Unterschleißheim:Da geht einem doch der Cordhut hoch

Unterschleißheim: "Heimatland" - wenn Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig sich über die virulente Dummheit aufregt, dann entschlüpft ihm gerne dieses Wort. Ist er so richtig wütend, sagt er auch mal: "Brunzverreck."

"Heimatland" - wenn Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig sich über die virulente Dummheit aufregt, dann entschlüpft ihm gerne dieses Wort. Ist er so richtig wütend, sagt er auch mal: "Brunzverreck."

(Foto: Robert Haas)

Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig knöpft sich in Unterschleißheim temporeich und mit intellektuellen Furor all die Zumutungen vor, denen er als denkender und fühlender Mensch ausgesetzt ist

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Zugegeben, für Erwin Pelzig war Unterschleißheim auf seiner Gastspieltour zunächst nicht der Sehnsuchtsort Nummer eins. Aber das Problem hat er dann schnell gelöst. In Anlehnung an eine von Walt Disney praktizierte Kreativitätstechnik imaginierte er drei Denkstühle, den des "Träumers", den des "Kritikers" und den des "Realisten". Ersterer flüsterte ihm ein, wie schön es in Unterschleißheim doch sei. Der Kritiker intervenierte auf fränkisch: "So schee au wieder ned." Und der Realist kam zum Schluss: "Fahr ruhig hin. Du musst ja nicht über Nacht bleiben." Ja, wenn es doch immer so einfach wäre. Ansonsten flaniert Erwin Pelzig, das Alter Ego des Würzburger Kabarettisten Frank-Markus Barwasser, nicht so unbeschwert mit Cordhut, rot-weißem Karohemd und Herrenhandtasche durch die Unbilden, die das Leben so bietet.

Im Gegenteil. Bei seinem Auftritt im Ballhausforum knöpft sich Barwasser alias Pelzig mit so beeindruckendem Tempo wie intellektuellem Furor von Beginn an all die Zumutungen vor, die ein denkender (und fühlender) Mensch heute zu ertragen hat. "Ich fremdele mit der Zeit", sagt er und befürchtet, dass es noch schlimmer werden könnte: "Da ist noch Luft nach unten." Freilich verliert sich ein Pelzig nicht im Jammern über "bostfakdische" Zeiten und auch, dass die sonst griesgrämigen Zeugen Jehovas neuerdings in Vorfreude auf die nahende Endzeit so oft "grinsen", lässt ihn nicht defätistisch werden. Nein, Pelzig entfaltet einen geradezu desperaten Zorn gegen die Autokraten, Turbokapitalisten, digitale Datenjäger und Heuchler dieser Welt. Und obgleich sein aktuelles Programm "Weg von hier" heißt, redet er keinem Eskapismus das Wort, der Fluchtimpuls, zu dem einen die aus den Fugen geratene Wirklichkeit verleitet, verwandelt sich bei ihm in einen kabarettistischen Parforceritt, der mit Referenzen zu Kant, Aufklärung und Romantik die leise Hoffnung hegt, sein Publikum in eine Stimmung à la "Empört euch!" zu versetzen.

Stark ist, wie blitzgescheit, pointensicher und temporeich Pelzig formuliert, wie er seine Gegner - und das sind vor allem die, die seinen Verstand beleidigen - rhetorisch zerpflückt. Zurückhaltung ist dabei keine Option: Trump wird zur "amerikanischen Abrissbirne" die einen Gesichtsausdruck pflege, der an die "scharfen Affen" erinnere, welche man bei Tierversuchen daran hindere, "sich die Nüsse zu kraulen". Ein bekannter polnischer Politiker wird als "ödipaler Restzwilling Kaczyński" geschmäht und ein nordkoreanischer Diktator als "kleines, dickes Kind". Schön auch das Bild, das er von den Liberalen zeichnet: "Was bei einem Beinamputierten der Phantomschmerz ist, ist bei der FDP ihr Wunsch nach Charakter." Dass die ganzen brutalen Machtpolitiker ("Empathie-Krüppel") sich heute gar nicht mehr nach oben putschen müssen, sondern gewählt werden, ist freilich auch eine Entwicklung, die irritiert. Die Sehnsucht nach einer angeblich besseren Vergangenheit, die gab es früher auch schon, nur die Romantiker hätten darüber wenigstens Gedichte geschrieben (oder wurden katholisch). Heute ziehen es die rückwärtsgewandten Menschen vor, beleidigt zu sein - klassisch ist der weiße, heterosexuelle Mann aus der ostdeutschen Provinz - und rechte Brandstifter zu wählen sowie "Wir sind das Volk" zu plärren. Das sei so, als würden die Pinguine in Hellabrunn herumrennen und "Wir sind der Zoo" rufen. Ein wunderbares Emblem für die Lächerlichkeit der Berufsbeleidigten ist auch die inkontinente Verwendung eines gewissen Satzzeichens in bösen E-Mails: "Das Ausrufezeichen ist die Kalaschnikow des kleinen Mannes", sagt Pelzig dazu.

Seinen Schimpfkanonaden, die sich manchmal richtig derb entladen, wohnt aber weder ein destruktiver Charakter inne noch sind sie moralinsauer oder selbstgerecht. Ihn treibt vielmehr seine Fassungslosigkeit angesichts einer virulenten Dummheit und Engherzigkeit in einen erhöhten Kampfmodus, sodass ihm zweieinhalb Stunde lang quasi der Cordhut hochgeht. Schöne Intermezzos sind die Momente, in denen er die Disney-Dreistühle-Methode für Trump oder Erdoğan anwendet, (der mit der Kritiker-Perspektive so unzufrieden ist, das er alle Stühle inklusive Stehtische verhaften lässt) - und natürlich wenn Barwasser in die Rollen des bierselig knurrenden Prolls Hartmut schlüpft und dessen Antipoden Dr. Göbel. Geriert dieser sich lange Zeit als überlegener Intellektueller mit pikiertem Kulturpessimismus, so wirkt er am Ende des Abends fast verzweifelt ob des "Entscheidungswahnsinns", dem man als moralisch korrekter Mensch heute ausgesetzt sei. Man ist ja "verantwortlich für alles".

Am Ende ist zwar Pelzigs Furor noch nicht verflogen, aber er wirkt schon fast versöhnlich, wenn er sich wünscht, "einfach kein Arschloch mehr zu sein." Auf die Zumutungen der Welt einmal nicht vorhersehbar reagieren und dem egoistischen Zeitgeist die Gefolgschaft verweigern. Ein Vorsatz, der andere anstecken könnte? Oder nur ein frommer Wunsch? Das Publikum, dem Barwasser durchaus auch den Spiegel vorgehalten hatte, zeigte sich im großdimensionierten Auditorium des Ballhausforums jedenfalls regelrecht begeistert. Ein Zeichen dafür, dass der zornige Klartext-Pelzig doch mehr Menschen aus dem Herzen spricht als er eventuell zu hoffen wagte. Auf der anderen Seite ist ja auch eine Kabarettveranstaltung eine dieser so gern zitierten Filterblasen.

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