Süddeutsche Zeitung

950-Jahr-Feier:Die Premiere schlägt voll ein

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Nach einem halben Jahrhundert steht in Haar erstmals wieder ein Bierzelt. Die Einwohner sind schon am ersten Tag des Volksfests auf der Zirkuswiese begeistert - und Bürgermeister Bukowski kündigt sogleich die Begründung einer Tradition an.

Von Laura Geigenberger, Haar

Breitbeinig steht Bürgermeister Andreas Bukowski vor dem Bierfass. Kurz wiegt er den Schlegel in der Hand, dann lässt er ihn gegen den Zapfhahn sausen. Es rummst dumpf, einmal, zweimal, die Haarer Blasmusik spielt einen Tusch. "Zwoa, sauba", raunt ein Zuschauer anerkennend und will schon seinen Krug heben - da geht plötzlich ein Raunen durchs gut gefüllte Festzelt. Der Wechsel sitzt nicht richtig, Bukowski muss nochmal ran. Zwei weitere Hiebe später hat er es dann aber tatsächlich geschafft: Das Bier sprudelt. "Hätt' ich doch fester hauen müssen", ruft er launig den Festzeltgästen zu. "Also, o'zapft is! Auf ein fröhliches Volksfest!"

Vier Schläge, damit wird Bukowski nun also in die Ortsgeschichte eingehen, als der Bürgermeister, der am 22. Juni 2023 um 17.38 Uhr die Volksfest-Premiere auf der Zirkuswiese gegeben und damit vielen Haarerinnen und Haarern einen langjährigen Wunsch erfüllt hat. Wann es hier zuletzt ein echtes Bierzelt gab, ist umstritten - laut Chronik könnte es im Jahr 1973 gewesen sein, anlässlich des 900. Geburtstags der Gemeinde.

Höchste Zeit also für eine Wiederholung, die Bukowski zufolge gar ein "kleines Pilotprojekt" für einen zukünftigen Brauch in Haar sein könnte. "Was ich im Vorfeld mitbekommen habe: Es freuen sich alle und es kommt ja wirklich aufs Gemeinschaftsgefühl an", so der Bürgermeister. Und weiter: "Weil im Moment viele neue Bürger durch große Bauprojekte hierher ziehen, ist es wichtig, dass wir die Leute, die kommen, hier mit reinholen. Und ja, das ist vielleicht ein Anstoß, die Volksfesttradition hier zu begründen. Denn so kommt man zusammen, feiert zusammen und redet zusammen."

Damit sich Groß wie Klein vergnügen können, soll in den zur 950-Jahr-Feier angesetzten vier Festtagen auf der Zirkuswiese von Donnerstag bis Sonntag alles aufgeboten werden, was ein richtiges Volksfest eben ausmacht. Damit beauftragt wurde der erfahrene Straubinger Festwirt Robert Schmidt - er hat neben einem blau-weißen Bierzelt mit 1400 Plätzen noch verschiedene Bands, Schieß- und Losbuden, Süßwarenverkäufer, einen Steckerlfischstand und sogar Fahrgeschäfte nach Haar geholt.

Für die jungen Besucher der Festwiese ist dabei vor allem das bunte Kettenkarussell von Schausteller Alexander Diebold ein Blickfang. Der Erdinger ist seit Tagen vor Ort, hat extra noch die Treppenstufen seines Karussells neu angestrichen. "Jedes Volksfest ist für mich ein Highlight", sagt er, während er vom Kassenhäuschen aus ein paar Kindern beim Vorbeifliegen zusieht. "Ich mache das schon mein Leben lang."

Heinz Gerstmeier, aus Augsburg mit seiner Losbude angereist, sieht der kommende Zeit eher mit Spannung entgegen. Ein erstes Volksfest sei immer ein "Wagnis", habe er gelernt. Denn man könne im Voraus ja nie abschätzen, "wie die Leute reagieren und ob sie es auch annehmen".

Die Haarer, so scheint es jedenfalls, haben Lust. Von der wummernden Musik und den bunten Lichtern der Fahrgeschäfte angezogen, schlendern Feierlaunige schon lange vor dem Anstich über die Fläche. Viele haben sich in Tracht oder Vereinskleidung geworfen.

In Haar kostet die Mass Bier ünf Euro weniger als auf der Wiesn

Den 33 Grad auf der Zirkuswiese zum Trotz ist die Stimmung gelöst - und der Tenor bei den Haarerinnen und Haarern immer derselbe: Schön, dass es endlich ein Volksfest in Haar gibt. "Die Jugendlichen hier wollen auch mal etwas in ihrer Ortschaft haben und nicht immer nur rausfahren", sagt etwa Emmanuel Gabsteiger von der Freiwilligen Feuerwehr. Dafür seien Truderinger, Vaterstettener und alle anderen willkommen. "Ich bin gespannt, wie die nächsten Tage werden", so Gabsteiger weiter.

"Wir haben vorhin schon drüber gesprochen, wir hätten es gerne jährlich", erzählt Bürger Tobias Spinnler, etwas atemlos nach einer Autoscooter-Fahrt. "Es ist ja schon so: Die Leute kommen zusammen, es ist eine schöne Atmosphäre, die Gemeinde ist offener. Wir sind eine recht große Gemeinde und ich habe mich eh schon immer gefragt, warum es hier kein Volksfest gibt." Freibad-Mitarbeiter Marius Dankert vergibt außerdem einen Pluspunkt für den Bierpreis: "9,50 Euro für eine Mass sind super. Natürlich, einen anderen Betrag hätten sie gar nicht verlangen können." Auf dem Oktoberfest in München wird die Mass heuer, das wurde am Donnerstag bekannt, bis zu 14,50 Euro kosten.

So gemütlich, wie der erste Volksfestabend begonnen hat, so abrupt geht er dann jedoch für viele zu Ende: Innerhalb kürzester Zeit türmen sich dunkle Wolken am Himmel über der Wiese zu einem Unwetter auf. Wer angesichts des plötzlich einsetzenden Hagels und Starkregens nicht fluchtartig die Heimreise antritt, schwimmt zum Weiterfeiern ins Bierzelt.

Da setzen die Musiker von "Steffi & The Bluejeans" gerade zu "Rock mi" an - ein Wiesn-Hit, der 2013 durch einen Flashmob in den nahegelegenen Riem Arcaden weltbekannt wurde. Die erste Strophe ist noch nicht zu Ende gespielt, da stehen die Menschen im Festzelt schon auf den Bänken.

In einer früheren Version hieß es, die Mass Bier auf dem Münchner Oktoberfest koste dieses Jahr bis zu 14,90 Euro; tatsächlich sind es 14,50 Euro.

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