Nationalsozialismus:Das schwierige Gedenken an die Hölle von Lohhof

Nationalsozialismus: Um das Konzept der Künstlerin Kirsten Zeitz zu retten, muss der Historiker Maximilian Strnad (von links mit Bürgermeister Christoph Böck und einem Modell des Gendenkortes) umplanen.

Um das Konzept der Künstlerin Kirsten Zeitz zu retten, muss der Historiker Maximilian Strnad (von links mit Bürgermeister Christoph Böck und einem Modell des Gendenkortes) umplanen.

(Foto: Florian Peljak)

Unterschleißheim arbeitet trotz fehlenden Grundstücks weiter an einem Erinnerungsort für die Zwangsarbeiterinnen der Flachsröste. Die Eröffnung ist jetzt 2023 geplant.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Die Arbeit war hart: zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und die Kapos hatten alles im Blick. Der Einsatz in der Flachsröste Lohhof GmbH war als die "Hölle von Lohhof" berüchtigt. Mit insgesamt etwa 300 jüdischen Zwangsarbeitern und - vor allem - Zwangsarbeiterinnen war die Flachsröste Lohhof von 1941 an der größte Arbeitgeber, bei dem Münchner Juden eingesetzt wurden. Dazu kamen Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine, aus Russland, Polen, Belgien und französische Kriegsgefangene. Das Schicksal der etwa 500 Geknechteten war in Unterschleißheim lange vergessen. Die Bestrebungen, einen Gedenkort zu schaffen, erlitten unlängst einen Rückschlag, weil ein dafür vorgesehenes Grundstück anders als gedacht nicht der Stadt gehört. Maximilian Strnad, der als Historiker das Projekt betreut, kündigt jetzt ein überarbeitetes Konzept an. Die Eröffnung sei für das Jahr 2023 geplant.

Zwangsarbeit war im NS-Unrechtsstaat ein Massenphänomen und auch in Unterschleißheim damals keineswegs auf den seit 1936 nahe dem Bahnhof Lohhof ansässigen Flachsröste-Betrieb beschränkt. Der Mangel an Arbeitskräften führte Strnad zufolge im gesamten Deutschen Reich dazu, dass während des Kriegs in Betrieben Zwangsarbeiter beschäftigt wurden. Aufgearbeitet wird das vielerorts erst jetzt. Das NS-Dokumentationszentrum hat zum Beispiel mit "Departure Neuaubing - Europäische Geschichten der Zwangsarbeit" ein digitales Projekt initiiert, das das Leid Tausender im Reichsbahnausbesserungswerks in Neuaubing thematisiert.

Auch die Erinnerungs- und Lernarbeit in Unterschleißheim soll intensiv im Netz laufen. Schüler des Carl-Orff-Gymnasiums haben bereits Biografien von Arbeiterinnen in einem Podcast dokumentiert, der über die App Actionbound abrufbar ist (https://www.carl-orff-gym.de/unterricht/pseminare/flachsroeste-lohhof/). Eine Website ist unter www.denkmal-lohhof.de vorgesehen. An Stelen soll man QR-Codes scannen können. Die Namen der Opfer der Flachsröste will Strnad in einem digitalen Erinnerungsprojekt weltweit zugänglich machen.

Die Probleme, die man jetzt hat, sind analoger Natur. Das fehlende Grundstück an der Carl-von-Linde- und Johann-Kotschwara-Straße war der Ort des Leidens. In dem Bereich befanden sich die Produktionsstätte und die Baracke, in der Zwangsarbeiterinnen auch direkt untergebracht waren. Ein Großteil kam 1941 und 1942 täglich von München mit dem Zug in Lohhof an. Das alles soll der Gedenkort möglichst auch jetzt noch abbilden.

Ein Großteil des Konzepts der Künstlerin Kirsten Zeitz ist von der neuen Situation nicht betroffen. Am Bahnhof, vor der Fachoberschule, geht es um zwei Pflanzflächen mit Stauden-Lein, also der symbolträchtigen blau blühenden Flachspflanze. Stelen sollen mit Metallsilhouetten darauf die Zwangsarbeiterinnen schemenhaft sichtbar machen. Den Weg zum Arbeitsplatz sollen Stelen markieren und im Boden versenkte flachsblaue Betonblüten, dazu ein Metallband mit den Namen der Opfer. Die Herausforderung ist laut Strnad jetzt, den neuen zentralen Gedenkort so zu platzieren, dass der Ort, an dem noch ein Teil der historischen Gebäude steht, nicht aus dem Blick gerate. Solche Überreste seien elementar für einen Lernort.

Viele Arbeiterinnen erlebten dort Fron und Demütigung. Bis zu 1000 Waggons Flachsstroh im Jahr wurden unter Akkord verarbeitet. Das Material wurde in Becken gewässert, um aufwendig die Fasern zu lösen. Die Produktion galt als kriegswichtig, weil Nazi-Deutschland von Baumwoll-Importen abgeschnitten war. Aus Flachs wurden Stoffe fürs Militär hergestellt. Strnad hat in einer von der Stadt Unterschleißheim im Jahr 2010 in Auftrag wissenschaftlichen Arbeit Licht in die Vorgänge dort gebracht. Dabei war die Quellenlage dünn. Als sich am 28. April 1945 im Kampf gegen die US-Armee eine SS-Einheit in den Gebäuden verschanzte, brannten diese nieder. Weitere Unterlagen wurden laut Strnad vernichtet. Seine Hauptquelle sind Tagesberichte von Rolf Grabower, der selbst Jude war und von der Arisierungsstelle als Leiter des "jüdischen Arbeitskommandos Lohhof" installiert worden war.

Bis heute läuft neben den Planungen für den Gedenkort die Recherchearbeit, um den Opfern Namen zu geben. Viele stammten aus der Ukraine und Russland, was die Aufklärung erschwert. 68 Frauen kamen aus dem jüdischen Ghetto Lodz nach Lohhof. Und viele waren Münchner Jüdinnen, die vor der Deportation zum Arbeitseinsatz abbestellt waren. Die 46-jährige Elisabeth Kühl versuchte im März 1942 wie zuvor schon zu fliehen. Man griff sie in Tirol auf. Diesmal brachte man sie nicht nach Lohhof zurück. Sie starb am 11. Oktober 1942 im Vernichtungslager Auschwitz.

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