Unterschleißheim:In Norwegen geht es doch auch

Unterschleißheim: Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter sieht den Klimawandel und das Artensterben als die größten Krisen der Menschheit an.

Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter sieht den Klimawandel und das Artensterben als die größten Krisen der Menschheit an.

(Foto: Claus Schunk)

Grünen-Fraktionschef Hofreiter mahnt in Unterschleißheim eindringlich zum Klimaschutz

Von Sophie Kobel, Unterschleißheim

"Es hat sogar mich überrascht, in welcher Geschwindigkeit die Klimakrise vorangehen konnte." Mit diesen Worten eröffnet Toni Hofreiter am Mittwoch die Veranstaltung in Unterschleißheim. Mehr als hundert Interessierte sind an diesem warmen Sommerabend in den fensterlosen Sitzungssaal des Rathauses gekommen, um den Fraktionschef der Grünen im Bundestag zu sehen. Doch der studierte Biologe wirkt auch während der kommenden halbe Stunde eher wie ein Wissenschaftler statt wie ein Politiker.

Zwei große Krisen gebe es, die die menschliche Lebensgrundlage gefährden, sagt Hofreiter. Die eine sei der Klimawandel, die zweite das Artensterben. Ein Thema, das seiner Meinung nach zu wenig im Fokus steht. "Zu normalen Zeiten entstanden in etwa ebenso viele neue Tierarten, wie alte ausgestorben sind. Heute sterben in der Zeit, in der eine neue Art entsteht, mindestens 10 000 Arten aus", erklärt Hofreiter und vergleicht die ökologische Lebensgrundlage der Menschen mit einem dicht gewebten Netz: "Jeder Knoten stellt eine Tierart dar. Eben dieses Netz beginnt gerade zu reißen", sagt er und sieht als einzigen Ausweg, Veränderungen in der industriellen Landwirtschaft.

Die Klimakrise veranschaulicht der 48-Jährige mit seinen persönlichen Erfahrungen bei einer Reise nach Grönland: "Auf einmal hat man ein Stück Eis in der Hand, das vor 10 000 Jahren eingefroren ist. Und jetzt schmilzt." Es ist still im Raum, wenn der Wahlkreisabgeordnete aus Sauerlach erzählt, dass Deutschland weltweit der größte Verbrenner von Braunkohle sei. Und zwar nicht im Verhältnis zur Einwohneranzahl, sondern in absoluten Zahlen: "Das hat einen Elefanteneffekt auf kleinere und ärmere Länder, wenn nicht einmal ein reiches Land wie Deutschland den Ausstieg aus der Braunkohle umsetzt", betont Hofreiter und wünscht sich einen weiteren großen Schritt in Richtung Wind- und Gaskraftwerke.

Es spricht jetzt der Politiker in ihm, besonders wenn es um Investitionen in das deutsche Bahnnetz und die Elektromobilität geht. "Natürlich sind Elektro-Autos nicht automatisch ökologisch", räumt Hofreiter ein. "Aber sie könnten es sein, Verbrennungsmotoren hingegen nicht", argumentiert er. Eine Zuhörerin meldet sich, sie arbeite seit mehr als 30 Jahren in der Automobilbranche und merke selbst, wie schwierig es mit den Elektro-Autos laufe und dass am Ende der Konsument dafür sorge, dass weiterhin viele Verbrennungsmotoren verkauft werden. Hofreiter überlegt kurz und antwortet dann mit einer rhetorischen Frage: "Sowohl Deutschland als auch Norwegen sind freie Demokratien. Dort fahren viele Menschen E-Autos. Sind jetzt die Menschen dort besser oder die Rahmenbedingungen?"

Das sonst so präsente Thema Flüchtlinge kommt in der gesamten Veranstaltung nur einmal vor. Hofreiter wirft die Frage auf, welche Konsequenzen es hätte, wenn die globale Erderwärmung nicht wie erhofft auf weniger als zwei Grad begrenzt werden kann. "Was passiert mit Staaten wie den Malediven, wenn der Meeresspiegel zwei bis drei Meter ansteigt? Mit Bangladesch? Mit Manhattan?", fragt Hofreiter in den Raum, fährt sich durch die langen Haare und gibt selbst die Antwort: "Die Situation mit Syrien wäre eine kleine Herausforderung dagegen." Bevor er den Raum verlässt, um seine S-Bahn zu kriegen, lächelt er noch einmal sein Publikum an und sagt: "Ich freu' mich natürlich, wenn ihr grün wählt. Aber wählt vor allem demokratisch."

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