Bildung:Berufseinstiegsbegleitung vorerst gerettet

Bildung: Nicht jedem fällt der Wechsel von der Schulbank an die Werkbank leicht

Nicht jedem fällt der Wechsel von der Schulbank an die Werkbank leicht

(Foto: Rupert Oberhäuser/imago images/Rupert Oberhäuser)

Die überraschend vom Kultusminister verkündete Fortsetzung des Programms für hilfebedürftige Schüler stößt auf geteiltes Echo. Eine dauerhafte Lösung wird vermisst. Die Grünen warnen gar vor einer "Mogelpackung".

Von Lara Jack und Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Die Überraschung kam am Freitagnachmittag und wurde als frohe Botschaft per Pressemitteilung verkündet. "Mit Freude" gab Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) bekannt, dass die Berufseinstiegsbegleitung doch noch für ein weiteres Jahr gesichert sei. Gerade im Landkreis München, wo sich viele unter anderem mit einer Petition der Mittelschule Unterschleißheim dafür eingesetzt haben, trifft das auf Erleichterung. Doch so ungetrübt wie im Ministerium ist die Freude keineswegs: Kerstin Grillmeier, die an der Mittelschule Schüler beim schwierigen Übergang ins Berufsleben unterstützt, beklagt, dass das Programm offenbar mit Unterbrechung erst im Januar 2023 weiterlaufen soll. Es fehle eine dauerhafte Lösung.

Die Unterhachinger Grünen-Abgeordnete Claudia Köhler warnt wegen solcher offener Fragen gar vor einer "Mogelpackung". Der bildungspolitische Sprecher der Freien Wähler, Tobias Gotthardt, sagt dagegen, man wolle das Programm jetzt weiterentwickeln und verbessern. Die Freien Wähler hatten erklärt, das zunächst beschlossene Aus für das Programm nur aus Koalitionsräson mit der CSU mitgetragen zu haben.

Die Berufseinstiegsbegleiterinnen Kerstin Grillmeier und Vivian Tajtelbaum treibt das Gezerre um das Programm um. Sie haben sich mit fünf ihrer Schüler an einem sonnigen Tag in den Osterferien die Zeit genommen, in die Unterschleißheimer Mittelschule zu kommen. "Wir drei", sagt die 14-jährige Lea und weist auf sich und die anderen beiden Mädchen, "wollen auf die Kinderpflegeschule gehen. Frau Grillmeier und Frau Tajtelbaum haben uns dabei geholfen uns anzumelden." Ohne Hilfe wäre sie damit vollkommen überfordert gewesen, gibt sie unter Beipflichten ihrer Mitschüler zu. Es wäre unfair und schade, findet die 15-jährige Alina, wenn künftige Jahrgänge diese Unterstützung nicht bekommen würden.

Bildung: Kerstin Grillmeier (rechts) und Vivian Tajtelbaum (links vorne) berichten mit Schülern der Mittelschule Unterschleißheim, warum das Programm so wichtig ist.

Kerstin Grillmeier (rechts) und Vivian Tajtelbaum (links vorne) berichten mit Schülern der Mittelschule Unterschleißheim, warum das Programm so wichtig ist.

(Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Gemeinsam mit ihren beiden Betreuerinnen hatten sie auf wichtige Prüfungen gelernt. Sie bekamen Hilfe beim Zusammenstellen von Bewerbungsunterlagen und wurden auf die Zeit nach der Schule vorbereitet. Auch Alex, der später Automechaniker werden will, ist der Meinung: "Ich finde, diese Hilfe sollte weitergehen!"

Das soll jetzt passieren. Kultusminister Piazolo hat in Verhandlungen mit der Bundesagentur für Arbeit "einen Weg gefunden", wie er schreibt, das Programm gemeinsam fortzusetzen und über eine 50/50-Finanzierung für 2022/2023 abzusichern. Claudia Köhler, die sich seit längerem für eine Fortführung des Programms einsetzt, geht nach Äußerungen aus dem Ministerium aber davon aus, dass das erst Anfang 2023 anläuft. Sie pocht auf Gelder, um den "Start und erste Praktika noch in diesem Herbst und Winter" umsetzen zu können.

Auch die Berufseinstiegsbegleiterin Kerstin Grillmeier irritiert die Tatsache, dass wohl nicht wie üblich im Herbst 2022 neue Schüler in das dreijährige Programm aufgenommen werden können. Manche Schüler hätten bereits Praktika für Dezember in Aussicht. Alles sei in engem Austausch mit Eltern, Schülern, Lehrern und Betrieben von langer Hand vorbereitet. Als vorgeschoben erachtet sie Argumente, der spätere Programmstart solle ermöglichen, Schüler anzusprechen und Kontakte zu knüpfen. Das sei längst geschehen, sagt sie. Vielmehr drohten jetzt Berufseinstiegsbegleitern mit befristeten Verträgen Verdienstausfälle. Sie fragt: "Wer bezahlt uns von September bis Januar?"

Ein Schüler geht jetzt auf die Meisterschule

Grillmeier und Tajtelbaum kümmern sich aktuell um jeweils 25 Schüler. Darunter seien häufig Kinder mit Flucht- oder Migrationshintergrund, sagt Grillmeier. Diesen fehle es oftmals an Unterstützung von zu Hause. Nicht etwa, weil die Eltern nicht helfen wollten, sagt sie mit Nachdruck, sondern weil sie es mitunter aufgrund der Sprachbarriere nicht könnten. Dinge, die für den einen Usus sind, wie Dokumente in PDF zu konvertieren oder korrekt mit Unternehmen zu telefonieren, müssten gemeinsam erarbeitet werden. Die intensive Einzelbetreuung ab der 8.Klasse bis in die Probezeit der Lehre, habe große Erfolge gezeitigt.

An den Fall eines Schülers erinnert sich Grillmeier besonders gern: "Bei ihm sah es lange nicht so aus, dass es gut laufen könnte. Er hatte extrem schlechte Noten und war vom Verhalten schwierig", sagt sie. "Er hatte Disziplinarverfahren, zwei Wochen Ausschluss von der Schule und kassierte eine Anzeige vom Konrektor." Mit diesem Schüler habe sie gelernt und Bewerbungen verschickt, bis er einen Ausbildungsplatz als Maler und Lackierer bekam. Nun habe er sich, Jahre später, wieder gemeldet und um Hilfe beim Schreiben eines neuen Lebenslaufs gebeten - diesmal für die Meisterschule.

Einen ähnlichen Fall beschreibt Tajtelbaum. Sie begleitete einen Schüler, der zu Hause in schwierigen Verhältnissen lebte und dort nicht die Möglichkeit hatte zu lernen. Er habe sich vor allem für Informatik interessiert. Eine Branche, in die man, wie Tajtelbaum weiß, nur schwer mit einem mittleren Bildungsabschluss hineinkommt. "Wir haben in den Ferien gemeinsam Mathe gelernt und er bekam Nachhilfe. Zuvor hatte er eine Fünf und dann auf einmal eine Eins", sagt Tajtelbaum. Nun fange er eine Ausbildung als Fachinformatiker für Systemintegration an.

Die Berufseinstiegsbegleitung wird aus Sicht der Pädagoginnen jetzt um so mehr benötigt, da ukrainische Geflüchtete in die Klassen kommen. "Eine unserer Klassen, die wir betreuen", sagt Tajtelbaum, "hat jetzt schon vier Flüchtlinge aus der Ukraine zusätzlich zu syrischen und afghanischen Flüchtlingen".

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