Süddeutsche Zeitung

Veranstaltung:Tanz auf dem Taufbecken

Sängerin Anka Draugelates, Choreografin Kilta Rainprechter und Organist Christoph Demmler ziehen das Publikum in der Ottobrunner Michaelskirche mit ihren Improvisationen über die Skulptur "Die große Schwebe" in ihren Bann

Von Angela Boschert, Ottobrunn

Spannung liegt in der Luft. Soeben sind die Glocken der Michaelskirche in Ottobrunn verstummt. Schweigend und erwartungsvoll betrachten die Besucher "Die große Schwebe". Die Installation der Nürnberger Künstlerin Meide Büdel schwingt vor dem Altar ganz leicht hin und her. Da wird die Melodie eines Streichinstruments hörbar und erfüllt von hinten kommend den weiten Kirchenraum. Anka Draugelates schreitet Bratsche spielend nach vorne. Die nächsten 40 Minuten gehören ihr, der Choreografin Kilta Rainprechter und Organist Christoph Demmler. Sie lassen sich von dem Kunstobjekt zu Klängen und Akrobatik anregen, bewegen es, bespielen es und ziehen das Publikum mit Improvisationsmusik, ungewöhnlichen Klängen, aber auch Stille in ihren Bann.

Die Gleichzeitigkeit von Macht und Zartheit, die in dem Kunstobjekt schwingt, fasziniert die in Ottobrunn geborene Sängerin und Musiktherapeutin Draugelates. Sie fügt ihrer Bratschenmelodie englisch klingende Wortfetzen hinzu, die einem Volkslied ähneln. Doch es ist kein Lied im klassischen Sinne. Draugelates springt singend aus volltönender Mittellage in höchste Obertöne und zurück, macht aus Sägeblättern Musikinstrumente und nutzt alles, was sich im Raum bietet, um auf den Moment einzugehen. "Anka ist immer für Überraschungen gut", flüstert eine Besucherin. Und bekommt Recht.

Während Draugelates hinten im Kirchenraum ankommt, sind zarte Töne zu vernehmen, einem Glockenspiel ähnlich. Zwischen der "großen Schwebe" und dem Altar steht ein Holzrahmen, in dem kleine runde Sägeblätter dicht an dicht hängen. Sie werden von zwei Klöppeln angeschlagen. Eine Spielerin ist nicht zu sehen. Stattdessen versetzt ein tiefes Wummern der Orgel den Raum ins Schwingen. Kantor Christoph Demmler spielt einen Frequenzton des stählernen Kunstobjekts mit dem Pedal. Die Schwingung greift auf die Zuhörer über, die gebannt lauschen.

Während das Publikum mit dem Staunen über die Töne beschäftigt ist, tastet sich eine Hand den steinernen Sockel des Taufsteins empor. Die Choreografin und Tanzpädagogin Rainprechter hangelt sich elegant hoch. Ausdrucksstark, erzählend. Barfüßig legt sie sich gestreckt auf den Taufstein, windet sich auf ihm in ekstatischen Bewegungen und verharrt zusammengekrümmt auf ihm. Das erinnert an die Entstehung von Leben. Da will etwas heraus, will sich entwickeln. Heraus aus ihrer Verharrung balanciert Rainprechter auf dem Taufstein wie eine Akrobatin. Sie nimmt die Klänge ihrer Musikpartner auf, überträgt sie in Bewegungen. In große und ganz kleine, etwa als sie sich unter die "große Schwebe" legt, deren Trageseile Draugelates mit dem Bogen anstreicht, als wäre es ein Streichinstrument. Immer wieder werden solch zarte Momente mit unerwarteten Geräuschen kontrastiert, etwa dem hohen Quietschen des rostigen Kreissägengongs, der in gewissem Sinne zauberhaft und brutal zugleich links vom Altar steht und optisch wunderbar zu den rostigen Kuben der insgesamt vier Meter langen Skulptur passt.

Draugelates geht es um den Moment, das Wahrnehmen des Hier und Jetzt. Sei es mit Klopfen auf Holz oder akrobatischen Zungenlauten. Sei es durch die Positionierung im Raum, die Ferne und zugleich Nähe zu Rainprechter, mit der sie seit zehn Jahren regelmäßig zusammenarbeitet. Hier in Ottobrunn haben beide in Demmler und dem Toningenieur Martin Sraier-Krügermann von den Münchner Kammerspielen kongeniale Partner gefunden. Zwar verliert der eigene Klang von Büdels Installation durch die eingelegten Mikrofonkästchen an Volumen, dafür scheinen andere Klänge dank Sraier-Krügermann wie magisch von überall her zu kommen.

Aus der intensiven Spannung heraus zollt das Publikum den Künstlern großen Applaus und Dekan Mathis Steinbauer verkündet, dass die "große Schwebe" länger als geplant hängen bleibt, bis mindestens Mitte September. Das gibt Gelegenheit für weitere intensive Begegnungen und Aktionen in der Kirche.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2019
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