Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Landkreis fährt Kampagne gegen den Kollaps

Mit eigener Werbung für Bus und Bahn sollen mehr Pendler vom Umstieg auf die Öffentlichen überzeugt werden.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis

Auf den Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) sind die Kommunalpolitiker im Landkreis München nicht immer gut zu sprechen. Das war so bei der Ausarbeitung der neuen MVV-Tarifreform, die zum 15. Dezember in Kraft treten wird und die vom Münchner Kreistag fast zu Fall gebracht worden wäre, weil der Unmut in allen Parteien über befürchtete Benachteiligungen für die Bürger im Landkreis zu groß war.

Wenig Begeisterung lösen bei Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) auch die Werbemaßnahmen des MVV aus, die Pendler zum Umsteigen vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel bewegen sollen. "Mit diesen alten Manschgerln erreichst du keinen mehr", sagte der CSU-Fraktionschef im Mobilitätsausschuss des Kreistags. "Da müssen wir schon was Gescheites machen."

"Mobilität findet auch in den Köpfen statt."

Mit "Wir" meint Schelle den Landkreis, der mit einer eigenen Mobilitätskampagne mehr Pendler dazu bewegen will, ihr Auto stehen zu lassen und auf S- und U-Bahn, Bus oder Tram umzusteigen. Hierfür investiert der Landkreis eine nicht unerhebliche Summe: Bis zu 1,2 Millionen Euro werden die Ausarbeitung der Kampagne sowie die Steuerung und Begleitung aller Maßnahmen kosten, verteilt auf die kommenden drei Jahre. Es gehe um eine "emotionale Ansprache", sagte Christine Spiegel vom Landratsamt im Ausschuss.

"Mobilität findet auch in den Köpfen statt. Wir wollen deutlich machen, was es bringt, das Auto stehen zu lassen, was man an Zeit, Geld und Lebensqualität gewinnt - und man für die Umwelt tut." Das funktioniere aber nicht "mit erhobenem Zeigefinger", so die Pressesprecherin der Behörde.

CSU-Mann Schelle richtete den Blick über die Landkreisgrenze hinaus: Die Frage, wie dem Verkehrskollaps begegnet werden könne, entscheide sich nicht mehr nur in einer Gemeinde wie Oberhaching: "Wir sind hier beim ÖPNV gut aufgestellt." Der Druck komme von weiter draußen, sagte Oberhachings Bürgermeister, "hinter Dietramszell und noch weiter weg". Pendler aus den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen oder Miesbach müssten ebenfalls erreicht und überzeugt werden, auf das Auto zu verzichten. "Wir sollten überlegen, ob man die Kampagne nicht auch nach dort draußen bringt", schlug Schelle vor.

Die Kampagne soll laut Spiegel ein "eigenständiges Erscheinungsbild" erhalten, das sich deutlich vom Corporate Design des Landkreises abhebt. Auch sollen mehr und modernere Kanäle bespielt werden. "Ein paar Flyer und Pressemitteilungen reichen nicht mehr." Wie beim Stadtradeln könnte in die Kampagne auch ein "spielerischer Wettbewerbsgedanke" einfließen, so Spiegels Kollegin Franziska Herr. Dabei könne etwa interaktiv die persönliche CO₂-Einsparung überprüft werden.

Günter Heyland, Kreisrat der Freien Wähler und Bürgermeister von Neubiberg, fasste die einhellige Meinung seiner Kollegen zusammen: "Wir können dem sich entwickelnden Verkehrskollaps nur mit einer Kampagne begegnen. Es geht ums Bewusstsein."

Eine neue Haltung wünschen sich die Kreispolitiker schon lange auch vom Freistaat, wenn es um den notwendigen Ausbau der Infrastruktur geht. So forderte SPD-Fraktionssprecherin Ingrid Lenz-Aktas im Ausschuss deutlich mehr Investitionen, um etwa auf dem Außenast der S 7 von Neuperlach über Ottobrunn bis Aying ein zweites Gleis und einen dichtere Takt zu realisieren. Landrat Christoph Göbel (CSU) machte allerdings auch deutlich, dass die Infrastruktur vor allem in den urbanen Zentren des Kreises an der Kapazitätsgrenze angelangt sei.

So müssten bei der Kampagne auch Unternehmen mit ins Boot geholt werden, um etwa mit flexiblen Arbeitszeitmodellen die Spitzenzeiten beim öffentlichen Nahverkehr zu entlasten. So könnten neue Kapazitäten frei werden. "Wir werden uns mit Verhaltensfragen viel intensiver beschäftigen müssen, als wir das bisher getan haben", so der Landrat.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2019
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