Verschworene Gemeinschaft:Testosteron und Cholesterin

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Die Ayinger Schweine-Aktiengesellschaft ist das Ergebnis einer Stammtisch-Schnapsidee, die jährliche Hauptversammlung ein eintägiges Gelage der ausschließlich männlichen Mitglieder

Von Michael Morosow, Aying

Die Rede hier ist von einer Aktiengesellschaft, die ihre Teilhaber durch erpresserische Methoden zu weiteren Einlagen zwingt, und von 100 Ayinger Aktionären, die einmal im Jahr opulent schlemmen und bechern, dabei aber kein weibliches Wesen neben sich dulden, sieht man von ein paar feisten Säuen ab, über die sie genussvoll herfallen. Die Fragen, die sich deshalb aufdrängen: Haben die Ayinger Männer nicht mehr alle Latten am Zaun? Wo bleibt die Kripo, wo die Gleichstellungsbeauftragte im Landratsamt München? Die Liste der Verdächtigen läge vor, sie liest sich wie das Who is who von Aying, der Bürgermeister steht drauf, der Bräu, Gemeinderäte, Großbauern, Handwerker, Unternehmer - allesamt geachtete Mitglieder der Dorfgemeinschaft und Aktionäre bei der "Schweine-Aktiengesellschaft" (SAG). Ehe man vorschnell den Stab bricht über die Zechkumpanen und Machos im schmucken Aying - sie schlagen nur an einem Tag im Jahr über die Stränge und über allem steht ein breites Augenzwinkern.

Geburtsstunde der SAG war am Dreikönigstag 1995 um 1.30 Uhr am Stammtisch in Liebhards Bräustüberl. Die Gründung, so muss ob der Uhrzeit vermutet werden, war wohl nicht Ergebnis nüchterner Überlegungen der elf Stammtischbrüder. Aber Beschluss ist Beschluss, und so blinzelte am Morgen danach Georg Schildmann als Vorsitzender der Schweine AG in den Tag und erwachten andere als "Saufänger und Würger" oder "Schweine humanes Sterben Beauftragter". Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft wurde Josef Bachmair, Kirchenpfleger und aktuell Zweiter Bürgermeister der Gemeinde. Georg Schildmann ist heute noch stolz darauf, die Stammaktie mit der Nummer eins zum Ausgabepreis von 20 Mark zu besitzen. Heute zahlt man 20 Euro dafür, wenn man überhaupt eine bekommt, denn die Aufnahme in den erlauchten Kreis ist genau 100 Aktionären vorbehalten. Nur im Todesfall kommt wieder eine Aktie auf den Markt. Der Unternehmenszweck wurde klar definiert und lautet sinngemäß: Sau kaufen, mästen, schlachten. Anteile mit Kraut an Aktionäre verteilen und Dividenden ausschütten - in Form von Bier und Schnaps.

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(Foto: Claus Schunk)

Die Ayinger Schweine-Aktiengesellschaft hat immer genau 100 Mitglieder, die einmal im Jahr ausgiebig feiern.

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(Foto: Claus Schunk)

Forstwirtschaftsmeister Thorsten Mitter hat schon einmal das Wappentier des Vereins, eine Sau, angefertigt.

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(Foto: Claus Schunk)

Nur an einem Tag im Jahr schlagen die Vereinsmitglieder über die Stränge und über allem steht ein breites Augenzwinkern.

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(Foto: Claus Schunk)

Finanziert wird das Gelage von Spenden und Strafzahlungen, die Leo Veicht (rechts) eintreibt.

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(Foto: Claus Schunk)

Frauen dürfen das Festgelände nicht betreten, ihre Theateraufführungen finden deshalb auf einer rollenden Bühne statt

Es ist davon auszugehen, dass kein Arzt am Dreikönigstag mit am Tisch saß, denn er hätte wohl kaum das Protokoll der Gründungsversammlung unterschrieben. Dieses endet mit dem ernährungsphysiologisch wie orthografisch bedenklichen Satz: "Sinn und Zweck der SAG ist es: Endlich wieder was fürs Kolesterin zu tun." Und das tun sie mit Hingabe. Was sich einmal im Jahr im Renk-Stadl abspielt, ist eine Orgie, zwar ohne Frauen, dafür mit einem halben Zentner Sauerkraut, 30 Kilogramm Leber-und Blutwürsten, 15 Wecken Brot, zehn Litern Essiggurken, vier Hektolitern Bier, 15 Flaschen Schnaps und inzwischen zwei, drei wohlgenährten Schweinen. Die jährliche Hauptversammlung beginnt Samstagmittag mit einem Stresstest für jeden empfindlichen Magen. Wer sich so früh am Tag nicht in der Lage sieht, in die Zunge einer Sau zu beißen, für den schwimmen in einem großen Waschkessel alternativ Herz, Kronfleisch oder Wammerl im blubbernden Wasser.

Alleine wer sich die komplette Innereien-Garnitur auf den Teller lädt, hat mehr als genügend für seinen Cholesterinhaushalt getan. Und da hat die Hauptversammlung erst begonnen. Auf Kaffee und Kuchen folgen am Abend Leberkäs, Presssack und Geräuchertes. Und circa 800 Halbe Bier und 500 Stamperl Schnaps müssen zwischendrin auch noch getrunken werden. So eine Dividenden-Ausschüttung kann also den ganzen Mann fordern. Am Morgen danach, so heißt es, sind die Straßen im Ort Aktionärs-frei und stehen die Frauen wieder hoch im Kurs. Dass für den Tag der Hauptversammlung über sie jedes Jahr wieder ein Bann ausgesprochen wird, bedrückt sie offenbar keineswegs. "Wir wollen gar nicht dabei sein, wir sehen doch, in welchem Zustand unsere Männer zurückkommen", sagt Andrea Veicht.

Ihr Ehemann Leo Veicht, ein ehemaliger Banker, ist seit Anbeginn für die Kapitalauffrischung der Schweine-AG zuständig, seine Auftritte sind legendär. Leo Veicht behauptet seit Jahren frech, niemals einen Aktionär zu einer Spende zu zwingen, sondern ihn nur sanft zu überreden. In den Augen seiner Opfer ist er ein moderner Raubritter und Erpresser. Aber im Renk-Stadl klopfen sie sich auf die Schenkel und schütteln sich vor Lachen, wenn wieder einmal einer von ihnen "sanft überredet" wird.

Zwei Wochen vor jeder Hauptversammlung trifft sich der Geldeintreiber mit anderen Mitgliedern des Vorstands, um saumäßig gute Geschichten aus dem jüngeren Leben der 100 Aktionäre zu sammeln wie Kindsgeburt, Hochzeit, runder Geburtstag und dergleichen. Informationen, die sein Spendenbitten ein wenig erleichtern. Die Höhe der "Glückwunschgebühren" variiert, und wer beim Zahlen nicht lächelt, muss einen von Veicht festgelegten Aufpreis akzeptieren. Bei "Strafzahlungen" langt der Geldeintreiber richtig hin.

Muss etwa ein Aktionär wegen eines Seitensprunges Alimente zahlen, oder hat er seinen Führerschein verloren, weiß er, was ihn im Renk-Stadl erwartet. Leo Veicht steht dann mit einem Filzstift vor der Spendentafel, schreibt den Namen des Sünders drauf und fragt diesen hinterfotzig, wie viel er freiwillig zu zahlen bereit sei. Die genaue Höhe legt er dann selbst fest. Und wenn es über einen Aktionär partout nichts Verwertbares zu melden gibt, kann dieser trotzdem nicht sicher sein vor dem Geldeintreiber. So auch Bürgermeister Johann Eichler. "Gar nichts hamma gfunden über ihn", erinnert sich Schildmann. Am Schluss zahlte Eichler "freiwillig" 80 Mass dafür, dass sein Vater 80 geworden war. Und zuletzt war Leo Veicht gar so dreist, Bräu Franz Inselkammer junior zu einer Strafzahlung in Höhe von 100 Mass zu verdonnern, weil dieser ein 200-Liter-Bierfass eine Viertelstunde zu spät geliefert hatte. Dennoch: Wie alle anderen schwärmen auch der Bräu und der Bürgermeister von der jährlichen Dividenden-Ausschüttung im Renk-Stadl. Eine der schönsten Veranstaltungen im Jahr, sagt Eichler. "Das macht unser Dorf einzigartig", glaubt Angela Inselkammer, Mutter des Bräus.

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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