Unterföhring:Satter Bebop, brummender Soul

Unterföhring: Gnadenlos anschiebendes Rhythmusgerüst: Die Grammy-Gewinnerin Terri Lyne Carringtin gehört zu den besten Schlagzeugerinnen der Welt.

Gnadenlos anschiebendes Rhythmusgerüst: Die Grammy-Gewinnerin Terri Lyne Carringtin gehört zu den besten Schlagzeugerinnen der Welt.

(Foto: Catherina Hess)

Terri Lyne Carrington und ihre Bandmitglieder zeigen sich als virtuose Ausnahmekünstler

Von Oliver Hochkeppel, Unterföhring

Gibt es einen spezifisch weiblichen Jazz? Oft genug wird diese Frage durch die Hintertür mit Ja beantwortet. Man darf schon angesichts der Besetzung des Jazz-Weekends Unterföhring zugunsten seiner Gestalter sicher vermuten, dass dies bei der programmatischen Klammer "Great Ladies of Jazz" nicht gemeint war - beim Projekt der Bossa-Nova-Sängerin Paula Morelenbaum spielen ja die beiden deutschen Begleiter Joo Kraus und Ralf Schmid eine mindestens so entscheidende Rolle wie der Gitarrist Theo Pascal bei der portugiesischen Weltmusiksängerin und Morna-Interpretin Carmen Souza.

Die Frage ist natürlich ebenso unanständig wie die, ob man schwarz sein muss, um Jazz spielen zu können. Dass der Jazz lange eine Angelegenheit von schwarzen Männern war, hat ja keine biologischen oder gar rassischen Gründe, sondern kulturelle. Der aktive Zugang zu dieser Musik funktionierte oft über die black community mit all ihren Rollenbildern. Doch der kreative Aufschwung, die enorme stilistische Ausweitung des Genres in den vergangenen 20, 30 Jahren kommt eben auch daher, dass der Jazz Spirit - die individuelle Neuschöpfung improvisierender Musik - sich in fast alle Länder der Welt verbreitet und Interpreten gleich welcher Herkunft und welchen Geschlechts gefunden hat.

Dem widerspricht in keiner Weise das 2011 mit einem Grammy gekrönte "The Mosaic Project" der Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington, das sich mit bevorzugt weiblicher Besetzung um Jazz-Sängerinnen drehte und das sie 2015 mit dem Album "Love and Soul" weiterführte. Wie Carrington das versteht, deutet die Tatsache an, dass sie ihre Band nicht als "Ladies Band", sondern höchstens als "womens band" bezeichnet haben möchte. Es geht ihr, die mit fast allen großen männlichen US-Stars inklusive Wayne Shorter und Herbie Hancock gespielt hat und spielt, um den individuellen, sozusagen fallweise weiblichen Ausdruck, einfach um das, was Shorter ihr einmal gesagt hat: "Du bist am besten, wenn du spielst wie du selbst."

So lief man auch bei ihrem Europa-exklusiven Auftritt in Unterföhring zunächst ins Leere, wenn man nach einem "weiblichen Ton" ihres mit der texanischen Pianistin (mit chinesischen Wurzeln) Helen Song, der niederländischen Saxofonistin Tineke Postma und - als einzigem Mann - dem kalifornischen Bassisten Josh Hari besetzten Quartetts fragte. Carrington selbst legte beim Titeltrack "Mosaic" vom ersten Takt ihr typisches, im Ton zwar warmes, aber gnadenlos anschiebendes, mit harten Wirbeln auf den Toms unterlegtes Rhythmusgerüst aus. Postma bläst das Alt boppiger und funkiger als viele ihrer männlichen Kollegen, und speziell am Sopran ist sie um einiges dunkler und ruppiger als etwa ein Sidney Bechet.

Helen Song verfügt nicht nur über eine klassisch geschulte, absolut verblüffende Virtuosität, sie liebt auch scharfe Synkopen, ebenso wie den brummenden Soul des Fender-Rhodes-E-Pianos. Ihr Stück "H City" (ihre Heimatstadt Houston) war mit fast schon brutalen Stopps und Stakkato-Passagen das mit Abstand forcierteste und mitreißendste des Repertoires. Ausgerechnet Hari steuerte trotz kerniger Tieftöne am E- wie am Kontrabass die sanfteste Stimme in diesem Gebräu von Ausnahmekünstlern bei. Bezeichnend, dass er als einziger kein Solo spielte.

So musste man sich, zumal bei Vorlagen von Jimi Hendrix oder Duke Ellington, keinerlei gender-technische Gedanken machen - bis der Gesangsgast China Moses die Bühne betrat. Mit mörderischen Stilettos und mit mächtigen goldenen Armringen zum engen weißen Outfit bewehrt, setzte sie von der ersten Sekunde an weiblichen Charme ein, tänzelnd, schäkernd und mit all dem von ihrer Mutter Dee Dee Bridgewater ererbten und als TV-Moderatorin professionell erweiterten extrovertierten Showtalent. Das ist dann eben die eine biologische Ausnahme: Bei Sängerinnen gibt es keine Übersetzung ihres musikalischen Ausdrucks durch ein geschlechtsneutrales Instrument, ihr Instrument ist der weibliche Körper, schon durch die spezifische Stimmlage.

Musikalisch hielt Moses, die ja eher vom Blues kommt, als Sängerin wie als Songwriterin noch am Anfang ihrer Möglichkeiten steht, erstaunlich gut mithalten. Wie sie bei "Simply Beautiful" aus der Reduktion knisternde Stimmung erzeugte und allein an diese beiden Worte ein Dutzend Gänsehaut erzeugende Möglichkeiten der Phrasierung vorführte, das war großes Kino.

So lieferte dieser Abend fast eine Art Quintessenz des nach wie vor Bebop-getränkten amerikanischen Mainstream-Modern-Jazz, gefiltert durch den individuellen Ausdruck von fünf Musikerpersönlichkeiten, die alle ganz unterschiedlich damit groß geworden sind. Instrumental herausragend, interpretatorisch spannend und ja, zugegeben, auch mit einem weiblichen Element.

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