Mit geübten Bewegungen viertelt Julia Hanusova einen Brotlaib, lässt eines der Stücke in einen Plastikbeutel gleiten und hält diesen ihrem Sohn hin - worauf der sechsjährige Albert einen Verschluss um die Tüte wickelt. Schwupps, landet sie in einer Kiste, in der bereits zig Brotpäckchen liegen. Daneben stehen weitere Boxen mit Salat und Gurken, mit Äpfeln und Bananen. All diese Lebensmittel lagen bis vor Kurzem noch im Supermarkt und sollten dort im Müll landen, wurden dann aber gerettet und gehen nun an hilfsbedürftige Menschen. Verantwortlich dafür ist der "Verein für Lebensmittelrettung und gegen Ressourcenverschwendung" aus Unterhaching, der fast 200 Mitglieder wie Julia Hanusova zählt und über die Jahre ein beachtliches Netzwerk geknüpft hat - um Lebensmittel zu retten, um Ressourcen zu schonen und um Menschen sowie Tieren zu helfen.
Im Zentrum dieses Netzwerks steht die Vereinsgründerin Sabine Spieler, die an diesem Samstag nebst einem halben Dutzend Frauen einräumt, sortiert und verpackt. Und zwar in der Einfahrt vor ihrem Haus in Unterhaching, wo ihr Mann eine Holzhütte errichtet hat - als Treffpunkt und Lagerplatz für den Verein. "Samstag ist unser Großkampftag", sagt Sabine Spieler. Nachdem unter der Woche ein Team aus circa 30 Fahrerinnen und Fahrern tagtäglich Lebensmittel angeliefert hat, die wegen ihres Zustands oder des Haltbarkeitsdatums im Supermarkt weggeschmissen werden sollten, wird das Obst, Gemüse und Brot heute für die Weiterverwendung hergerichtet. Immer wieder parken Autos von Hilfsorganisationen vor der Tür, die der Verein unterstützt - von der Tiertafel Ottobrunn bis zu Hunde in Not. Auch das Kinderheim in Putzbrunn und das Tierheim bekommen regelmäßig Lieferungen aus Unterhaching. Und immer sonntags geht ein Paket mit Lebensmitteln und mitunter auch Kleidern nach München, wo die Sachen an Obdachlose verteilt werden.
Sabine Spieler spricht von einem "Kulturschock"
Wie es mit ihrem Verein angefangen hat und wo er sich überall engagiert? Gerade als Sabine Spieler diese Frage beantworten will, rollt ein Auto rückwärts die Auffahrt hinauf: Zwei Mitglieder kommen von einer Discounter-Tour zurück; jetzt muss erst mal ausgeräumt werden. Und was die Vereinsmitglieder da in die Hütte schleppen, ist beachtlich: kistenweise Bananen, Paletten mit Kräutertöpfen, Dutzende Salate, säckeweise Äpfel und und und - ein Kofferraum voller Lebensmittel. "Als Normalo kriegt man gar nicht mit, was in den Supermärkten alles weggeworfen wird", sagt Sabine Spieler, nachdem die Sachen verstaut sind. "Es ist einfach abartig, in was für einer Wegwerfgesellschaft wir leben."
Erstmals vor Augen geführt wurde ihr das vor neun Jahren. Damals wollte sie aussortierte Lebensmittel für eine Freundin sammeln, die einen Gnadenhof in Ingolstadt betrieb. Nachdem ein Supermarkt in München ihrer Anfrage zugestimmt hatte, rückte sie mit einigen Taschen an - "weil ich dachte, dass ich vielleicht ein paar Salatköpfe für die Hühner kriege", erzählt Spieler. "Aber dann haben sie das Obst und Gemüse da palettenweise rausgefahren. Das war für mich ein Kulturschock" - und der Startschuss für ihr Engagement. Dieses ist über die Jahre, in denen Sabine Spieler erst nach Riemerling und 2018 nach Unterhaching zog, immer größer geworden. Heute kooperiert ihr Verein mit zwölf Supermärkten, wo er an sechs Tagen die Woche Lebensmittel abholt. Wobei Susanne Spieler betont: "Die Tafeln haben immer Vortritt, wir nehmen nur die Überbleibsel. Aber es gibt so viele Lebensmittel, die weggeworfen werden. Und die Supermärkte sind froh, weil sie sich die Entsorgung sparen."
Die Vereinsmitglieder wiederum sparen sich viel Geld fürs Einkaufen - schließlich dürfen auch sie sich bei den Lebensmitteln bedienen. "Aber wer nur wegen des Geldes mitmachen will, der ist bei uns falsch", sagt Sabine Spieler, die betont: "Wir sind ein Mitmach-Verein" - denn ohne das Engagement der Mitglieder ginge es nicht. Karen Kaufmann zum Beispiel packt dreimal die Woche in der Vereinshütte mit an, von früh bis spät, wie sie sagt - so auch heute, an ihrem 84. Geburtstag, den die Frauen mit Sekt und Kuchen feiern. "Ich finde die Idee einfach gut", sagt die rüstige Dame aus Riemerling, die seit 2016 dabei ist. "Man kann etwas gegen die Verschwendung tun und außerdem Menschen helfen."
Genau das sind auch die Gründe, die Sabine Spieler motivieren. Circa 30 Stunden die Woche engagiert sich die gelernte Lehrerin für ihren Verein, und das nebenher zu ihren Jobs in der Gastronomie. Ihr gehe es darum, "etwas Sinnvolles" zu tun, sagt sie. Zudem wolle sie Aufmerksamkeit auf die tagtägliche Verschwendung von Ressourcen lenken. Durch die vielen Fahrten zu den Supermärkten und den schweren Lasten im Kofferraum habe sie bereits mehrere Autos verschlissen. Auch deshalb spare der Verein auf einen eigenen Wagen, idealerweise einen Transporter, sagt Sabine Spieler.
Vorerst aber wird sie sich weiter ans Steuer ihres Privatautos setzen, um Lebensmittel, Tierfutter, Kleidung und Co. einzusammeln und auszuliefern. Eine besondere Fuhre ist dabei am dritten Advent auf den Weg gebracht worden: Nebst den üblichen Lebensmitteln hatte der Verein hunderte Packungen Lebkuchen, Dutzende Schoko-Nikoläuse und mehr als 300 Gläser mit selbstgebackenen Plätzchen für die Obdachlosenhilfe in München gepackt - als Adventsüberraschung für Menschen auf der Straße.