Veranstaltung:Panikmache im Namen der Sicherheit

Veranstaltung: Ursula Münch, Martin Voss, Markus Blume und Oliver Bendixen (von links) erörterten die Frage "Wie viel Sicherheit verträgt die Gesellschaft?"

Ursula Münch, Martin Voss, Markus Blume und Oliver Bendixen (von links) erörterten die Frage "Wie viel Sicherheit verträgt die Gesellschaft?"

(Foto: Claus Schunk)

In der Bundeswehr-Universität diskutieren Experten und ein Politiker über den Umgang mit Katastrophen und Terror

Von Anna Reuß, Neubiberg

Wie viel Sicherheit verträgt die Gesellschaft? Dieser Frage hat das Forschungszentrum Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt (Risk) der Universität der Bundeswehr in einer interdisziplinären Tagung eruiert. Einen ganzen Tag lang sprachen Ingenieure, Soziologen, Rechts- und Politikwissenschaftler über den Begriff Sicherheit.

In der Podiumsdiskussion am Nachmittag wurde deutlich, dass Sicherheit nie ohne Unsicherheit bestehen kann. Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung Tutzing und Professorin für Politikwissenschaft, diskutierte mit ihren Gästen zunächst über die Diskrepanz von Sicherheit und Freiheit - nämlich dass es zwar ein Grundrecht auf Freiheit gebe, nicht jedoch auf Sicherheit. Markus Blume, stellvertretender Generalsekretär der CSU, warf ein, dass Freiheit Sicherheit brauche. Er habe das Gefühl, es herrsche momentan ein Defizit an Sicherheit in der Gesellschaft. Den Bürger interessiere nicht die amtliche Polizeistatistik, sondern sein persönliches Sicherheitsempfinden.

Die beiden anderen Experten auf dem Podium widersprachen Blume hingegen deutlich. Martin Voss, Professor und Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der Freien Universität Berlin, sagte, man dürfe nicht plakativ mit mehr Polizeipräsenz reagieren. "Als Katastrophenforscher weiß ich: Katastrophen zeigen sich immer im anschließenden Vertrauensverlust", fügte er hinzu. Vielmehr zeige sich ein tieferliegendes, strukturelles Problem: Die Bürger erlebten einen Kontrollverlust im eigenen Alltag, soziale Netze, wie es sie früher gab, fielen weg, sagte er. Ohnehin sei Sicherheit nur ein soziales Konstrukt. Nach dem Brand in London wurden in Deutschland jeweils ein Hochhaus in Wuppertal und Dortmund evakuiert, obwohl sicherlich mehr Häuser einen minderwertigen Brandschutz hätten. "Es kommt auf die Kommunen an und wer für eine Hochhausräumung die Fahne hochhält", sagte Voss. Nicht einmal in Deutschland hätten wir eine einheitliche Sicherheitskultur.

Auch Oliver Bendixen, der lange Polizeireporter des BR-Hörfunks war und nun regelmäßig als Polizeiexperte im Bayerischen Fernsehen auftritt, war anderer Meinung als der CSU-Politiker: Aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung wisse er, dass sich gar nicht so viel verschlechtert habe. Für problematisch halte er es, wenn nach einem Ereignis der Bevölkerung bewusst Unsicherheit vermittelt werde: "Politiker und Medien sollten nicht alles so aufgeregt deuten", sagte er und erinnerte sich an die Reaktion einer Lokalzeitung aus Bayern nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Das Blatt habe auf seiner Titelseite gefragt: "Wie sicher sind unsere Hochhäuser?" Und sei der absurden Frage auf den Grund gegangen, was passieren würde, wenn in der Kleinstadt ein Flugzeug in ein Hochhaus stürze.

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