Süddeutsche Zeitung

Unterschleißheim:Katzenjammer

Nach unkontrollierter Vermehrung streunender Katzen in der Stadt setzen das Rathaus und der neue Vorstand des Tierschutzvereins auf eine Kooperation mit Freising. Mehrere Tiere wurden schon kastriert

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Katzenelend im Gewerbegebiet: So hat der Bund der Katzenfreunde einen Beitrag auf seiner Homepage überschrieben, der Geschehnisse im April des Jahres im Gewerbegebiet Unterschleißheim erzählt. Der Verein mit Sitz in Grünwald war informiert worden, dass eine Katze in einem Igelhaus fünf Junge zur Welt gebracht hatte. Das Wetter war schlecht. Die Tierschützer rückten dennoch nachts aus. Erst nach Tagen fanden sie die Mutterkatze und vier kleine Kätzchen. Zwei waren in einem Kellerschacht. Eins war tot. Seitdem tauchten im Umfeld der Röntgenstraße zig weitere wild lebende Katzen auf. Ein Problem, wie Marius Zisselsberger vom Bund der Katzenfreunde sagt. Sie werden krank, haben Parasiten und vermehren sich unkontrolliert. "Das sind ja keine Wildtiere."

Gerade in Unterschleißheim mag es den einen oder anderen verwundern, dass es streunende Katzen gibt, um die sich keiner am Ort kümmert. Es existiert ein Tierschutzverein, dessen Vorsitzende sich über Jahre einen Ruf als Katzenmutter erworben hat, die ihre Lieblinge in einem kleinen Häuschen "Am Weiher" versorgt, hätschelt und wenn es sein muss, mit ihren Mitstreitern wie eine Löwin für ihre Welt mit Tieren kämpft. Manchen ging Christine Förster, die früher auch mal Mitglied im Bund der Katzenfreunde in Grünwald war, mit ihrer Katzenliebe sogar zu weit.

Im April, als das Elend mit den Katzen sich abspielte, war Förster noch im Amt. Mittlerweile hat sie aber mit anderen im Vorstand den Vorsitz niedergelegt. Als neuer Vorsitzender wurde auf einer Versammlung Anfang September Hermann Meyer gewählt. Hermann Meyer ist Tiermediziner im Ruhestand. Er war in der Forschung tätig und will wie seine Frau, die Grünen-Stadträtin Lissy Meyer, die Vereinsarbeit komplett neu aufziehen. Um streunende Katzen und Fundtiere will sich der Verein weiter kümmern. Es gibt ein Tierschutz-Telefon und es werden Futterstellen im Gewerbegebiet versorgt. Doch Tierschutz will man jetzt breiter verstanden wissen. In einem Brief, der dieser Tage an die Mitglieder geht, schreibt er, "Tierschutz spielt eine viel größere Rolle" als sich um Hunde und Katzen zu kümmern. Der Verein solle zu Haltungsbedingungen, Tiertransporten und Qualzuchten Stellung beziehen. Gesundheit und Umwelt seien Themen, ebenso der "Einfluss von Fleischkonsum auf den Klimawandel".

Warum der Tierschutzverein im Frühjahr und Sommer nicht zur Stelle war, ist schwer nachzuvollziehen. Christine Förster ist telefonisch nicht zu erreichen, auch Vertraute von damals wollen keinen Kontakt herstellen. Es war jedenfalls eine Zeit, in der der 300 Mitglieder zählende Verein in einer Krise war und in der mancher in der Stadt auch nicht mehr das Vertrauen in den Verein hatte. Anita Dobner betreibt ein Hundehotel in Unterschleißheim. Sie hätte viele gute Gründe gehabt, mit dem Tierschutzverein zusammenzuarbeiten. Oft würden Hunde bei ihr abgegeben und nicht abgeholt, sagt sie. Doch das als Agneshaus bekannte Heim des Vereins vergleicht sie als "Fort Knox" und sagt, dass sie wegen Problemen mit dem alten Vorstand einen eigenen Verein gründen wollte.

Als die Grünwalder wegen der Katzen in Unterschleißheim aktiv wurden, lag der Tierschutzverein mit der Stadt im Clinch. Die Stadt hatte im Oktober 2020 die Fundtiervereinbarung mit dem Verein gekündigt, weil sie die Voraussetzungen für eine tiergerechte Unterbringung im Agneshaus nicht mehr gegeben sah. Zum Juni 2021 lief der Mietvertrag für das kleine und marode Häuschen in städtischem Besitz aus, in dem Förster bis zuletzt Tiere hielt. Ein Tierheim war es freilich nie, und es erfüllte auch nicht die weniger hoch gehängten Kriterien einer Tierauffang-Station, in der Hunde, Katzen oder Vögel für einen Übergang bleiben. Manches wird über den Streit um das Agneshaus erst jetzt bekannt. Das Ringen fand Aufmerksamkeit weit über die Stadtgrenze hinaus. Die Vorsitzende des Tierschutzbunds Bayern und ihre Stellvertreterin waren mit anderen Fachleuten zwei Mal am Agneshaus, um dieses zu begutachten. Dem Vernehmen nach fiel das Urteil über den baulichen Zustand ziemlich eindeutig negativ aus.

Längst kommen Fundtiere aus Unterschleißheim in die Auffangstation in Neufahrn-Mintraching, die erst neu errichtet wurde und an der auch fest angestelltes Personal arbeitet. Kürzlich machten sich dort Bürgermeister Christoph Böck (SPD) und Stadträte ein Bild von dem modernen Gebäude. Böck sagt, man habe durchaus "neue Erkenntnisse" gewonnen. Die Kooperation mit dem Tierschutzverein Freising laufe gut. Der Bau eines eigenen Tierheims in Unterschleißheim sei ohne eine andere Kommune als Partner nicht vorstellbar. Die Zahlen gäben das nicht her. Elf Fundtiere nur zählte man 2020.

Die Stadt Unterschleißheim setzt mit dem neuen Vorstand im Tierschutzverein auf einen Neuanfang. Bürgermeister Böck sagt, man wolle nun "gemeinsam das Tierwohl im Auge behalten". Das Agneshaus räumt der Verein gerade leer. Böck rechnet mit einem Abriss. Der Verein hat derweil einen Büroraum im Alten Rathaus an der Bezirksstraße zur Verfügung gestellt bekommen. Futterstellen für streunende Katzen auch im Gewerbegebiet um die Röntgenstraße werden versorgt. Geplant ist die Herausgabe einer Broschüre. Man will sich mit Saatkrähenkolonien, Biber im Schlosskanal, Kröten in Lustheim und freilaufenden Hunde im Berglwald beschäftigen. Auch über die Schafe und die Landschaftspflege in Hochmuttig will man informieren.

Die Katzenfreunde aus Grünwald versorgen noch dieser Tage um die 20 frei lebende Katzen in Unterschleißheim. Man habe Tiere kastriert, sagt Marius Zisselsberger, Futterstellen eingerichtet und Wildkameras installiert. Mitarbeiter in Firmen im Gewerbegebiet schauten auf die Tiere, damit kein Marder oder Füchse die Schlafstellen unsicher machten. Viele wüssten nicht, sagt Zisselsberger, dass Tierschutz weitgehend Privatsache und Ehrenamt sei. Mehr als 5000 Euro habe der Verein für die Katzen in Unterschleißheim eingesetzt. Mit dem dort neu strukturierten Tierschutzverein könnte die Mission der Grünwalder nun ein Ende finden. Zisselsberger wünscht sich in der Szene der Tierschützer insgesamt mehr Teamgeist und mehr Professionalität im Umgang mit Behörden zum Wohl der Tiere.

Das Tierschutz-Telefon des Tierschutzvereins der Stadt (0162/32 29-555) betreut weiter die dritte Vorsitzende Marianne Rößler. Zweite Vorsitzende ist Sandra Rosocha, Schriftführerin Caroline Schwarz, Kassierin Lissy Meyer.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2021
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