Süddeutsche Zeitung

Unterhaching:Menschliches, Morde und Mystik im Hachinger Tal

Vor zehn Jahren haben sich Hobby-Autoren zum Hachinger Autorenkreis zusammengefunden. Ihre Geschichten sind schon einmal inspiriert vom Unterhachinger Gemeinderat.

Von Iris Hilberth, Unterhaching

"Weißt, jetzt ist meine Heldin leider gestorben. Ist ganz verzweifelt aus dem Haus gelaufen, die Augen blind von Tränen und direkt vor einen Lastwagen. Das war nicht geplant. Jetzt steh ich da und weiß nicht, wie ich ohne sie weiterschreiben soll. Dabei bin ich erst auf Seite 410."

Ganz so viele Seiten hat Gertraud Schuberts jüngster Erzählband mit den 25 Kurzgeschichten über die "Haberletzerin" und ihren "Ingeniör" zwar nicht, doch man kann es sich gut vorstellen, dass Schubert genauso wie ihre Hauptfigur Minna zu Hause in Unterhaching am Computer sitzt und schreibt und schreibt. Etwas Lustiges vielleicht, etwas Spannendes, und ein bisschen skurril darf es auch sein. Vor allem sollte es unterhaltsamer sein als die Sitzungsvorlagen, die Schubert als Gemeinderätin der Grünen auf den Tisch bekommt. Obwohl? So manches Thema aus dem Rathaus findet man durchaus in ihren Erzählungen wieder, und in Unterhaching spielen sie sowieso.

Seit zehn Jahren kommt der Hachinger Autorenkreis zusammen

"Bei großen Geschichten muss man dran bleiben", sagt sie, "da braucht man Zeit und Muße." Und wieder fällt einem unwillkürlich die Haberletzerin ein, die in der Geschichte gar nichts anderes mehr interessiert als ihre Schreiberei, die sich nur noch von Fertigpizza ernährt und den Gatten in die Verzweiflung treibt. Nur wie ist das bei Schubert, wenn es ihr mal so geht wie der Haberletzerin? Wenn ihr plötzlich die Idee fehlt, wie es weitergehen könnte, oder wenn sie wissen will, ob die Geschichte so überhaupt funktionieren kann? Dann fragt sie nicht den "Ingeniör", dann bittet sie gerne mal den Hachinger Autorenkreis um Rat.

Meist einmal im Monat kommen die Hobby-Schriftsteller aus der Gegend im Unterhachinger Bürgertreff im Ortszentrum zusammen, um sich vorzulesen und zu diskutieren. Dann ringen sie um Formulierungen und geben sich gegenseitig Tipps. "Es ist gut, wenn einem jemand auf die Sprünge hilft", sagt Schubert. Sie hat den Kreis vor zehn Jahren gemeinsam mit Reinhold Glasl gegründet. Ein Astrophysiker, der - was Schubert nicht weiter verwunderlich findet - sich für Science Fiction-Geschichten begeistert.

Der Gemeinderat in Unterhaching hat sich daran gewöhnt, Inspiration zu sein

Die Gemeinderätin und ehemalige Mathematiklehrerin hatte damals bereits Krimis veröffentlicht. "Querpass ins Aus", hieß er erste, in dem der Unterhachinger Fußball eine Rolle spielt, in "Am Fuß der Treppe" passiert im Landschaftspark Hachinger Haid ein Mord. Dass der eine oder andere Unterhachinger sich wiederfindet sei durchaus möglich, auch wenn ausdrücklich in jedem Band darauf hingewiesen wird, dass alle Personen frei erfunden seien. "Der Gemeinderat hat sich daran gewöhnt", sagt Schubert nach 13 Jahren Krimischreiben in Unterhaching. Und wer weiß: Vielleicht sind ja sogar diejenigen etwas enttäuscht, die nicht vorkommen. Die nächste Geschichte ist zumindest bereits in Arbeit. "Ich brauche die Abwechslung", sagt Schubert.

Und da geht es ihr ähnlich wie den Kollegen aus dem Autorenkreis. "Schreiben tut meiner Seele gut", sagt etwa Claudia Semmler. Vor drei Jahren hat sie sich der Gruppe angeschlossen, schreibt vor allem Kurzgeschichten und inzwischen auch Drehbücher. Oder Andrea Herlbauer, die im Selbstverlag auch bereits einiges veröffentlicht hat "Es ist einfach schön, die eigenen Texte als Buch in der Hand zu halten statt nur ausgedruckte Seiten", findet sie. Ihre Geschichten bezeichnet sie als "mystischen Momentaufnahmen", bei denen der Leser nie so genau wisse, wo das hinführe.

Geld verdienen steht beim Schreiben nicht im Vordergrund

Oder Doris Lettmann, die als Illustratorin und Comic-Zeichnerin arbeitet und dann irgendwann anfing, auch die Geschichten dazu zu schreiben, oft mit historischem Hintergrund. Denn Lettmann ist Archäologin und schreibt statt Prosa derzeit an ihrer Doktorarbeit. Gleichwohl genießt sie die Treffen mit den Autorenfreunden. "Man bekommt Ideen, auf die man sonst nie gekommen wäre", findet Michael Fromholzer. Er schreibt am liebsten auf Reisen, habe mit Gedichten angefangen, nach und nach seien seine Texte länger geworden.

Mit den Erzählungen tatsächlich auch mal Geld zu verdienen hat sich keiner in dem Kreis wirklich vorgenommen. "Geschichten zu verkaufen ist fast nicht möglich", sagt Edmund Buchner, dazu müsse man entweder bekannt sein oder für einen Skandal sorgen. Ihre Ninni-Geschichten für Kinder hat sie selbst als Bücher drucken lassen, "das sind immer nette Geschenke", sagt sie. So sieht das auch Stefan Seidenberg, der als Elektrotechniker Bauanleitungen für Kinder in eine amüsante Story von "Papa und Paul" verpackt.

Zum zehnjährigen Bestehen des Unterhachinger Kreises wollen die doch recht unterschiedlich orientierten Autoren in diesem Jahr ein gemeinsames Projekt auf den Weg bringen. Unter dem Arbeitstitel "S-Bahn-Geschichten" soll jeder einen Text beisteuern, der von der Schienenverbindung Richtung München handelt und nur so lang ist, dass man ihn auf dem Weg von Unterhaching zum Marienplatz lesen kann. Außerdem plant der Autorenkreis im Sommer eine Lesenacht im Park.

Dem Hachinger Autorenkreis können sich Interessierte anschließen, die Spaß am Schreiben haben. Das nächste Treffen findet am Dienstag, 12. April, 19.30 Uhr im Bürgertreff, Hofmarktweg statt.

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SZ vom 19.02.2016/gna
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