Süddeutsche Zeitung

Kreis und quer:Keine Selfies mit dem Waschbär

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Sie wühlen in Mülltonen, koten den Garten voll und klauen sogar Damenschuhe. Trotzdem finden wir sie putzig. Unser Verhältnis zu wilden Tieren in Stadtnähe ist ambivalent.

Kolumne von Udo Watter

Der Landkreis München ist eine merkwürdig geformte Region, die sich um eine urbane Mitte schmiegt. Ein Raum, wo sich Stadt und Land begegnen, geografisch und metaphorisch. Echte Wildnis gibt es hier natürlich nicht mehr, und die Entfremdung des Menschen (der biologisch betrachtet selbst ein Tier ist) von der Natur ist mal mehr, mal weniger fortgeschritten. Aber auf elementare Erfahrungen mit Fauna und Flora steht er, die Krone der Schöpfung, eh nicht mehr so. Der moderne Mensch sieht es als artgerechten Fortschritt an, seine Realitätserfahrungen über Apps und Displays zu machen. Und als Digital Native denkt er, Tiere mit eigenen Instagram-Accounts (Petfluencer) seien aus animalischer Perspektive die schöpferische Krönung.

In Unterföhring ist jetzt ein Waschbär gesichtet worden. Ein echter! Die Gemeinde - Motto: "Naturnah wohnen & stadtnah arbeiten" - gibt entsprechend auf ihrer Homepage Ratschläge zum Umgang mit den Tieren. "Bieten Sie ihm keine Nahrungsgrundlage. Verschließen Sie Ihre Mülltonnen gut." Scheint ein kleiner Schmutzfink zu sein, der Waschbär. "Sammeln Sie Fallobst ein", heißt es weiter, und der Angst vor übertragbaren Krankheiten "über Flöhe, Läuse und Zecken oder Tollwut und infektiöse Krankheiten" könne durch "vorsichtigen Umgang mit dem Kot vorgebeugt werden." Trotz dieser wenig erbaulichen Infos wirkt er putzig, der Kleinbär mit schwarzweißer Gesichtsmaske. Trotzdem sollte kein Unterföhringer versuchen, den Neueinwohner, der ursprünglich aus Nordamerika stammt, zu füttern, streicheln oder mit ihm Selfies zu machen. Der Waschbär - der so heißt, weil er mit seinen Vorderpfoten seine Nahrung "wäscht" - ist ein Wildtier.

Ein Wolf oder echter Problembär ist hier, im Gegensatz zu benachbarten Ecken, jüngst nicht aufgetaucht. Aber wer weiß, vielleicht schaut bald Bruno II in Brunnthal vorbei? Oder Isegrim in Ismaning. Neben Waschbären zieht es oft Marder und Füchse in die Orte der Menschen. Die fressen dann Katzenfutter oder klauen Damenschuhe. Unsere Reaktion ist dabei auch eine philosophische Frage, geprägt von der Ambivalenz aus Nähe und Fremdheit, Liebe und Tod. In St. Aegidius in Keferloh wird diesen Samstag etwa in diesem Sinne die Hubertusmesse gefeiert. Mit Hubertus, dem Schutzheiligen der Jäger, ist eine Hirschlegende verbunden, die der Waidgerechtigkeit den Weg ebnete. Er erkannte in allen Wesen Geschöpfe Gottes.

"Achtung vor der Schöpfung" findet sicher auch Toni Hofreiter bärig. Der in Sauerlach aufgewachsene Grüne, der diese Woche die Deutsche Post DHL in München anschaute. "Hofreiter, der als Student selbst als Zusteller Briefe in Sauerlach ausgetragen hat", sei "beeindruckt von der hochautomatisierten Anlage zur Briefsortierung" gewesen, heißt es. Der Toni war, tierisch betrachtet, also mal eine Brieftaube. Dass er derzeit keine Friedenstaube ist, hat indes mit dem Tier im Menschen zu tun.

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