Süddeutsche Zeitung

Unterschleißheim:Geknechtet und ermordet

Die Stadtwill mit einer mehrstufigen Gedenkstätte an mehreren Standorten an die Zwangsarbeiterinnen erinnern, die im Zweiten Weltkrieg in der Lohhofer Flachsröste versklavt waren

Von Klaus Bachhuber, Unterschleißheim

"In Lohhof ist es furchtbar", klagte eine 15-Jährige, die zur Zwangsarbeit in der dortigen Flachsröste verpflichtet war. Der menschenverachtende Betrieb der sogenannten kriegswichtigen Anlage von 1938 bis 1945 gehört zu den schrecklichsten Kapiteln des Ortes. Mit einer Gedenkstätte in mehreren Etappen will die Stadt Unterschleißheim mehr als 70 Jahre nach dem Krieg der Menschen gedenken, die hier als Kriegsgefangene oder aus rassenideologischen Gründen Zwangsarbeit leisten mussten. Nach dem Grundsatzbeschluss von 2013 hat der Kulturausschuss des Stadtrats einmütig die Konzeption gebilligt.

Der Historiker Maximilian Strnad, der 2010 auf Initiative von Heimatforscher Wolfgang Christoph in einem städtischen Forschungsprojekt die Flachsröste bis hin zum umfassenden Buch "Flachs für das Reich" erforscht hat, hat nun auch das Gedenkstättenkonzept vorgelegt. Entscheidender infrastruktureller Ansatz ist dabei, die Erinnerungsorte in das Ortsgeschehen einzubinden und nicht auf den historischen Standort der Flachsröste am Eck der heutigen Carl-von-Linde- und Siemensstraße zu beschränken. Die einstige Situierung der Wohnbaracken der Zwangsarbeiter konnte noch gar nicht lokalisiert werden.

Mit der Einbeziehung des Arbeitsweges, den jüdische Zwangsarbeiterinnen aus München vom Bahnhof Lohhof zur Flachsröste täglich zu gehen hatten, wird das Bahnhofsumfeld zum zentralen Gedenkort. Am Seitenweg zur Fachoberschule soll eine Gedenkstätte entstehen, entlang des Arbeitsweges zur Carl-von-Linde-/Siemensstraße sollen dann Stelen mit historischen Porträts an die geknechteten Menschen und ihre Leiden erinnern. Am tatsächlichen Standort soll schließlich ein Verweilort geschaffen werden, der zusätzliche spezifische Informationen zur Flachsröste liefert.

Inhaltlich sollen so die kollektive Erinnerung an die verbrecherische Zwangsarbeit mit dem Sonderphänomen der Flachsproduktion und die individuellen Opferschicksale verbunden werden. Als zusätzliche Geste ist vorgesehen, ein Straßenstück im Umfeld der Gedenkstätte nach Elisabeth Heims zu benennen, einer Zwangsarbeiterin, die als stellvertretende Lagerleiterin eingesetzt war. Aufgebaut und mit Leben erfüllt werden soll die mehrstufige Gedenkstätte durch Schulprojekte, insbesondere mit der unmittelbar anliegenden Fachoberschule oder auch über Patenschaften mit Firmen entlang des Arbeitsweges. An Kosten werden circa 23 000 Euro erwartet. Bürgermeister Christoph Böck (SPD) würdigte in der Sitzung das "sehr bedeutsame Projekt", das ihn "sehr, sehr überzeugt" habe. So war auch der Tenor im Kulturausschuss.

Das Konzept wird nun bezüglich der exakten Standorte konkretisiert, ebenso sollen Entwürfe für die Gedenkstätten erstellt werden. In der zwischen 1934 und 1937 errichteten Flachsröste mussten Zwangsarbeiter Flachsfasern vom Kern lösen, die dann in der Garnproduktion verwendet wurden. Die Arbeit war ebenso mühsam und unappetitlich wie wegen Schadstoffen extrem gesundheitsschädlich, zumal die Arbeiter völlig ungeschützt waren. Bis zum Kriegsende waren in Lohhof französische Kriegsgefangene sowie zur Zwangsarbeit verpflichtete Belgierinnen, Niederländerinnen und Polinnen sowie sogenannte "Ostarbeiterinnen" aus Russland und der Ukraine eingesetzt. Die meisten jüdischen Zwangsarbeiterinnen waren vor dem Einmarsch der Amerikaner von Lohhof in Vernichtungslager deportiert worden. Sie stammten überwiegend aus München.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2017
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