieder Krieg, Gewalt, Rassismus - aktuell wie nie", setzt Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) entgegen. Eingeführt wurde der Volkstrauertag durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Gedenken an die Kriegstoten des Ersten Weltkrieges, die erste offizielle Feierstunde fand 1922 im Deutschen Reichstag in Berlin statt. 1934 bis 1945 reklamierten die nationalsozialistischen Machthaber den Tag für sich und deuteten ihn zum "Heldengedenktag" um. Bis heute versuchen rechtsnational Gesinnte immer wieder, den Tag zu besetzen. Vorfälle sind in der jüngeren Vergangenheit in Feldmoching belegt, wo rechte Gruppierungen am Kriegerdenkmal Fackelzüge abhielten. Die oberfränkische Kreisstadt Wunsiedel, wo sich bis 2011 das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß befand, kämpft seit Jahren dagegen, dass Neonazis dort zum Volkstrauertag aufmarschieren. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der Volkstrauertag von 1950 an wieder in seiner alten Form begangen.

Die Gemeinde Ottobrunn hat vor vier Jahren begonnen, die Gestaltung des Tages neu zu denken. Der Zulauf war über die Jahre gering geworden. Man wollte auch Jüngere ansprechen, sagt Bürgermeister Loderer. Mit den beiden Kirchen im Ort und der Rektorin der Grundschule fand man zu einem neuen Konzept, einer anderen Intonation. So werden beispielsweise am Mahnmal auch Kinder Texte vortragen. Der Titel "Friedensfeier" soll die Aufgabe jedes Einzelnen als Friedensstifter, im Großen wie im Kleinen, in den Vordergrund rücken. Das Lied vom toten Kameraden wird nicht erklingen. Dennoch soll der Tag eine "integrierende Veranstaltung" sein, sagt Loderer. Es ist der Versuch eines Spagats zwischen traditionellen Elementen und der Öffnung für Neues.

Bei der Soldaten- und Kriegerkameradschaft riefen die Änderungen anfangs Irritationen hervor, sagt Martin Haum, seit 2014 Vorsitzender. Einige sorgten sich, die Traditionen würden verloren gehen. Das Mahnmal an der Schule trägt bewusst keine Namen, eine Inschrift erinnert allgemein an die Opfer von Krieg und Gewalt und mahnt zum Frieden. Erst in den Sechzigerjahren wurde zusätzlich eine Gedenktafel an der Kirche St. Otto angebracht, dort sind die Namen von 126 Gefallenen aus der Region verzeichnet. Das sei wichtig, sagt Haum, die Namen sollten nicht in Vergessenheit geraten. "Die Kriegstoten von Ottobrunn bekommen so einen Bezug zum Ort." Durch die Personifikation sei es zudem einfacher als mit einem anonymen Mahnmal, auch jungen Menschen die grausamen Auswirkungen des Krieges nahe zu bringen. Den Blick in die Zukunft zu wenden, hält auch er für eine gute Idee - solange die Vergangenheit nicht vergessen wird.

Diese Verbindung unterstreicht auch die Haarer Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD). Man müsse immer versuchen, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, sagt sie: "Erinnern allein ist ja kein Selbstzweck." Sie selbst habe sich dem Volkstrauertag und seinen Riten auch erst annähern müssen, berichtet Müller, sie sei einigem gegenüber anfangs skeptisch gewesen. Bei der Feier in Haar erklingt beispielsweise traditionell die deutsche Nationalhymne. Ehemalige Kriegsteilnehmer aus der Gemeinde hätten ihr ergreifend geschildert, wie wichtig es ihnen sei, heute als Bürger eines freien, friedlichen Landes und Teil der Europäischen Union stolz diese Hymne singen zu können.

In Ottobrunn wird die Bayernhymne gesungen werden - bewusst inklusive einer dritten, inoffiziellen Strophe zu Europa, getextet von Jugendlichen. "In der Vielfalt liegt die Zukunft", heißt es da, "in Europas Staatenbund".

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