Süddeutsche Zeitung

SZ-Kulturpreis "Tassilo":"Der Preis hat uns extrem motiviert"

Die Unterschleißheimer "Regenschirmpoeten", die 2021 zu den Tassilo-Hauptgewinnern gehörten, sind mit ihrer Leiterin Sophie Kompe weiter sehr aktiv - auf der Bühne wie vor der Kamera. Jetzt gesellt sich eine zweite Gruppe hinzu.

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Der Wochenend-Ausflug, den sich die "Regenschirmpoeten" von ihrem Tassilo-Preisgeld leisteten, hat Sophie Kompe deutlich verjüngt. Zumindest gefühlt. Die 36-jährige Leiterin der Dichtergruppe sah sich selbst in Teenagerzeiten zurückversetzt, wie sie erzählt, als ihre vier Zimmergenossinnen, zumeist Studienanfängerinnen, im Tiroler Ferienhaus auf einmal recht unverblümt über Jungs zu sprechen begannen. Beim Ausflug im Herbst 2022, der vornehmlich als poetischer Workshop diente - und bei dem auch drei männliche Junglyriker dabei waren - wurde aber nicht nur über romantisch inspirierte Themen geredet, sondern generell über Texte diskutiert, zusammen gespielt, sogar gruppengekuschelt und natürlich gedichtet. "Das muss man machen. Man lernt sich noch mal ganz anders kennen", erinnert sich Kompe fröhlich.

Die Gründerin und Leiterin der Unterschleißheimer "Regenschirmpoeten", die 2021 mit einem Tassilo-Hauptpreis ausgezeichnet wurden, ist ohnehin immer wieder überrascht, welch Kreativität und was für Wesenszüge sich in "ihren" jungen Wortakrobaten mitunter entfalten: "Es ist erstaunlich, was sie sich zutrauen, wie sie sich entwickeln. Die Bühne macht aus Menschen Persönlichkeiten." Aktiv waren die Regenschirmpoeten - die aus dem Dunstkreis des Unterschleißheimer Carl-Orff-Gymnasiums stammen und sich einmal in der Woche im Jugendkulturhaus "Gleis 1" treffen, um Techniken des kreativen Schreibens und Vortragens zu üben - indes in der jüngeren Vergangenheit gar nicht so sehr auf der Bühne.

Im Winter und Frühjahr 2022 wurde etwa im örtlichen Capitol-Kino die zweite Staffel ihrer Kurzfilmreihe "Dreh-durch-Donnerstag" gezeigt, deren Entstehungsgeschichte auf die Lockdown-Zeit zurückgeht: Neun selbst gestaltete poetische Clips, von denen allwöchentlich ein neuer als Vorfilm auf der Leinwand im "Capitol" lief und danach auf dem YouTube-Kanal der Poeten abrufbar war. Nicht nur Stefan Stefanov, der Betreiber des Arthouse-Kinos, der selbst einen Tassilo-Preis bekommen hat (2016), zeigte sich begeistert. Auch der Unterschleißheimer Bürgermeister Christoph Böck war von Filmen, Gedichten und musikalischen Einlagen der Regenschirmpoeten beim Besuch der Dernière so angeregt, dass er sie danach für den "Sommerempfang" der Stadt als Protagonisten engagierte.

In der Tat wurde bei dem Filmabend erneut deutlich, welch künstlerisches Potenzial sich hier entfaltet. Nur ein Beispiel ist Marie Berkholz, die schon beim Jugendfilmfestival Oberbayern 2021 mit ihrem Dreh-durch-Film "Teenager" einen Preis gewann. Gearbeitet wurde beim Filmen ziemlich professionell, teils mit Drohnen, Videoschnitt-Effekt oder Greenscreen. "Der Tassilo-Preis hat uns extrem motiviert, noch eine zweite Staffel zu drehen", sagt Kompe. "Wir haben einiges in die Technik investiert." Einige Schülerinnen realisierten ihre ambitionierten und zeitraubenden Film- und Textprojekte, obwohl für sie das Abitur anstand.

Poetry-Slammer in spe

Inzwischen studieren etliche Mitglieder der 2018 gegründeten Regenschirmpoeten, manche in München, manche anderswo. "Es gibt einen harten Kern, der regelmäßig kommt, und zwei aus der Schule haben wir auch noch", so Kompe. Diese ältere Generation, die immer wieder mal für Auftritte bei Firmen- und Vereinsfeiern oder Wohltätigkeitsevents eingeladen wird, bekommt aber bald Zuwachs. Von Februar an bietet Sophie Kompe, die als freie Filmemacherin, Autorin und Moderatorin arbeitet, ehrenamtlich eine zweite Gruppe für jüngere Dichterinnen und Poetry-Slammer in spe an: Kinder der fünften und sechsten Klasse des Carl-Orff-Gymnasiums. Die wöchentlichen Treffen im "Gleis 1" finden dann am Mittwochabend nacheinander für die Jüngeren und Älteren statt.

Man darf behaupten, dass die Regenschirmpoeten in kurzer Zeit zu einer lokalen Institution avanciert sind. Dass sich da junge Menschen treffen, sich poetisch-spielerisch ausprobieren und mit professioneller Qualität auf der Bühne agieren, hat sich rumgesprochen - nicht zuletzt durch den Tassilo-Preis. Das Kompetitive klassischer Poetry-Slam-Wettbewerbe spielt bei ihnen eher keine Rolle. "Die Teamarbeit steht im Vordergrund", sagt Kompe. Bei den von ihr mit organisierten Unterschleißheimer Poetry-Slams sind die Regenschirmpoeten auch nicht als Teilnehmer, sondern in der Jury tätig. Kompe, die neben Lust an Sprache, Wortwitz und Performance vor allem die dafür nötige Lockerheit zu vermitteln sucht, will freilich auch eine Lesebühne etablieren, auf der speziell ihre jungen Eleven Lyrisches darbieten können: ohne Wettkampf - aber vermutlich auch ohne Gruppenkuscheln.

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