Süddeutsche Zeitung

Unterschleißheim:Auf der Suche nach dem Heiligen Gral

Lesezeit: 3 min

Wegen Renovierung ist das Stadtmuseum ins Depot ausgelagert. Eine Entdeckungsreise

Von Irmengard Gnau, Unterschleißheim

Nein, den Heiligen Gral hat er noch nicht gefunden, gibt Stephan Bachter schmunzelnd zu. Dafür sah sich der promovierte Volkskundler einer Fülle an kleinen und großen Fundstücken gegenüber, als er vor drei Jahren zum ersten Mal das Rolltor zum Depot des Unterschleißheimer Stadtmuseums öffnete. Heute tragen die allermeisten der etwa 8500 Objekte eine mit der Hand fein säuberlich aufgetragene Nummer, die ihre Bezeichnung, ihr mögliches Alter und ihre Herkunft verrät. All diese Informationen sind mit einer Datenbank verknüpft, welche später das Wiederfinden erleichtert. 2017 hat Bachter im Auftrag der Stadt mit der Neuinventarisierung ihrer historischen Bestände begonnen. Inzwischen ist der Historiker zum Leiter des Museums aufgestiegen. Das Depot aber ist immer noch sein Hauptarbeitsplatz, zumindest bis das Museum - hoffentlich bereits 2021 - in neuem Glanz wieder eröffnet.

Das Unterschleißheimer Stadtmuseum residiert am Rathausplatz in zwei ehemaligen Hausmeisterwohnungen. Die heimatkundliche Sammlung wurde vor Jahrzehnten vom heutigen Hobby-Ortshistoriker Wolfgang Christoph ins Leben gerufen. Damit sich die Sammlung auch nach heutigen Maßstäben als modernes, ansprechendes Museum präsentieren kann, hat der Stadtrat eine Generalüberholung für die Räume beschlossen und dafür jüngst 145 000 Euro freigegeben. Für Museumsleiter Bachter und Daniela Benker, die Unterschleißheimer Kulturamtsleiterin, ein Grund zu großer Freude. Doch vor dem Wiedereinzug wartet viel Arbeit: Über die vergangenen Wochen und Monate mussten alle Objekte aus dem Museum herausgeschafft und sicher verstaut werden. Nun Mitte August schließlich zogen die großen Sammelstücke um. Alte Pferdefuhrwerke und Großküchenmaschinen mussten ebenso ins Depot gelangen wie die Ledercouch des Heraldikers Otto Hupp, die zur Unterschleißheimer Sammlung zählt. Mitarbeiter des Bauhofs hoben das Sammlerstück mit Hilfe eines Krans und viel Fingerspitzengefühl aus einem Fenster der Ausstellungsräume und brachten sie unversehrt ins Museumsdepot.

In der ehemaligen Gewerbehalle steht das Sitzmöbel nun, umgeben von blauen Regalwänden voller Bananenkisten - ein Geheimtipp unter Museumsleuten: Die Pappkartons sind überaus stabil, haben ein ideales Format zum Stapeln und sind zudem gut belüftet, sodass sich Objekte jeder Art darin verstauen lassen - und ganz viel Unterschleißheimer Geschichte. Pferdegeschirr liegt ordentlich aufgeschichtet zwischen zwei Regalen, an der Wand lehnen hölzerne Rechen. "Die Ursprünge Unterschleißheims als Bauerndorf lassen sich sehr schön belegen an all den Handwerks- und landwirtschaftlichen Geräten", sagt Bachter. Auch der bäuerliche Erfindungsreichtum ist in der Sammlung dokumentiert. Um das Fassungsvermögen einer Kleegeige zu erhöhen, die Landwirte früher benutzten, um ihr Saatgut vor sich auf dem Feld in die Erde zu bringen, hat ein findiger Bauer kurzerhand einen Aufsatz aufgebracht, bestehend aus einer aufgerollten Heringsdose.

Manche Objekte scheinen auf den ersten Blick unscheinbar, doch nach einiger Recherche offenbaren sie spannende Einblicke. So stieß Bachter unter den Werkzeugen etwa auf eine Handsäge, an deren Sägeblatt ihm eine kleine Plakette ins Auge stach. Er forschte nach und fand schließlich heraus, dass ebensolche Sägen einst von den US-Streitkräften eingesetzt wurden - zum Amputieren von verletzten Gliedmaßen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs muss die Säge irgendwie in die Hände eines Unterschleißheimers gelangt sein. Oder der verglaste Holzkasten mit dem aus der Bierwerbung bekannten Aufdruck "Bitte ein Bit". Bachter vermutete zunächst, der Kasten habe wohl einmal auf dem Tresen einer Unterschleißheimer Wirtschaft gestanden. Ein bierkundiger Hinweisgeber aus Weihenstephan aber klärte ihn auf, dass es sich bei dem Stück vielmehr um eine Malzwaage handelt, die große Brauereien einst im Labor zur Analyse einsetzten; diese Malzwaage stammt offensichtlich aus Bitburg.

Das sind genau die Beispiele, die Bachters Philosophie wohl am besten beschreiben. "Wir wollen in unserem Museum spannende Geschichten erzählen", sagt er. Diese Prämisse leitet ihn auch bei der Inventarisierung, die es zwangsweise nötig gemacht hat, auch einige Stücke aus dem Fundus auszusortieren. Das Alter eines Objekts ist dabei nicht allein ausschlaggebend dafür, ob es für das Museum von Interesse ist oder nicht. "Das ist wahrscheinlich der größte Unterschied zwischen einem Laien und einem Museumsmenschen", sagt Bachter. "Der Laie fragt: Ist das alt? Der Profi fragt: Was ist die Geschichte dieses Stückes? Und was erzählt es vielleicht über die Geschichte Unterschleißheims?" An der individuellen Vergangenheit eines Objekts lässt sich dann häufig auch die breitere Zeitgeschichte illustrieren. Diese Brücke zu schlagen und das Ganze so zu inszenieren, dass es alle Altersgruppen, alteingesessene Unterschleißheim ebenso wie erst Zugezogene neugierig macht, ist dann die Aufgabe der Museumsgestalter.

So beispielsweise wie beim Gral. Den hat Bachter am Ende doch noch entdeckt in seinem riesigen Fundus. Gülden ist der zwar nicht, vielmehr metallisch, doch eine spannende Geschichte erzählt er: Der Hochfrequenz-Apparat mit dem Namen "Gral" verbirgt sich in einer schwarzen Schatulle. Der beigelegten Bedienungsanleitung zufolge soll das obskure Gerät wahre Wunder wirken und mit elektrischen Stößen gegen unzählige Leiden, von Abszessen über Furunkel bis zu Runzeln und Warzen, helfen und den Zellen- und Säfteumlauf im Körper anregen. Solche Geräte waren in den 1920er und 1930er Jahren typisch, erklärt Bachter, der sich in früheren Forschungsprojekten intensiv mit Magie und Aberglauben beschäftigt hat. Museumsbesucher dürfen also gespannt sein, welche Geschichten er noch hinter dem einen oder anderen Objekt entdecken wird.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2020
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