Süddeutsche Zeitung

Lange Nacht der Demokratie:So spannend ist Politik

In Unterhaching informieren sich Jung und Alt einen Abend lang in Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden über Charakter, Vielfalt und Philosophie unserer Staatsform.

Von Patrik Stäbler, Unterhaching

Die Bundestagswahl ist für Benedict Freundl zu früh gekommen - zwei Wochen, um genau zu sein. Denn der Teenager aus Unterhaching feiert erst im Oktober seinen 18. Geburtstag, weshalb er beim Urnengang am vorvergangenen Wochenende nicht abstimmen durfte. "Das ist für mich frustrierend gewesen", sagt Benedict Freundl. Schließlich interessiere er sich sehr für Politik im Allgemeinen sowie für aktuelle politische Debatten.

Aufgrund dieses Interesses hat sich der 17-Jährige am Samstag ins - nun ja - Nachtleben gestürzt. Wobei er und sein gleichaltriger Schulfreund Nicolas Kleinekorte weder einen Club ansteuern, wo man ja seit Kurzem wieder tanzen darf, noch den nahen Landschaftspark, der junge Menschen zu später Stunde anzieht wie Fernsehkameras einen jeden Politiker. Nein, die beiden Gymnasiasten sind am Samstag im Unterhachinger Ortszentrum unterwegs, wo die Lange Nacht der Demokratie gefeiert wird - mit Lesungen, Workshops und Diskussionsrunden an sechs Veranstaltungsorten. Für Jung und Alt, von 18 Uhr bis Mitternacht.

Die Lange Nacht der Demokratie ist eine bayernweite Aktion, die 2018 ins Leben gerufen wurde und an der sich heuer mehr als 30 Kommunen im Freistaat beteiligten. Dass zu ihnen auch Unterhaching zählt, ist der Volkshochschule sowie dem gemeindlichen Kinder- und Jugendbüro zu verdanken. Sie kamen unabhängig voneinander auf die Idee, sich an der Aktion zu beteiligen, und haben gemeinsam mit der Gemeindebücherei und der Jugendkulturwerkstatt ein beachtliches Programm auf die Beine gestellt. So gibt es beispielsweise einen Vortrag zum Thema Demokratie und Nachhaltigkeit, einen Workshop über Verschwörungsdenken und Fake News sowie eine Diskussionsrunde über die "17 Ziele für eine bessere Welt" der Vereinten Nationen.

Nebst alledem parkt auf dem Rathausplatz der Demokratie-Bus, in dem die Besucherinnen und Besucher ein Europa-Quiz absolvieren, Computerspiele zum Thema Demokratie spielen oder mit Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD) debattieren können. Vor dem Bus steht Astrid Abou El Ela vom Kinder- und Jugendbüro, die betont: "Uns geht es darum, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen - vor allem auch mit jungen Menschen." Ähnlich klingt das bei Barbara Sporrer, die an diesem Abend von einer Veranstaltung zur nächsten eilt. "Die Idee ist, dass wir Ältere und Jüngere zusammenbringen", sagt die VHS-Leiterin. "Sie sollen gemeinsam darüber diskutieren, welche Art von Demokratie wir wollen, und wie wir künftig zusammenleben möchten."

Mit langen Nächten hat man in der Gemeinde ja durchaus Erfahrung, schließlich gibt es hier seit vielen Jahren die beliebte Unterhachinger Lesenacht. Sie sorgt stets dafür, dass man bis spätabends Menschenmengen von einem Veranstaltungsort zum anderen pilgern sieht - was am Samstag aber nicht der Fall ist. Allerdings hinkt der Vergleich. Denn anders als die etablierte Lesenacht findet die Demokratie-Nacht erstmals in Unterhaching statt. Zudem werden die kostenlosen Vorträge und Workshops alle als Hybridveranstaltung angeboten. Sprich: Sie können auch daheim am Bildschirm verfolgt werden, zumindest nachdem die anfänglichen technischen Probleme mit dem Livestream behoben worden sind.

Vor Ort in der VHS sitzen derweil Katharina Matecki aus Unterhaching und ihre Freundin Sarah Hüsken. Die beiden 17-Jährigen verstehen unter Demokratie vor allem die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen, bei denen junge Leute leider oft unterrepräsentiert seien, wie Matecki findet: "Das ist schade, denn es geht ja auch um unsere Zukunft." Im Hier und Jetzt aber geht es erst mal um die Vergangenheit - nämlich um berühmte Philosophen von Herodot bis Hobbes und deren Verständnis von Demokratie. "Die Philosophie der Demokratie" heißt der kurzweilige Vortrag des Unterhachinger Philosophen Ludger Pfeil, dem neben Hüsken und Matecki eine Handvoll weitere Besucher im VHS-Raum lauschen. Ungleich größer ist der Andrang gleichzeitig in der Gemeindebücherei, wo per Videokonferenz der "Star des Abends" zugeschaltet ist, wie es Büchereileiterin Tanja Keller formuliert. Gemeint ist der Journalist Mirko Drotschmann, der als "MrWissen2go" einen Youtube-Kanal mit 1,6 Millionen Abonnenten betreibt, und heute über Fake News als Gefahr für die Demokratie spricht.

"Sehr interessant" sei der Vortrag gewesen, sagt Benedict Freundl hinterher. Dass jemand wie "MrWissen2go" bei der Langen Nacht der Demokratie dabei ist, findet der 17-Jährige gut. "Den kennt bei uns im Jahrgang jeder. Und der ist sicher hilfreich, um auch junge Leute anzuziehen." Sagt's, und verabschiedet sich dann zusammen mit seinem Schulkollegen Nicolas Kleinekorte. Schließlich wollen die beiden weiter, zur nächsten Veranstaltung, diesmal über Demokratie in der Europäischen Union.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2021/lb
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