Kreis und quer:Cannabis für MVV-Kunden

Die Expressbusse lösen das Hauptproblem des überlasteten Verkehrsnetzes nicht. Bahnkunden bleibt weiter nur Sarkasmus und die Hoffnung auf Nervennahrung.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Bernhard Hübl schaut aus wie jemand, der auch mal für einen Spaß zu haben ist. Er hat etwas von einem Alt-68er mit seinem längeren, etwas zotteligen Haar und verfügt über eine Mimik, die wie nichts zwischen stoischer Ruhe, ungläubigem Erstaunen und verschmitztem Lachen wechselt, wenn es zu absurd wird. Das alles ist zu erleben in einem ARD-Bericht, für den der Zweite Bürgermeister von Kallmünz mit dem Bus von seinem Wohnort bei Regensburg ins sechs Kilometer entfernte Dietldorf fährt. Es ist eine Odyssee. Hübl kauft drei Tickets, zuckelt über 25 Haltestellen erst nach Regensburg und dann wieder raus aufs Land. Er fährt verlassene Weiler an und kommt nach drei Stunden und fünf Minuten an. Wer das sieht, dankt Gott für die Erfindung des MVV. Und jetzt gibt es sogar noch die Expressbusse mit dem großen X vor der Liniennummer.

Wie sein Kollege in Kallmünz hat sich auch Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck in einen Bus gesetzt. Er hat am vergangenen Sonntag den X202 vom S-Bahnhof in Unterschleißheim zur U-Bahn nach Garching genommen und den Weg in 13 Minuten zurückgelegt. In einem 60-Sekunden-Video wirbt Böck für die neuen Verbindungen, die praktisch eine Ringlinie rund um München schaffen und Unterschleißheim, Garching, Ismaning, Kirchheim, Haar, Hohenbrunn und Oberhaching miteinander verbinden. Keiner muss mehr nach München rein und wieder raus fahren, wenn er in den Nachbarort will. Aber die eigentliche Katastrophe bleibt damit bestehen: der gerade auf der Linie S1 notorisch unzuverlässige S-Bahn-Verkehr. Von Schnellbahn, wofür das S steht, kann schon lange keine Rede mehr sein. Die neuen Buslinien sind daher vielleicht eine Alternative, wenn die S-Bahn wieder einmal nicht kommt. Der Express-Bus zur U-Bahn nach Garching könnte so etwas wie der neue Schienenersatzverkehr werden.

Im Vergleich zu dem, was sich auf Bahnsteigen im Landkreis abspielt, weil Züge nicht oder verspätet kommen, stellt sich die Odyssee von Kallmünz nach Dietldorf wie eine absurde Kaffeefahrt dar. Es sind Dramen, die kaum noch Nachrichten produzieren, aber ungemein viel Frust. Auf Online-Foren ist das zu verfolgen. Sarkasmus gehört dort zum normalen Ton. "Ich war heute Abend von Laim bis Eching zweieinhalb Stunden unterwegs", schreibt eine Bahnkundin am 6. Dezember. "Zu Fuß?", kommt zur Antwort. "Die S1 ist die Chaos-Bahn", schreibt ein anderer. Und wieder ein anderer: "Die Störungen kommen wirklich zuverlässig." Angesichts dessen hoffen Verzweifelte, die ihren Humor bewahrt haben, beim MVV auf das innovative Bahnticket aus Hanf, das die Berliner Verkehrsbetriebe anpreisen. Das könnte man dann vor Ärger am Bahnsteig aufessen. "Das soll die Nerven beruhigen", schreibt einer. Und ein anderer meint: "Dann bräuchten wir entlang der gesamten Strecke der S1 komplette Plantagen."

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