Unterschleißheim:Erst die Förderung, dann die Inklusion

Unterschleißheim: Reiner Ulbricht schätzt die vielfältige Arbeit, die am Sehbehinderten- und Blindenzentrum in Unterschleißheim geleistet wird.

Reiner Ulbricht schätzt die vielfältige Arbeit, die am Sehbehinderten- und Blindenzentrum in Unterschleißheim geleistet wird.

(Foto: Robert Haas)

Reiner Ulbricht ist neuer Leiter des Sehbehinderten- und Blindenzentrums Südbayern. Der 51-Jährige will Kinder mit Beeinträchtigungen durch gezielte Unterstützung stark machen für den weiteren Lebensweg.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Reiner Ulbricht hat sich letztens eine Spezialbrille aufsetzen lassen, die das Gesichtsfeld einschränkt. Was links und rechts von ihm passierte, bekam er dadurch zunächst gar nicht mit. Dann simulierte die Brille auch noch Netzhaut-Ausfälle. Er sah an gewissen Stellen einfach gar nichts. Für den neuen geschäftsführenden Vorstand des Sehbehinderten- und Blindenzentrums Südbayern (SBZ) in Unterschleißheim waren das Erfahrungen, die ihm zeigten, um was es an seiner neuen Arbeitsstelle geht - auf diesem 3,4 Hektar großen Einrichtungsgelände im Zentrum von Unterschleißheim, das wie ein Dorf in der Stadt wirkt. Sie ist Krippe, Schule, Internat, Hort, Förder- und Beratungsstelle - oder kurz gesagt: das Kompetenzzentrum schlechthin für junge Menschen mit Sehbehinderungen und deren Familien zwischen Neu-Ulm, Ingolstadt und Garmisch-Partenkirchen.

Der 51 Jahre alte Ulbricht sitzt als Nachfolger von Hildegard Mayr im Direktorenbüro, die 14 Jahre die Einrichtung geführt und geprägt hat. Nach einer dreimonatigen Übergangsphase genießt der Unterhachinger seit kurzem alleine vom sechsten Stock des Verwaltungsturms aus den Blick auf die Alpenkette. Ulbricht weiß, das ist ein Privileg, gerade in seinem Haus, das darauf ausgelegt ist, Kinder mit Sehbehinderung oder völligem Sehverlust von klein auf und dann als Jugendliche zu unterstützen. Sie lernen einfachste Dinge in der Krippe. Danach geht es für sie darum, Fuß zu fassen in einer fremden Welt und selbständig zu werden, bis hin zur Mittleren Reife und Hochschulreife. Das Ziel sei, den jungen Menschen "Selbstbewusstsein mitzugeben" fürs Leben, sagt Ulbricht, und "Durchsetzungsvermögen".

Reiner Ulbricht wollte Architektur studieren, aber als er als junger Mann mit Menschen mit Behinderung zusammenarbeitete, sattelte er um. Er ging auf die Stiftungsfachhochschule für Sozialwesen in München und qualifizierte sich bald fürs Management weiter. Ulbricht leitete ein Wohnheim für Kinder mit Mehrfachbehinderung. Als Landesfachreferent für Behindertenhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband war er als Netzwerker gefragt und verdiente sich später weitere Meriten in Führungspositionen beim Caritasverband. Es ging irgendwann im Job viel um Controlling. Und das Bedürfnis wuchs, wieder "operativ" tätig zu sein, wie Ulbricht sagt - das Management-Vokabular geht ihm bis heute locker von den Lippen.

Unterschleißheim: Technische Geräte helfen, trotz Sehbehinderung zu lernen und selbständig zu sein.

Technische Geräte helfen, trotz Sehbehinderung zu lernen und selbständig zu sein.

(Foto: Robert Haas)

Ihn zog es zurück an die Basis. Das Chefbüro, das man gut als Stübchen im Elfenbeinturm verstehen könnte, ist ihm gar nicht so recht. Er hoffe, dass seine Mitarbeiter so oft wie möglich den Weg hinauf zu ihm fänden, sagt er dort am Besprechungstisch bei einem Treffen. Er suche selbst immer den direkten Kontakt. Bei einem Gang durchs weitläufige Gelände zeigt sich Ulbricht gut vertraut mit seiner neuen Wirkungsstätte: hier der Gebäudekomplex mit den Beratungsstellen, dort eine Wohngruppe und dort das Hallenbad und die Sporthalle, die neben einer großen Freisportanlage liegen.

Unterschleißheim: Das Sehbehinderten- und Blindenzentrum liegt direkt gegenüber dem Bürgerhaus und ist mit seinen Backstein-Gebäuden wie ein kleines Dorf in der Stadt.

Das Sehbehinderten- und Blindenzentrum liegt direkt gegenüber dem Bürgerhaus und ist mit seinen Backstein-Gebäuden wie ein kleines Dorf in der Stadt.

(Foto: Robert Haas)

Reiner Ulbricht ist dafür verantwortlich, dass die Einrichtungen im SBZ-Verbund mit 200 Beschäftigten, von denen 165 beim SBZ angestellt sind, gut laufen. 121 Schülerinnen und Schüler besuchen die Grund- und Mittelschule, 71 die Realschule. Da geht es um Fördermittel, Personalpolitik und auch darum, die Schulleiter zu unterstützen, für diesen Job qualifiziertes Personal zu finden. Die Akquise von Schülern, die bis zu zwei Stunden Anfahrtsweg auf sich nehmen, ist ein Thema. Netzwerken ist weiterhin wichtig.

Der SBZ-Vorstand arbeitet mit dem Bayerischen Blindenbund zusammen und mit Institutionen von München bis Würzburg. Das SBZ selbst ist Anlauf- und Beratungsstelle für Eltern, Erzieherinnen und Erzieher sowie für Lehrkräfte aus ganz Oberbayern, Niederbayern und Schwaben. SBZ-Lehrkräfte fahren als mobiler Dienst an Regelschulen. Sie helfen, dass Inklusion mit sehbehinderten Kindern funktioniert und stehen Lehrern zur Seite. 107 Kinder werden in der aufsuchenden Hilfe unterstützt. Reiner Ulbricht sagt, es sei für ihn eine Herausforderung zu sehen, ob das, was er als Führungskraft vorgebe, auch wirklich funktioniert. "Das SBZ ist ein kleines, überschaubares Unternehmen mit enormer Vielfalt des Angebots."

Dabei betont Ulbricht gerne die Möglichkeiten am Standort in Unterschleißheim mit speziellen Geräten, Tast-Modellen und dem geballten Wissen der Beschäftigten. Er sehe Grenzen, sagt er, im Sinne der Inklusion draußen in den Regelschulen zu wirken. Manchmal seien die Anforderungen zu umfangreich. Ulbricht wirbt dafür, Kindern und Jugendlichen im SBZ fürs Leben zu stärken und dann losziehen zu lassen. Wann ist also der richtige Moment für Inklusion? "Vielleicht beginnt sie, wenn man aus der Schule rauskommt", sagt Ulbricht.

Jedenfalls stehen Blinden und Menschen mit Sehbehinderung viele Türen offen, wenn sie Unterstützung bekommen. Die Digitalisierung und technischen Neuerungen schafften neue Möglichkeiten, sagt SBZ-Chef Ulbricht, dessen Einrichtung gemeinsam mit der Fach- und Berufsoberschule in Unterschleißheim viele Schüler schon bis zu Studienreife geführt hat.

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