Unterföhring:"Kunst kann heilen"

Unterföhring: Maria Esther de la Vega bei der Malaktion in Nairobi.

Maria Esther de la Vega bei der Malaktion in Nairobi.

(Foto: Privat)

Maria Esther de la Vega hat mit Mädchen in Nairobi gemalt

Interview von Christina Hertel, Unterföhring

Im August 1888, zwei Jahre vor seinem Tod, malte Vincent van Gogh von morgens bis abends Sonnenblumen. Es sollte eine "Symphonie aus Blau und Gelb" werden, mit der er sein Atelier schmücken wollte. Er hoffte, sein Malerfreund Paul Gauguin würde dort miteinziehen. Ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen, war auch das Ziel der Unterföhringer Künstlerin Maria Esther de la Vega, als sie vor zwei Jahren ein Waisenhaus in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, besuchte und dort mit 70 Mädchen van Goghs Sonnenblumen malte. Einen Eindruck von dem Projekt können Interessierte in Haidhausen bekommen. Dort hängen in Büroräumen bis Februar 2020 Fotos und Collagen der Malaktion. Welche Spuren Farben und Pinsel bei den Mädchen hinterlassen haben, erzählt Maria Esther de la Vega vorab im Interview.

SZ: Wer waren die Mädchen, mit denen Sie malten?

Maria Esther de la Vega: Die Mädchen waren zwischen fünf und 16 Jahre alt. Viele lebten, bevor sie in das Waisenhaus Rescue Dada Center kamen, auf der Straße, waren drogenabhängig und schnüffelten Kleber. Die Eltern starben häufig an Aids, aber auch viele der Mädchen waren HIV positiv. Die Leiterin erzählte mir, dass viele sich mit Aids anstecken, weil sie der eigene Vater vergewaltigte. Die Männer glauben, Sex mit einer Jungfrau könne sie von der Krankheit heilen.

Bräuchten die Mädchen nicht andere Dinge nicht viel dringender als ein paar Tage zu malen - zum Beispiel Bildung oder psychologische Hilfe?

Die Mädchen werden in dem Waisenhaus, das zu dem katholischen Hilfswerk Misereor gehört, gut betreut. Es gibt Sozialpädagogen und Psychologen. Die Mädchen können zur Schule gehen und verlassen die Einrichtung meist nicht ohne Ausbildung, zum Beispiel als Köchin oder Friseurin. Doch viele der Mädchen hatten noch nie in ihrem Leben einen Pinsel in der Hand.

Was bringt es ihnen zu malen?

Durch das Malen können sie ihre ganz tiefen Gefühle ausdrücken. Kunst kann heilen - weil man sich auf sich selbst konzentrieren muss, aber auch vergessen und loslassen kann. Wir malten mit Acrylfarben und mischten sie mit viel Wasser. Denn wenn die Farbe fließt, reinigt das.

Die Mädchen haben Traumatisches erlebt. Wie schwer war es für sie, sich so auf sich selbst zu konzentrieren?

Viele waren trotz all der schlimmen Erfahrungen lebensfroh. Doch es gab auch Mädchen, die zuerst ein schönes Bild malten und es dann zerstörten. Ich glaube, da kamen Erinnerungen hoch. Ich habe ihnen gesagt, dass sie ein neues Blatt haben können, wenn sie möchten. Es ist wichtig, den Kindern in so einem Moment Freiheit zu lassen. Das habe ich auch bei meinen anderen Kunstprojekten gelernt.

Sie haben auch in einem Waisenhaus für Jungen in Honduras gemalt. Inwiefern drücken sich Jungen künstlerisch anders aus als Mädchen?

Die Jungs dort malten viel direkter. Viele von ihnen waren kriminell und hatten Gewalt erlebt. Genau das zeigten sie auf ihren Bildern, sogar das Blut malten sie. Die meisten Mädchen in Nairobi versuchten, die Pinselstriche ganz weich zu machen und zu verstecken, was ihnen passiert ist.

Was war in Nairobi die größte Herausforderung für Sie?

Das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen. Deshalb habe ich mit ihnen gesungen und gegessen, obwohl die Mitarbeiter das normalerweise nicht tun. Ich habe mir gesagt, dass es mir egal ist, ob der Teller sauber ist. Ich wollte ihnen zeigen, dass ich genau wie sie bin.

Nur dass Sie nach drei Tagen wieder gehen konnten.

Nairobi ist gefährlich. Ich habe gesehen, wie vor meinem Hotel ein Mann überfallen und ausgeraubt wurde. Ich konnte nicht länger bleiben. Wichtig ist, ehrlich zu den Kindern zu sein und ihnen immer klar zu sagen, dass man wieder gehen wird. Nairobi ist in meinem Herzen und ich werde sicher wieder hinfahren.

Die Vernissage der Ausstellung "Kleine Künstler, große Werke" beginnt am Donnerstag, 21. November, um 18 Uhr auf den Flächen von "Mein Arbeits(t)raum" an der Orleansstraße 34 in München. Bis Ende Februar 2020 ist sie zu sehen.

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