Ein Leben ohne Eiscreme will sich Katharina Schulze gar nicht erst vorstellen. Nicht nur, weil ihr ein Becher mit Vanille, Stracciatella oder Erdbeer so gut schmeckt. Für die Grünen-Politikerin ist das süße Gefrorene inzwischen zu ihrem Begleiter in allen Wahlkämpfen geworden. Hashtag: eisgehtimmer. Eis sei ein Eisbrecher, hat sie mal gesagt. Sich aber einfach mal so mit Eistüten, Bechern und Sahne auf einen Marktplatz stellen, macht die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion längst nicht mehr. Die traurige Wahrheit ist: "Auf ein Eis mit Katha" geht nur noch mit Polizeischutz.
So parkte das Polizeiauto auch am Montagnachmittag auf dem Unterhachinger Rathausplatz unweit des kleinen Wahlkampfstands zur Europawahl der Grünen-Ortsgruppe. Drei Tage, nachdem in Dresden der Kandidat der SPD beim Plakatieren brutal zusammengeschlagen wurde, vier Tage nachdem in Essen zwei Grünen-Politiker angegriffen wurden. Katharina Schulze war im bayerischen Landtagswahlkampf im vergangenen Jahr selbst attackiert worden. Ein Stein hatte sie bei einer Veranstaltung in Neu-Ulm nur knapp verfehlt, geworfen hatte ihn ein Mann aus der Reichsbürger- und Querdenkerszene.
In Unterhaching ist von der angespannten Lage nichts zu spüren. Schulze lacht fröhlich in die Handykameras der Gäste am Wahlkampfstand, verteilt gemeinsam mit der Zweiten Bürgermeisterin Johanna Zapf und dem Grünen-Ortsvorsitzenden Stefan König Eis und Flyer, beantwortet Fragen zur Grünen-Politik und wirbt dafür, dass die Leute zur Wahl gehen. "Ich fühle mich in Unterhaching sicher und willkommen", sagt die 38-Jährige.
Als Fraktionsvorsitzende steht sie ganz besonders im Fokus von Hass und Hetze, als Grünen-Politikerin ohnehin. Nach Angaben des Bundeskriminalamts wurden im vergangenen Jahr 1219 Angriffe auf Repräsentanten der Partei registriert. Die Grünen sind damit am häufigsten Ziel von Angriffen, fast die Hälfte aller Attacken richten sich gegen Politiker der Umweltpartei. Beleidigungen und Bedrohungen ist Schulze vor allem im Internet und in den sozialen Netzwerken täglich ausgesetzt. Auch Claudia Köhler, die Grünen-Landtagsabgeordnete aus Unterhaching, kennt das. Kürzlich hat sie eine Videobotschaft auf Instagram mit dem Titel "Warum war der Atomausstieg genau richtig" gepostet. Sie bekam 157 Likes und 854 Kommentare, davon 800 Hass-Posts. Zehn habe sie zur Anzeige gebracht, da sie strafrechtlich relevant seien, die Schlimmsten habe sie unsichtbar gemacht.
"Dieser Hass ist wirklich die Hölle", sagt Schulze und betont zugleich: "Ich weiche sicher nicht." Es sei wichtig für die Demokratie, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. "Ich möchte ansprechbar sein", sagt sie und ist es auch auf dem Rathausplatz von Unterhaching. Für eine Schülerin genauso wie für eine Rentnerin, die den Grünen sogar ihre Mithilfe anbietet. Oder für den Mann, der eigentlich nur vorbeikommt, um zu fragen, ob jemand Feuer für seine Zigarette hat, und nebenbei erfährt, dass er als Italiener sehr wohl seine Stimme bei der Europawahl abgeben kann, an seinem Wohnsitz in Deutschland oder in Italien.

Doch ganz so entspannt, wie es auf den ersten Blick an diesem Montag beim Eisessen mit Katharina Schulze aussieht, ist es für die Grünen auch in Unterhaching nicht. "Kürzlich bei der Demonstration in Taufkirchen habe ich mich doch dagegen entschieden, meine Kinder mitzunehmen", sagt Johanna Zapf. Bei allen Veranstaltungen hätten sie jetzt Polizei dabei. Auch von zerstörten Plakaten berichtet die Ortsgruppe. Bereits in der April-Sitzung des Gemeinderats hatten die Grünen zunehmenden Vandalismus geschildert. Jemand hatte Veranstaltungsplakate komplett zerstört, sogar die Schutzfolien heruntergerissen. "Wir haben alles zur Anzeige gebracht, das hat ein ganz anderes Level erreicht", sagte Zapf.
Auch CSU-Fraktionssprecher Korbinian Rausch betonte, er habe den subjektiven Eindruck, dass es ein solches Ausmaß bislang nicht gegeben habe. Er sprach von einer "dramatischen Entwicklung" und sagte: "Die Haltung, die dahintersteckt halte ich für äußerst bedenklich." Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD) teilte mit: "Es besteht in Unterhaching ein parteiübergreifender, gemeinschaftlicher Konsens, dass jede Sachbeschädigung dieser Art verfolgt wird, da hier gegen die Demokratie gehandelt wird."