Süddeutsche Zeitung

Urteil:Keine grobe Verzerrung der Mehrheitsverhältnisse

Der Kirchheimer Grünen-Gemeinderat Rüdiger Zwarg scheitert vor dem Verwaltungsgericht mit seiner Klage gegen die Sitzverteilung in den Ausschüssen, die ihm zufolge seine Fraktion benachteiligt

Von Anna-Maria Salmen, Kirchheim

Das Verwaltungsgericht München hat die Klage des Kirchheimer Grünen-Gemeinderatsmitglieds Rüdiger Zwarg gegen die Bildung der Ausschüsse des Gemeinderats vor Gericht gescheitert. Bereits bei der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats im Mai 2020 hatten sich die Grünen gegen die Ausschussbildung gewehrt, die ihrer Ansicht nach "in eklatanter Weise" dem "Spiegelbildlichkeitsgebot" widerspricht - also die Mehrheitsverhältnisse des Gremiums nicht abbildet.

Sowohl die SPD als auch die Grünen sind im Gemeinderat mit jeweils vier Sitzen vertreten, in den Ausschüssen ist die SPD mit zwei Sitzen hingegen doppelt so stark. "Die gleiche Schieflage ergibt sich mehr oder weniger gegenüber den anderen Fraktionen", hieß es in der Klageschrift der Grünen.

Ursprünglich habe er vorgeschlagen, die Ausschussgröße wie in der vergangenen Wahlperiode bei elf Sitzen zu belassen und nicht auf zehn zu reduzieren, erläuterte Zwarg. Bei dieser Anzahl würde seinen Angaben zufolge jedes der drei zulässigen Verteilungsverfahren zum gleichen Ergebnis führen. "Die Gemeinde scheint aber auf einer Größe von zehn Sitzen zu bestehen." Darauf basierend sei ausschließlich das Verteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers anzuwenden, mit dem laut Zwarg die im Gemeinderat gleich starken Fraktionen SPD und Grüne jeweils zwei Sitze in den Auschüssen hätten bekommen müssen.

Die Gemeindeverwaltung widersprach und verwies auf eine Abwägung, die man bei der Wahl der Ausschussgröße beachtet habe: Einerseits sollten die kleineren Gremien der Entlastung des Gemeinderats dienen, andererseits müssten sie die politischen Kräfteverhältnisse widerspiegeln, so Rathausgeschäftsleiter Johannes Pinzel. Der Gemeinderat sei bei der Entscheidung zu der Ansicht gekommen, dass eine reduzierte Sitzzahl effizienteres Arbeiten ermögliche. Zudem könne eine Pattsituationen vermieden werden, da der Ausschuss mit dem Bürgermeister auf eine ungerade Stimmenzahl komme.

Nach welchem Verfahren die Ausschusssitze verteilt werden, ist laut Pinzel den Kommunen selbst überlassen, der Gesetzgeber schreibe kein bestimmtes vor. Eine exakte Spiegelbildlichkeit sei ohnehin nicht erreichbar, das bestätige die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. In Kirchheim habe man das Verfahren nach Hare/Niemeyer gewählt, da es vorteilhaft für kleine Gruppen sei und gewährleiste, dass jede Fraktion in den Ausschüssen repräsentiert ist.

Wie Pinzel ausführt, hätte die Ausschussgemeinschaft FDP/Volt nach dem D'Hondtschen Verfahren keinen einzigen Sitz in den Ausschüssen erhalten. Das von Zwarg bevorzugte Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers hätte laut Pinzel zu einer noch größeren Abweichung geführt: Bei Hare/Niemeyer seien zwar die Grünen um 6,7 Prozent schwächer vertreten als im Gemeinderat, würde man Sainte-Laguë/Schepers anwenden, wäre hingegen die CSU um 7,5 Prozent schwächer vertreten. Zwarg argumentiert dagegen: Im Gemeinderat stellten die Grünen 16,7 Prozent der Mandatsträger, im Ausschuss aber nur zehn Prozent. Mithin fehlten den Grünen "ganze 40 Proznet" ihrer Stärke, der CSU hingegen bei einer anderen Berechnung nur 20 Prozent.

Das Verwaltungsgericht folgte der Argumentation der Gemeinde. Das Spiegelbildlichkeitsgebot verbiete lediglich grobe Verzerrungen der Stärkeverhältnisse im Plenum - diese rechtliche Grenze sei in Kirchheim nicht überschritten. Eine unzulässige Diskriminierung der Grünen sei nicht gegeben. Böltl forderte Zwarg angesichts des Urteils auf, "die durchgängig grundlosen und erfolglosen Inszenierungen einzustellen". Der Grüne solle "zurück an den Ratstisch" kommen und mit den restlichen Kommunalpolitikern konstruktiv an den Sachthemen arbeiten.

An Aufgeben denkt Zwarg nicht: "Ich sehe nach wie vor Grundrechte verletzt, die Chancengleichheit der Parteien ist nicht gegeben. Das Gericht ist darauf überhaupt nicht eingegangen." Die Grünen hätten daher bereits Berufung beantragt.

Auch Zwargs Strafantrag gegen Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU) und Rathausgeschäftsleiter Johannes Pinzel ist gescheitert. Hintergrund war eine in den Kirchheimer Mitteilungen veröffentlichte Kolumne Zwargs, in der er angedeutet hatte, der Bürgermeister habe sich beim Kauf von Grundstücken für einen Radweg der Vetternwirtschaft schuldig gemacht. Die Gemeinde hatte neben der Kolumne den Hinweis abgedruckt, Zwargs Ausführungen würden nicht den Tatsachen entsprechen. Zwarg sah sich durch diese Reaktion verleumdet und der Lüge bezichtigt.

Der Hinweis der Gemeinde sei als Meinungsäußerung zu deuten, so begründete der Oberstaatsanwalt die Einstellung des Strafantrags. Zwargs Kolumne sei als subjektive Darstellung einzuordnen, der die Gemeinde mit einer - ebenfalls subjektiven - Gegendarstellung entgegengetreten sei. Zudem könne man den Hinweiskasten nicht isoliert betrachten. Zwargs Kolumne sei "durchaus von Polemik und Pointen geprägt", merkte der Oberstaatsanwalt an. Der Grüne bediene sich negativ behafteter Begriffe wie "Amigo" oder "Komplizen". "In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass, wer sich politisch und in öffentlich exponierter Weise geäußert hat, auch in erhöhtem Maße Kritik erdulden muss", heißt es in der Begründung.

Zwarg kann dem Urteil des Staatsanwalts eigener Aussage nach zwar nicht folgen, will die Anzeige aber auf sich beruhen lassen: "Es gibt wichtigere Themen."

In einer ersten Fassung waren zwei inhaltliche Fehler. So hat das Verwaltungsgericht München nur die Klage des Grünen-Gemeinderats Rüdiger Zwarg gegen die Gemeinde Kirchheim abgewiesen. Bei dem zweiten Verfahren handelte es sich nicht um eine Klage, sondern um eine Strafanzeige Zwargs gegen Kirchheims Bürgermeister und dessen Geschäftsleiter, die von der Staatsanwaltschaft nicht weiterverfolgt wird. Auch konnte fälschlich der Eindruck entstehen, es sei vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und nicht vom Verwaltungsgericht München die Rede.

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SZ vom 15.07.2021
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