Süddeutsche Zeitung

Hilfe aus Unterschleißheim:Eine Weißnase in Afrika

Lesezeit: 4 min

Petra Halbig organisiert mit ihrem Verein Friends without Borders Entwicklungshilfeprojekte in Ghana. Sie selbst hat vier Wochen lang in einem der Dörfer gelebt und ist von den Menschen in deren Alltag integriert worden. Nun startet sie wieder

Von Kevin Rodgers, Unterschleißheim

Ein verbeultes Taxi poltert über eine Staubpiste im Südosten von Ghana. Der Auspuff ist abgefallen und klappert jetzt hinter den Passagieren im Kofferraum. Auf der Straße herrscht reges Treiben. Überall stehen kleine Stände, an denen Händler alles von Bananen bis Gummi-Clogs feilbieten. Frauen in bunten Gewändern tragen große Gefäße mit Früchten auf dem Kopf. Mopeds schlängeln sich hupend an einem uralten Bus vorbei, der tausende gestapelte Plastikstühle auf dem Dach geladen hat. Es ist ein konstruktives Chaos, das Europäern das Fürchten lehrt. "Das ist der Wahnsinn. Da bist du dir nicht sicher, ob du jemals lebend rauskommst", erzählt Petra Halbig.

Die 52-jährige Geografin sitzt auf ihrem Balkon in Unterschleißheim und erinnert sich mit einem Lächeln an ihre jüngste Reise nach Ghana. Dreimal war Halbig in den vergangenen zwei Jahren in dem Staat an der Goldküste Afrikas. "Ich war schon auf allen Kontinenten, aber in Ghana bin ich hängen geblieben." Kennengelernt hat sie das Land auf zwei Reisen anlässlich der Klimapartnerschaft zwischen der Gemeinde Unterschleißheim und der Stadt Ho im Südosten Ghanas.

Beeindruckt von der Liebenswürdigkeit der Menschen, beschloss Halbig, zusammen mit zehn Freunden einen gemeinnützigen Verein zu gründen, der Entwicklungshilfeprojekte in der Region plant und finanziert. So entstand am 1. Juni dieses Jahres "Friends without Borders". Unter dem Motto "Change the world a little bit" sammelt der Verein Spenden für verschiedene Projekte.

Auf der Agenda steht auch die sexuelle Aufklärung

"Die ganze Welt retten geht nicht, also fangen wir im Kleinen an", fasst Halbig ihre Motivation zusammen. "Wir konzentrieren uns vor allem auf Bildung und Gesundheit und wollen mit relativ einfachen Mitteln das Leben der Menschen verbessern." Auf der Agenda steht auch die sexuelle Aufklärung, um Frühschwangerschaften zu vermeiden. Friends without Borders arbeitet mit den Dörfern Mafi Wute und Mafi Dadaboe zusammen, die vier Autostunden östlich der ghanaischen Hauptstadt Accra gelegen sind.

Wie die Hilfe konkret aussehen soll, entscheidet sich nicht in Unterschleißheim, sondern in Ghana. Die Dorfbewohner beraten sich und melden sich dann bei Halbig mit ihren Vorschlägen. "Die wissen selbst am besten, was sie brauchen", so Halbig. Solarkocher seien zum Beispiel nett gemeint, wegen der Tag- und Nachtgleiche in den Tropen und den spätabendlichen Essengewohnheiten der Ghanaer aber nicht praktikabel. Trotzdem machen sich auch die Unterschleißheimer Gedanken, wie sie helfen können. Ein Optiker sammelt alte Brillen, und der SV Lohhof, bei dem Petra Halbig ehrenamtlich engagiert ist, hat Fußbälle und Trikots für die Kinder in Ghana gespendet.

Sind Vorschläge aus Ghana umsetzbar, überweist der Verein Geld in das Land. Das sei einfacher, als einen Container für viel Geld nach Ghana zu schicken. Allerdings legt die Vereinsvorsitzende großen Wert darauf, dass auch im Dorf Buch geführt wird. "Das ist das System Handschrift Halbig. Die Dorfbewohner handeln in Eigenverantwortung und müssen uns einen Verwendungsnachweis schicken. Wir haben den Anspruch, den Weg der Spendengelder genau zurückzuverfolgen."

So eine Reise kann nicht im Reisebüro gebucht werden

Der Kontakt zu den Dörfern kam über Togbe Akliku II. zustande. Unter der Woche sitzt er als leitender Mitarbeiter in der Umweltbehörde in Ho. Gleichzeitig ist er aber auch der Chief der beiden Dörfer, eine Art Bürgermeister, Ratgeber und Häuptling. Dann sitzt er im traditionellen Gewand und mit goldener Krone mit dem Ältestenrat des Dorfes zusammen, bespricht aktuelle Probleme und schlichtet Streitigkeiten unter den Dorfbewohnern.

Auf seine Einladung hin reiste Petra Halbig im Februar für einen Monat lang nach Ghana. Ihr Ziel: Den Alltag der Menschen hautnah miterleben. "Meine Ankunft war im Dorf die Sensation schlechthin. Die meisten hatten noch nie zuvor eine Weißnase gesehen." Dementsprechend groß war die Aufregung. Auch bei Halbig: "So eine Reise kann man ja nicht einfach im Reisebüro buchen. Das ist ein großes Abenteuer."

Während der vier Wochen wurde sie komplett in das Alltagsleben integriert, besuchte den Schulunterricht, bastelte mit Kindern und half mit bei der Zubereitung von Speisen. "Die Ghanaer haben besonders geschätzt, dass ich meine deutsche Komfortzone verlassen habe und mir für nichts zu schade war." Trotz vieler Irrglauben gebe es in Afrika sehr wohl ein Gespür dafür, wie unterschiedlich das Leben in Europa im Vergleich zum Leben in Afrika ist.

Ghana liegt beim Human Development Index auf dem 138. von 187 Plätzen und gilt damit als Entwicklungsland. Deutschland liegt auf Platz sechs. Gerade auf dem Land ist der Lebensstandard unterentwickelt. Auch in Mafi Dadaboe.

In dem 800-Seelen-Dorf gibt es kein fließendes Wasser, nur einen Brunnen in der Dorfmitte. Das Klima ist ganzjährig heiß, Jahreszeiten gibt es in den Tropen nicht. Einmal pro Tag fährt ein Bus nach Ho, ansonsten besteht die Verbindung zur Außenwelt in einem alten Radio, Fernsehen oder gar Internet - Fehlanzeige. Wäsche wird im Fluss gewaschen.

Gekocht wird über dem offenen Feuer

Auch Küchen gibt es in den Lehmhütten nicht. Gekocht wird über offenem Feuer. Durch den nahe gelegenen Volta-Stausee gibt es viel Fisch und als Beilage Fufu, einen klebrigen Brei aus Maniok oder Kochbananen. Eine verhängnisvolle Kombination für die Vegetarierin Halbig. "Nach ein paar Tagen hat mir ein Dorfbewohner einen Käse vorbeigebracht. Da hab ich nur gedacht: Guter Mo, di schickt der Himmel!" Dabei war Halbig sogar im Haus des Chiefs untergebracht, dem einzigen aus Stein gebauten Gebäude in Mafi Dadaboe. Trotzdem hat sie es nicht die ganze Zeit ausgehalten. Obwohl der Chief eine Mikrowelle für Teewasser aufgetrieben hat, musste Halbig zwischendurch in einem Hotel mit westlichem Standard pausieren und Kraft tanken.

Das größte Problem sieht sie in der Mentalität der Ghanaer. "Du brauchst Geduld wie ein Ochse. Dort gilt die afrikanische Zeitrechnung. Pünktliche Termine kann man vergessen", so Halbig. "Es ist nicht so, dass die Leute nicht wollen, aber man muss Verständnis aufbringen für die Widrigkeiten." Nur die Männer kommen bei ihr nicht gut weg. Das seien noch richtige Machos. "Die machen nix! Ohne die Frauen würde das Land am nächsten Tag zusammenbrechen." Trotzdem bleibt sie von ihrem Engagement überzeugt, die Motivation sei auch im Ort sehr hoch.

Ihr Engagement steht für Petra Halbig auch im Zusammenhang mit der Migrationsproblematik. "Wenn wir das Leben in Afrika verbessern und den Leuten eine gescheite Existenz aufbauen, dann müssen sie nicht wegziehen." Auch deshalb sei die Hilfe zur Selbsthilfe der richtige Ansatz.

Neben Sachspenden sammelt der Verein aber auch Geldspenden. "Ich freue mich wie ein Schnitzel über jeden Euro", so Halbig, die jetzt im November erneut für einen Monat nach Ghana reist. Im Gepäck wird sie zwei Koffer voller Brillen und Sportsachen haben. Mittelfristig ist das Ziel des Vereins der Bau eines Gesundheitszentrums. 3000 Euro kalkuliert Halbig dafür ein. "Mein Antrieb sind die Freude und Dankbarkeit der Leute", sagt Petra Halbig zum Schluss. "Das Lächeln der Menschen ist für mich der Lohn für die viele Arbeit."

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Quelle:
SZ vom 05.11.2016
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