Familienpolitik:Geburtshilfe aus dem Rathaus

Familienpolitik: Kurse für Schwangere und junge Mütter finden in Unterschleißheim wegen der Corona-Pandemie schon lange nicht mehr statt, künftig wird es auch keine Hausbesuche mehr geben.

Kurse für Schwangere und junge Mütter finden in Unterschleißheim wegen der Corona-Pandemie schon lange nicht mehr statt, künftig wird es auch keine Hausbesuche mehr geben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In Unterschleißheim gibt es voraussichtlich zum Jahresende keine einzige Hebamme mehr. Die Stadt prüft die Einrichtung eines Stützpunkts, an dem werdende Eltern Betreuung finden.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Schwangere haben in Unterschleißheim derzeit große Probleme, eine Betreuung durch eine Hebamme zu finden. Es gibt nur noch zwei Hebammen am Ort, von denen zudem eine nur Kurse gibt. Auch im benachbarten Oberschleißheim gibt es keine Hebamme, in Eching im Landkreis Freising nur eine einzige. Und dabei bringen Eltern aus Unterschleißheim jedes Jahr etwa 200 Kinder auf die Welt. Hebamme Birgit Bode ist seit mehr als 20 Jahren in der Stadt tätig und erlebt schon seit einiger Zeit, dass viele werdende Mütter und Väter verzweifelt sind, weil sie keine Betreuung erfahren. "Ich schicke jeden Tag ein, zwei Absagen raus", sagt Bode. Im September etwa, sagt Bode, könne sie überhaupt keine Schwangere aufnehmen, weil sie im Urlaub sei.

Birgit Bode ist noch bis Ende des Jahres am Ort, um Frauen vom ersten Tag der Schwangerschaft bis hinein in die ersten Wochen nach der Geburt zu begleiten. Dann wird sie wegziehen von Unterschleißheim, weshalb sie befürchtet, dass sich die Situation noch verschärfen wird. Mehr als 20 Jahre ist die Hebamme in der Stadt tätig. Früher war die Lage besser, erinnert sie sich, doch einige Kolleginnen hätten aufgehört. So wie Ulrike Hahn, die auf Anfrage schreibt, sie habe mangels Kollegin aus organisatorischen Gründen ihre Praxis in Unterschleißheim aufgegeben. Sie arbeite jetzt in einer Klinik und gebe noch Kurse im Familienzentrum. Das sei planbar. Das "Hebammendilemma" sei groß, aber nicht überraschend. "Da hätte die Regierung vor zehn, fünfzehn Jahren mal aufwachen müssen."

Über Jahre lief die Debatte darüber, dass der Hebammenberuf mit hohen finanziellen Belastungen kaputt gemacht werde. So ist eine teure Berufshaftpflichtversicherung notwendig, um bei der Geburtshilfe abgesichert zu sein. Erst spät begann man in Deutschland zudem, eine Akademisierung einzuleiten, um den Beruf aufzuwerten. In diesem Jahr läuft die klassische dreijährige Ausbildung aus, um anschließend vollwertig als Geburtshelfer arbeiten zu können. Viele junge Menschen scheuen zudem den Berufseinstieg: belastende Arbeitszeiten, Rufbereitschaften, ein forderndes Tätigkeitsfeld. Birgit Bode sagt: "Wir sind Kinderarzt, Frauenarzt, Psychologe - alles in einem." Sie liebe ihren Beruf nicht trotzdem, sondern gerade deshalb.

Hebamme Birgit Bode kann sich eigene Praxisräume schon länger nicht mehr leisten

Aber Bode sieht auch, dass der Nachwuchs fehlt und Unterschleißheim in eine Notsituation hineinsteuert. Deshalb hat sie vor längerem schon die Lokalpolitiker darauf aufmerksam gemacht, dass sich eine Lücke auftun wird. Die Freie Bürgerschaft Unterschleißheim stellte 2020 einen Antrag, die Stadt solle im neuen Wohnquartier am Business-Campus, das auf dem ehemaligen Siemensparkplatz entsteht, Räume für zwei Beratungsbüros sowie einen Allzweck- und Gymnastikraum zur Verfügung stellen. Hebammen seien finanziell oft gar nicht in der Lage, eine Praxis zu unterhalten. Die Hälfte aller jungen Eltern in der Stadt würden bei der Ankunft ihres Babys nicht betreut.

Geändert hat sich bisher nichts. Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen hat vielmehr dazu geführt, dass werdende Mütter und Väter noch mehr auf sich gestellt sind. Birgit Bode macht seither ausschließlich Hausbesuche, Praxisräume seien gerade nicht mehr finanzierbar gewesen, weil keine Kurse mehr stattfinden konnten. Die Hebamme kennt die Erzählungen von Eltern: Geburtsvorbereitungskurse gibt es vielleicht noch online, aber keine Spielgruppe, keine Babymassage, kein Babyschwimmen. Manche Väter hätten sich frühzeitig in Quarantäne begeben, um sich nicht vor der Geburt noch mit Corona zu infizieren.

Letztens hat CSU-Fraktionschef Stefan Krimmer (CSU) im Stadtrat die Notlage vieler angehender Eltern angesprochen und an den Antrag der Freien Wähler erinnert, einen Hebammenstützpunkt zu schaffen. Bürgermeister Christoph Böck (SPD) deutete an, dass das Rathaus an einer Lösung arbeite. Man habe eine Immobilie im Blick, die dafür genutzt werden könne. Allerdings gebe es eine konkurrierende Nutzung, der Stadtrat müsse eine Entscheidung treffen. Birgit Bode sagt, es sei höchste Zeit. Auch die Kinderärzte in der Stadt blickten besorgt in die Zukunft. Sollten die Hebammen ganz wegfallen, drohe eine Überlastung der Arztpraxen. "Die schaffen das nicht mehr." Es lebten viele junge Familien in der Stadt. Den Eltern habe sie schon geraten, eine Bürgerinitiative zu gründen, sagt Bode. Und der Stadt empfiehlt sie, außer einen Hebammenstützpunkt einzurichten, eventuell auch eine Hebamme direkt anzustellen.

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