Jubiläum:Wie Haching rot wurde

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Die Baracke an der Robert-Koch-Straße wurde in den Fünfzigerjahren von der SPD Unterhaching als Versammlungsstätte genutzt. (Foto: privat)

Die Unterhachinger SPD blickt auf eine hundertjährige Geschichte zurück und ist heute der mitgliederstärkste Ortsverein im Landkreis München. An Nachwuchs allerdings fehlt es den Genossinnen und Genossen.

Von Iris Hilberth, Unterhaching

Einmal im Monat, immer am ersten Dienstag, wird im Wirtshaus Althaching der rote Wimpel aus dem Schrank geholt. Dann ist Stammtisch der SPD. Es sind bei weitem nicht alle aus dem Ortsverein, die dann an den Tischen zusammenkommen. Immerhin wären das sonst 106 Genossinnen und Genossen, in keiner Gemeinde des Landkreises gibt es aktuell mehr SPD-Mitglieder. Aber eine kleine diskussionsfreudige Runde, manchmal auch mit Gästen aus den Nachbarorten, findet sich immer zusammen. Nach vielen Jahren wurde es jetzt nicht nur Zeit für einen neuen Wimpel mit Jahreszahl, es gibt auch einen Anlass, im Sinne August Bebels zurückzublicken. Denn die Unterhachinger SPD feiert heuer ihren 100. Geburtstag, Corona-bedingt mit einem Jahr Verspätung.

"Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten." Mit diesem Zitat von Bebel, einem der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie, hat die Landtagsabgeordnete und ehemalige SPD-Landesvorsitzende Natascha Kohnen den Unterhachinger Genossen in der Jubiläumsschrift gratuliert. "Geschichte ist mehr als Erinnerung. Unsere Geschichte ist für uns ein Auftrag", schreibt Kohnen. Sie attestiert der Unterhachinger SPD, ein besonders starker, lebendiger und kreativer Ortsverein zu sein, der die Geschicke der Gemeinde seit Jahrzehnten präge. Kohnen wohnt zwar in Neubiberg, aber ihr Bürgerbüro befindet sich direkt gegenüber dem Unterhachinger Rathaus, sie nutzt die Räumlichkeiten gemeinsam mit dem Ortsverein.

Die SPD von heute: Kreisvorsitzender Florian Schardt aus Ottobrunn, Waltraud Rensch, Sabine Schmierl, Gerhard Schmidt vom SPD-Ortsverein Unterhaching, Christine Himmelberg samt Hund Bobby aus Taufkirchen und der langjährige Unterhachinger Gemeinderat Dieter Senninger auf dem Unterhachinger Rathausplatz (von links). (Foto: Sebastian Gabriel)

Dass es in Unterhaching bereits in den Zwanzigerjahren eine "SPD-Sektion" gegeben hatte, war vielen lange gar nicht bekannt. Erst im Jahr 1986 begann man anlässlich der 40-jährige Wiedergründung der SPD in den Gemeinden im Südosten von München mit Recherchen im Staatsarchiv und las in alten Gemeinderatsprotokollen. Aber auch Gespräche mit älteren Parteifreunden ergaben, dass im Spätherbst 1921 der Tapezierer Wilhelm Kloiber die örtliche SPD gegründet hatte.

Kloiber wohnte zwar in Ottobrunn, das damals allerdings noch Neuhaching hieß und zu Unterhaching gehörte. Bürgermeister war damals Josef Prenn (Bauernbund), die 15 Gemeinderäte waren zumeist Bauern oder Selbständige, nachdem wohl die Arbeiterschaft sich aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen demokratisch gesinnten und radikalen revolutionären Kräften und der etwa vier Wochen dauernden Räterepublik im Frühjahr nicht einig war und sich auch nicht mit einer Kandidatenliste an der Wahl beteiligt hatte. In der Festschrift heißt es: "Die Tatsache, dass dem neuen Gemeinderat wieder keine Vertreter der Arbeiter angehörten, war wohl der Anlass zur Gründung einer Sektion der Sozialdemokratischen Partei in Unterhaching."

Seit 1990 stellt die Partei in der Gemeinde die Bürgermeister

Nach der Gemeinderatswahl im Dezember 1924 saßen erstmals vier Sozialdemokraten in dem Gremium. Als erste Frau überhaupt kam 1954 für die SPD Erna Gärtner als Nachrückerin in den Gemeinderat und blieb bis 1972 auch die einzige. Vier Bürgermeister hat die SPD in Unterhaching bislang gestellt. Der Pflasterermeister und Mitbegründer des Ortsvereins Leonhart Sedlmeyer war von 1945 bis 1948 Rathauschef, nach drei CSU-Bürgermeistern folgten seit 1990 in Walter Paetzmann, Erwin Knapek und dem amtierenden Wolfgang Panzer drei Sozialdemokraten. "Wir haben in Unterhaching viel erreicht", schreibt Panzer in der Chronik, die SPD habe das Motto des früh verstorbenen Paetzmann "München vor der Tür, die Berge hinterm Haus" mit Leben erfüllt. "Die SPD wird gebraucht und die SPD trägt Verantwortung. Die Idee der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität hat nichts an ihrer Aktualität eingebüßt", betont Kohnen. Die amtierende Ortsvereinsvorsitzende Sabine Schmierl verspricht: "In unserer Gemeinde werden wir uns auch weiterhin für eine soziale, gerechte und umweltbewusste Politik einsetzen."

Auch wenn an diesem Samstag in der Hachinga Halle ein großes Fest zum 100-Jährgen steigt, blieb am Dienstagabend der Stammtisch-Termin fix im Kalender. Hier kann man jenseits von großen Reden, von Tagesordnungen und Wahlvorbereitungen bei Bier und Schnitzel über Politik reden. Viele sind mit ihrer Partei schon einen langen, mitunter steinigen Weg gegangen. In die Verzweiflung hat sie schlechte Wahlergebnisse nie getrieben, sie sind ihrer Partei über Jahrzehnte treu geblieben. Viele sind inzwischen im Rentenalter. Und das ist durchaus ein Problem. Eine Juso-Gruppe gibt es in Unterhaching nicht. Als vor fünf Jahren Martin Schulz Kanzlerkandidat wurde, füllten einige junge Unterhachinger eine Mitgliedsantrag aus. Eine Begeisterung, die nicht lange anhielt: Die meisten von ihnen sind inzwischen nicht mehr bei der SPD.

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Sabine Schmierl hat daher im vergangenen Jahr mit ihrem Sohn vereinbart: Wenn Olaf Scholz Bundeskanzler wird, tritt ihr Sohn mit 16 Jahren in die SPD ein. Inzwischen ist er das jüngste Mitglied und setzt so eine Familientradition fort. Auch Sabine Schmierls Vater hat als SPD-Mitglied in München viele Wahlkämpfe bestritten. "Bei uns zu Hause wurde immer über Politik gesprochen, und ich bin schon als Kind dabei gewesen, wenn für die SPD Flyer verteilt wurden", erzählt sie. Dass das SPD-Parteibuch in Unterhachinger Familien an die nächste Generation weitergereicht wird, ist gar nicht so selten. Wolfgang Panzers Vater Volker saß lange für die SPD im Gemeinderat und war sogar Zweiter Bürgermeister.

Zu der Zeit vertrat auch Dieter Senninger bereits die SPD in dem kommunalen Gremium, 38 Jahre sind es inzwischen insgesamt. Er kam einst über die Naturfreunde zu den Sozialdemokraten, "das waren alles SPDler, das war ein Selbstläufer", sagt er. Das Godesberger Programm der Partei und die Zeit von Willy Brandt haben ihn geprägt. Das sagt auch die langjährige Gemeinderätin Waltraud Rensch: "Ich komme ganz typisch aus der Brandt-Ära", erzählt sie, die damalige Friedenspolitik und die Sozialpolitik, aber auch die Umweltpolitik und Eine-Welt-Politik haben ihr politisches Engagement beeinflusst. Rensch hat heute noch den Anstecker "Willy wählen" von 1972.

Willy Brandt sprach 1976 auf der damaligen Bürgerfestwiese in Unterhaching. (Foto: Repro Claus Schunk)

Wenn man es genau nimmt, steht der Stammtisch im Wirtshaus Althaching an einem für den SPD-Ortsverein geschichtsträchtigen Ort: Hier, wo seit den Achtzigerjahren das Unterhachinger Ortszentrum mit dem Rathaus steht, war zuvor die Bürgerfestwiese. 1976 ist hier Willy Brandt aufgetreten.

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