Der Bankmitarbeiter hinter dem Schalter ist weg. Keiner sagt beim Betreten der Bankfiliale mehr „Grüß Gott“. Und doch soll es auch in den abgespeckten Niederlassungen der Raiffeisenbank München-Nord weiter eine persönliche Ansprache geben. An vier Standorten mit eingeschränkten Öffnungszeiten – am Rathausplatz in Unterschleißheim, in der Lerchenau, in der Fasanerie sowie am Harthof in München – können Kunden sich per Video-Call mit einem Mitarbeiter der Bank verbinden lassen. Und zwar nicht mit einem Avatar, sondern „in echt und in Lebensgröße“, wie Bank-Vorstand Jürgen Kaltenbacher beim analogen Pressegespräch anlässlich der Präsentation der Bilanz 2023 sagt.
Die Bank mit Hauptsitz an der Bezirksstraße in Unterschleißheim steht im 130. Jahr ihres Bestehens unter Druck. Sie unterhält Standorte im Norden und Westen der Landeshauptstadt, das Gebiet reicht bis nach Fahrenzhausen im Landkreis Freising. Gut 9000 Genossen halten Anteile. Im Aufsichtsrat sitzen zwei Landwirte, ein Metzgermeister und ein Bauunternehmer. Der direkte Kontakt zum Kunden ist wichtig. Doch einfach so weitermachen kann man nicht. Kaltenbacher spricht vom „Spagat“, den die Digitalisierung und die wirtschaftlich schwierigen Zeiten erforderlich machten.
Die Geschäftszahlen im Jahr 2023 bezeichnet die Bank selbst als „solide“. Man blicke auf ein „zufriedenstellendes“ Jahr zurück. Die Bilanzsumme sank von 917 auf 893 Millionen Euro. Wie im Vorjahr vertrauten die Kunden der Raiffeisenbank München-Nord 1,2 Milliarden Euro an. 411 Millionen Euro wurden an Krediten ausgegeben. Die in Kundendepots investierten Werte stiegen auf 244 Millionen Euro, was der Bank zufolge mit den höheren Zinserwartungen zu tun hat. Bei 616 000 Euro lag der Jahresüberschuss. Gut 400 000 Euro gingen in die Rücklagen. Die Eigenkapitalquote wurde ausgebaut auf 15,8 Prozent. Auf Vorschlag des Vorstands wird die Dividende von 3,0 auf 3,5 Prozent erhöht. 200 000 Euro werden an die Anteilseigner ausgeschüttet.
Die Welt scheint also in Ordnung in der Bank, die sich mit 119 Mitarbeitern als bedeutenden Arbeitgeber im Münchner Norden präsentiert. Trotzdem zeichnet Vorstandschef Peter Reischmann im Pressegespräch ein düsteres Bild der Wirtschaftslage insgesamt. Daran ändert auch nichts, dass just zu Beginn der Runde bekannt wird, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins um 0,25 Punkte auf 4,25 Prozent senkt. Dies sei allenfalls „ein erster Lichtblick“, sagt Reischmann. Deutschland sei wirtschaftlich „nicht mehr so optimal aufgestellt“. Die Baubranche werde sich nur langsam erholen. Die Baupreise hätten sich verdoppelt. Die Zyklen seien im Bausektor lang. Vor allem beklagen die Bankvorstände eine wachsende Bürokratie.
Fünf Jahre war Johann Roth in der Bankführung der Mann an Reischmanns Seite. Ende Juni geht er in den vorgezogenen Ruhestand und bekennt offen, dass der „Bürokratismus“ ein „nicht unerheblicher Faktor“ sei für seine Rückzug. „Heute kriegen Sie ein ganzes Buch, wenn Sie einen Kreditvertrag unterschreiben“, sagt er. Früher hätten ein, zwei Seiten gereicht. Dasselbe gelte eins zu eins im Anlagegeschäft. „Wir kriegen immer mehr Auflagen“, sagt auch Reischmann. Der Wirtschaft würden Prügel zwischen die Beine geworfen. Seit Anfang des Jahres ist Jürgen Kaltenbacher Mitglied des Vorstands. Er tritt an Roths Stelle. Roth war 44 Jahre im Genossenschaftsverband tätig, sieben Jahre bei der Raiffeisenbank München-Nord und fünf Jahre als Vorstand.
Für die Video-Calls an den nicht mehr mit Personal besetzten Standorten hat die Bank selbst ein Kundendienstleistungscenter eingerichtet. Die Kunden sollen mit bekannten Mitarbeitern verbunden werden und nicht mit Fremden aus einem Call-Center. In den Video-Call-Stationen könnten Kunden Dokumente scannen und würden über eine sichere verschlüsselte Datenleitung bei vielen Anliegen unterstützt, teilt die Bank mit. Seit Juli 2023 gebe es dieses hybride Angebot, die Nutzung nehme zu. Ein Ausbau sei geplant.