Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis München:Ärzte müssen Impfwillige wegschicken

Bei zwei parallelen Immunisierungsaktionen in Unterschleißheim bilden sich am Donnerstag so lange Schlangen, dass nicht alle bis zum Abend eine Spritze bekommen. Dabei wäre inzwischen wieder genug Vakzin da.

Von Iris Hilberth und Sabine Wejsada, Unterschleißheim

Um kurz nach zwei müssen die ersten in der langen Warteschlange auf dem Unterschleißheimer Volksfestplatz weggeschickt werden. Impfstoff wäre zwar noch genug vorhanden, aber dem Impfteam, das an diesem Donnerstag seit in der Früh eine Spritze nach der anderen setzt, läuft die Zeit davon. Magdalena Englbrecht von den Maltesern und Impfarzt Matthias Auer bedauern das: "Es ist einfach nicht zu schaffen", sagt die Sanitäterin. Die Aktion läuft bis um 17 Uhr.

Am frühen Nachmittag hat Auer, der normalerweise in der Notaufnahme einer Münchner Klinik Dienst tut, nach eigenen Angaben bereits 150 Menschen geimpft. Es könnten an dem Tag doppelt so viele sein, aber dafür reicht die Zeit nicht mehr. Am Ende sind im Impfbus 220 Spritzen gesetzt worden. Es ist der Tag, an dem die Inzidenz im Landkreis auf 415,2 klettert und das Landratsamt einen weiteren Todesfall meldet. Eine Frau Anfang 60 ist nach einer Corona-Infektion im Krankenhaus gestorben.

Die Nachricht vom großen Warten am Impfbus hat das Landratsamt längst erreicht. Dort wertet man die aktuelle Impfwilligkeit zunächst einmal positiv. "Wir freuen uns über diesen großen Zuspruch für die Impfaktionen", teilt die Behörde mit. Insgesamt überwiege der Anteil der Booster-Impfungen, jedoch sei auch ein Anstieg an Erstimpfungen zu verzeichnen. Das Dilemma, den Andrang aktuell kaum bewältigen zu können und den Leuten vor der ersehnten Spritze eine große Portion an Geduld abzuverlangen, will das Landratsamt rasch beheben. Man arbeite bereits intensiv daran, mit wesentlich erhöhten Kapazitäten die Wartezeiten zu verkürzen, so Sprecherin Christine Spiegel.

Fünf Stunden in der Warteschlange

Hildegard Schairer, 73, steht seit 8.45 Uhr an und hat es gleich geschafft. Der früheren Realschullehrerin aus Unterschleißheim ist die Freude darüber anzusehen, dass sie in ein paar Minuten ihre Booster-Impfung bekommt. Ärgern, dass ihr an diesem Donnerstag so viel Stehvermögen und Geduld abverlangt werden, mag sie sich nicht, wie sie sagt. In der langen Schlange hätten sich schließlich "lustige Gesprächsrunden" ergeben, ergänzt die in gebotenem Abstand neben ihr stehende Hiltrud Brinkschulte. Die 80-Jährige ist ebenfalls schon vor dem offiziellen Beginn der Impfaktion zum Festplatz gekommen, hat sich zwischendrin einmal kurz weggestohlen, um sich von zuhause ein bisschen Schokolade zu holen. Nervennahrung kann an einem solchen Tag jeder brauchen. Und auch eine portable Sitzgelegenheit schadet nicht - vor allem, "wenn man es mit den Knien hat" wie Waltraud Fichtel. Die 81 Jahre alte Unterschleißheimerin hat sich einen knallroten Klappstuhl mitgebracht, fünf Stunden lang anstehen, nein, das hätte sie nicht geschafft, sagt sie.

Schon eine ganze Weile, bevor der Impfbus um 9 Uhr überhaupt seine Türen öffnete, hatte sich der Volksfestplatz mit Wartenden gefüllt. Mehr als 250 Frauen und Männer jedes Alters hätten sich da in einer langen Schlange eingereiht, berichtet Steven Ahlrep, Pressesprecher der Stadt Unterschleißheim. Als einwohnerstärkste Kommune im Landkreis München habe man einen solch großen Andrang erwartet und auf die Erfahrungen von den ersten Stationen der Impfbustour im Würmtal Anfang der Woche geblickt, sagt Ahlrep.

Aus diesem Grund habe die Stadt in Absprache mit dem Landratsamt am Rathaus eine zweite Aktion gestartet. Dem Unterschleißheimer Mediziner Friedrich Kiener, der bis zur staatlich verordneten Schließung das örtliche Impfzentrum leitete, sei es gelungen, Vakzin für 500 Spritzen aufzutun. Mitarbeiter der Stadt informierten deshalb die Wartenden und vor allem die Weggeschickten auf dem Volksfestplatz, dass sie sich auch am Rathaus ihren Piks abholen könnten. Zahlreiche sind diesem Tipp gefolgt, wie Ahlrep am Nachmittag berichtet: "Zeitweise ging die Schlange bis hinter zur S-Bahn."

Dass es in Unterschleißheim eine zweite Impfaktion gibt, um den Landkreis-Bus zu entlasten, hat die Stadt laut Ahlrep zunächst nicht an die große Glocke gehängt. Im Laufe des Tages aber, als absehbar gewesen ist, dass auf dem Volksfestplatz nicht alle immunisiert werden können, wurde der Aufruf, fürs Impfen zum Rathaus zu kommen, auf der Homepage und in den sozialen Medien geteilt. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile.

SZ-Leser Franz Mayer hat nach eigenen Angaben beide Impfaktionen aufgesucht und gesehen, was er "leider auch befürchtet habe", schreibt er. Die Menschen müssten in langen Schlangen im Freien stehen und warteten Stunden, bis sie vielleicht drankommen. Gerade für ältere Personen sei dies "eine verantwortungslose Zumutung". Er frage sich, "wie lange der Landrat mit impfwilligen Personen auf diese Weise umgehen darf", und ob dieser "auch in der kalten Jahreszeit ohne das inzwischen leider abgebaute Impfzentrum und ohne Voranmeldung auskommen" wolle, "in einer Stadt mit rund 30 000 Einwohnern".

Das Impfzentrum in Haar ist laut Landratsamt aktuell auf eine Kapazität für 1000 Impfungen pro Tag ausgelegt, habe aber das Potenzial, auf über 1750 Impfungen pro Tag ausgebaut zu werden. Hier besteht auch die Möglichkeit der Terminbuchung über das Registrierungsportal Bayimco. Allerdings muss man auch hier aktuell trotz Termins mit längeren Wartezeiten rechnen.

Zudem hat Landrat Christoph Göbel (CSU) vergangene Woche sogenannte Pop-up-Impfstationen in möglichste vielen Gemeinden versprochen. Konkrete Informationen dazu gibt das Landratsamt aber noch nicht heraus. "Die Regierung von Oberbayern hat uns heute die Genehmigung erteilt, alle erforderlichen Kapazitäten zu schaffen", teilt Sprecherin Spiegel mit. Das Landratamt sei "in intensiven Vorbereitungen für zahlreiche dezentrale Angebote mit deutlicher Kapazitätssteigerung". Kurzfristig sollen auch die mobilen Angebote ausgeweitet werden.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2021/sab
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