Süddeutsche Zeitung

Virtueller Unterricht:Crashkurs für die Volkshochschulen

Wegen der Corona-Krise müssen die Erwachsenenbildungseinrichtungen ihr Programm ins Netz verlagern. Das Knowhow, das die Dozenten dafür erwerben, kann auch später genutzt werden.

Von Carina Irimia und Selina Trummer

"Wer seine Kamera an lassen will, lässt sie an. Ansonsten macht sie einfach aus", sagt Stefanie Wenig zu den Teilnehmern ihres Videoanrufs. Laute Musik spielt im Hintergrund. Alle können bei sich zuhause sehen, wie Wenig einen Ausfallschritt macht und das hintere Knie auf und ab bewegt. "Aber nicht zu weit runter mit dem Knie", sagt sie. Ein Countdown wird eingeblendet - 30 Sekunden Pause.

Zwölf Freizeitsportler nehmen diesmal am Kurs "Functional Workout" der Taufkirchner Volkshochschule (VHS) teil. Stefanie Wenig gibt diesen Kurs eigentlich wöchentlich als Zirkeltraining in den Räumen der VHS. Doch gleichzeitig mit den Schulen mussten auch die Volkshochschulen in ganz Bayern schließen.

Wie der Kurs von Stefanie Wenig werden nun auch viele andere online angeboten. Jeder Teilnehmer kann von zuhause aus mitmachen. Neben dem "Functional Workout" bietet die VHS Taufkirchen aktuell noch etwa 24 weitere Kurse online an. Immer mehr Nutzer nähmen an ihnen über das Internet teil, sagt Geschäftsführerin Silvia Engelhardt. Besonders beliebt seien auch Yoga- und Pilatesstunden.

Auch die VHS im Norden des Landkreises München bietet seit zwei Wochen neben den bisherigen Webinaren nun mehr Kurse online an. Zu der VHS im Norden gehören auch die VHS in Ismaning, Unterschleißheim, Garching und Unterföhring. Vor allem die technische Umsetzung war anfangs nicht leicht. "Wir wollen diese Phase als steilen Lernprozess nutzen", sagt VHS-Direktor Lothar Stetz. Es sollen mit der Zeit immer mehr Kurse online dazu kommen: "Der notwendige Shutdown trifft uns sehr hart. Wir sind durch einen erheblichen Teil durch Gebühren finanziert", sagt Stetz.

"Wir haben auch eine Verpflichtung den Dozentinnen und Dozenten gegenüber."

Würden die Kurse ersatzlos ausfallen, müssten alle bisher bezahlten Kursgebühren wieder zurückerstattet werden. "Wir haben auch eine Verpflichtung den Dozentinnen und Dozenten gegenüber", sagt Stetz. Außerdem wolle er den Teilnehmern ermöglichen, weiterhin wie gewohnt die Kurse besuchen zu können: "Wir wollen nicht so lange weg sein und den Kontakt zu den Teilnehmern nicht verlieren."

Auch die VHS Süd-Ost mit Sitz in Ottobrunn bietet in dieser Zeit ein Übergangsangebot an. Dabei handle es sich aber nicht um das reguläre Kursprogramm, sagt Geschäftsführer Christof Schulz. Vor allem die freiberuflichen Referenten seien sehr froh über dieses Angebot. Ihre fortlaufende Beschäftigung sei extrem wichtig, weil freie Referenten auch rechtlich weniger geschützt seien als festangestellte, so Schulz. Die 80 bis 90 alternativen Veranstaltungen seien Großteils schon am Laufen und auch für Nichtmitglieder kostenfrei abrufbar.

Diese Kurse konzentrieren sich besonders auf den Gesundheitsbereich, aber auch der Bildungsbereich sei wichtig. Die VHS Süd-Ost wolle den Menschen besonders in dieser Zeit helfen, sich zu informieren, sagt Schulz. Im Moment gebe es bei Gesundheitskursen im Durchschnitt zwischen 60 und 120 Zuschauer. Wann die eigentlichen Kurse des Semesters online anlaufen können, sei noch nicht ganz klar.

Die Volkshochschulen im Landkreis probieren aktuell verschiedene Techniken, um die jeweiligen Kurse möglichst effektiv anbieten zu können. Stefanie Wenig gibt normalerweise auch Kurse für Aquagymnastik und mit Trampolinen, doch diese sind über das Internet nicht umsetzbar. Ihren Functional-Workout-Kurs kann sie zwar online weiterhin anbieten, doch sie musste ihn leicht abwandeln. Im regulären Kurs zeigt Stefanie Wenig anfangs einmal alle Übungen. Die Kursteilnehmer verteilen sich danach auf etwa sechs Stationen. Wenig beobachtet alles und kann auf Fehler hinweisen. "Das ist so online einfach nicht möglich", sagt sie.

Stattdessen machen nun alle gleichzeitig die selben Übungen, aber mit ähnlicher Intensität, wie im Zirkeltraining. Es gibt zwei große Blöcke mit einzelnen Kraftübungen. Die Teilnehmer arbeiten lediglich mit ihrem eigenen Körpergewicht und zwei Wasserflaschen als Gewichten. "Es machen alle mit, die auch sonst regelmäßig am Kurs teilnehmen", sagt Wenig. Tendenziell würden online sogar ein paar Leute mehr mitmachen als bei den Präsenzkursen.

Auch bei anderen Kursen bekam die VHS Taufkirchen bereits positive Rückmeldungen. Beispielsweise schrieb eine Teilnehmerin an Silvia Engelhardt, ein Kurs, den sie besucht habe, sei nett und interessant gestaltet gewesen und auch für ältere Menschen sei die Kommunikation über die Technik möglich gewesen. Sie habe Geschmack daran gefunden.

"Die positiven Rückmeldungen sind in dunklen Zeiten immer wieder ein Lichtblick."

Das Feedback zu den Onlinekursen der VHS Süd-Ost fällt laut Christof Schulz ähnlich positiv aus: "Die Leute sind sehr dankbar, dass wir das Angebot so kurzfristig auf die Beine gestellt haben." Es seien schon ungefragt Spenden eingegangen und viele schöne Nachrichten von Teilnehmern. "Die positiven Rückmeldungen sind in dunklen Zeiten immer wieder ein Lichtblick", sagt Schulz.

Bei der VHS im Norden seien derzeit vor allem Onlinekurse im Gesundheitsbereich wie Fitness oder Zumba sehr beliebt und hätten viel Zulauf. Statt mehreren Terminmöglichkeiten gibt es laut Stetz jedoch meist nur noch einen in der Woche. Da das Online-Angebot für jeden von zuhause aus wahrgenommen werden kann, sieht Stetz durchaus die Chance, neue Nutzer zu gewinnen; er würde sich darüber freuen, geht aber nicht von vornherein davon aus.

Um die Onlinekurse möglichst effektiv anzubieten, nutzen die Volkshochschulen unterschiedliche Programme zur Übertragung. Bei Vorträgen und Seminaren reicht oftmals eine Streamingvariante, bei der die Teilnehmer den Dozenten oder die Dozentin live wie bei einem Video vor sich sehen, selbst aber nicht gesehen werden. In diesem Fall können Rückfragen oder Anmerkungen durch einen Text im Livechat gestellt werden und anschließend vom Dozierenden beantwortet werden.

Die VHS im Norden hat bereits verschiedene Programme ausprobiert. Anfangs startete sie mit Zoom. "Wir suchen aber gerade nach einer Alternative, die datenschutzrechtlich konform ist", sagt Lothar Stetz. Sie müsse stabil, zuverlässig und leicht zugänglich sein, auch für nicht EDV-affine Menschen.

In Taufkirchen werden laut Silvia Engelhardt derzeit Zoom und Skype genutzt, bei der VHS Süd-Ost bisher ausschließlich Zoom. In Zukunft soll dort laut Schulz aber ein bunter Strauß an Möglichkeiten eingesetzt werden. "Es wird auf jeden Fall vielfältig sein", verspricht der Geschäftsführer. Mit Sicherheit werde die Lernplattform der VHS-Cloud einbezogen.

Stefanie Wenig hat für ihren Kurs als Übertragungs- und Kommunikationsform Skype gewählt. Um 19 Uhr können alle, die im Kurs angemeldet sind, mit einem Videoanruf am Training teilnehmen. Wenig hat bereits vorab ein Video mit dem kompletten Workout aufgezeichnet, das spielt sie nun auf ihrem Bildschirm ab, alle können es sehen. Sie selbst macht nicht mit, sondern sitzt vor ihrem Laptop und gibt über ein Mikrofon Anweisungen.

"So kann ich auch helfen, wenn jemand technische Probleme hat, ohne dass die anderen ihr Workout unterbrechen müssen", erklärt Wenig. "Es gibt ein paar kleine Tricks. Den Link in einem anderen Browser verwenden ist häufig die Lösung für Ton- und Bildprobleme." Manche Teilnehmer lassen ihre Kamera an, dann kann Stefanie Wenig etwas korrigieren, wenn sie Fehler sieht. Doch die meisten lassen sie aus. Die Kamera solle kein Hindernis sein, am Workout teilzunehmen, betont Wenig.

Obwohl das Training auf diese Weise funktioniert, ist die Kursleiterin noch nicht ganz zufrieden: "Meine Kamera ist noch nicht so gut." In Zukunft soll die Qualität der Videos für die Teilnehmer zuhause optimiert werden.

Um ein noch besseres Onlineangebot bieten zu können, arbeiten einige Volkshochschulen in Bayern nun gemeinsam an einem Programm, das die Mitglieder aller VHS-Standorte nutzen können. Sie veröffentlichen bestimmte Kurse oder Vorträge für jedermann zugänglich auf dem Youtube-Channel "vhs.daheim". Die VHS im Norden lud dort beispielsweise einen Vortrag zum Thema Pilgern hoch, der bereits mehr als 700 Mal aufgerufen wurde. Die VHS Taufkirchen möchte bislang eine Yogastunde, einen Vortrag über das Darknet und einen Vortrag von Lilly Maier zu ihrem Buch "Arthur und Lilly" veröffentlichen.

Trotz der Bemühungen, möglichst viele Kurse online anzubieten, wollen die Volkshochschulen nach den Ausgangsbeschränkungen Präsenzeinrichtungen bleiben. "Mein Ziel ist es, dass wir ab 20. April ein möglichst breites und tiefes Angebot für unsere Teilnehmer haben", sagt Christof Schulz. Es handle sich um rund 600 Kurse, die im Idealfall bald wieder als Präsenzeinheiten stattfinden sollen. Doch in den meisten Fällen wird das nicht möglich sein. Vor allem bei Kursen, die normalerweise in Schulräumlichkeiten und Senioreneinrichtungen stattfinden, sei eine Präsenzveranstaltung in naher Zukunft nicht möglich.

Doch auch, wenn die Volkshochschulen wieder zum normalen Betrieb zurückkehren, könnte das Onlineangebot weiterhin gesteigert werden. "Wir mussten in der letzten Zeit viel für Online lernen und wollen das neu erworbene Wissen später auch nutzen", sagt Engelhardt. Beispielsweise könnten während der langen Sommerferien einige Kurse auf diese Weise weiter angeboten werden. Auch Stetz schließt ein gesteigertes Onlineangebot nicht aus: "Manche Vorträge könnten online noch zusätzlich zur Präsenzveranstaltung ergänzt werden. Darüber denken wir nach."

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Quelle:
SZ vom 16.04.2020/wkr
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