Unterföhring:Innovativ - inklusiv

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Das geplante Unterföhringer Gymnasium soll in gemischten Klassen hörbehinderten Kindern den Besuch bis zum Abitur ermöglichen, was bayernweit einmalig wäre. Auch ein Medienschwerpunkt ist vorgesehen

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Der Anstoß ist von ganz oben gekommen: Irmgard Badura, die Behindertenbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, hat im vergangenen Herbst im Unterföhringer Rathaus angerufen und den Bürgermeister gefragt, ob man in der Kommune am Münchner Stadtrand "ein wegweisendes Gymnasium" bauen wolle. Unterföhring will, wie der Gemeinderat in seiner Sitzung am Donnerstagabend einstimmig entschieden hat: Das Gymnasium wird eine Inklusionsschule, in der hörbehinderte Kinder und nicht behinderte gemeinsam bis zum Abitur lernen können.

Einen "historischen Beschluss", nannte Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (Parteifreie Wählerschaft Unterföhring, PWU), das Votum des Gremiums. Die Lokalpolitiker haben damit den Grundstein dafür gelegt, dass hörbehinderte Kinder und Jugendlichen zum ersten Mal in Bayern durchgängig von der fünften bis zur zwölften Klasse ein reguläres Gymnasium besuchen können. Der Landkreis München und die Behindertenbeauftragte des Freistaats hätten Unterföhring ihre Unterstützung angeboten - und eine besondere staatliche Förderung des neuen Gymnasiums sei damit wohl garantiert, sagte der Bürgermeister. Bislang müssen betroffene Kinder, die für den Übertritt an ein Gymnasium geeignet sind, in Bayern nach dem Besuch eines Förderzentrums in der Regel auf eine Privatschule gehen. Die elfte und zwölfte Jahrgangsstufe können sie dann zum Beispiel am Schwabinger Gisela-Gymnasium in München durchlaufen und dort dann das Abitur schreiben. Eine ausgewiesene Inklusions-Oberschule sei eine absolute Neuerung, versicherte der Bürgermeister - und genau das wolle man nun wagen.

Heinz Durner, ehemaliger Schulleiter des Unterhachinger Gymnasiums und seit Jahren Beauftragter für Wissenschaft und weiterführende Schulen im Landkreis München, bezeichnete das neue Gymnasium als "Leuchtturmprojekt für Bayern". Er hat in den vergangenen Monaten im Auftrag der Gemeinde ein ganzheitliches Konzept für die neue Inklusions-Oberschule in der Mediengemeinde ausgearbeitet.

Durner hat in seiner Zeit als Schulleiter nach eigenen Angaben bereits das Gymnasium in Unterhaching modernisiert und auch beim im September 2014 eröffneten neuen Grünwalder Gymnasium das Konzept erstellt. Mit der Oberschule im Süden des Landkreises habe man "einen Volltreffer gelandet", sagte Durner, Grünwald sei mittlerweile zu einer "Pilotschule der deutschen Pilger" geworden, berichtete der Bildungsbeauftragte des Landkreises augenzwinkernd. Und das liege nicht nur an der speziellen Architektur, sondern eben auch an der Ausgestaltung des Lebensraums Schule. Das Gymnasium in Grünwald hat 61 Millionen Euro gekostet, 90 Prozent davon hat die Gemeinde allein bezahlt. Herausgekommen ist eine Denkfabrik in Glasquadern, wo es Kuschelecken und eine eigene Bibliothekarin gibt, wo Gymnasiasten auf einem Kunstrasenplatz Fußball spielen und in einem Theaterhof dem Schauspiel frönen können. Unterföhring könne sich da durchaus ein Beispiel nehmen, die Planungen für das eigene Gymnasium sollten nach den Worten von Durner allerdings noch weiter in die Zukunft weisen: "Sie bauen ein Gymnasium, das auch im Jahr 2060 noch modern sein soll", rief er den Gemeinderäten im Sitzungssaal zu. Man müsse die Chance ergreifen, "eine Ganztagsschule zu gestalten, die flexibel, innovativ, kreativ und kooperativ optimierte Lehr-, Lern- und Bildungsprozesse eröffnet". Diese vier Begriffe stehen laut Durner für eine neue Unterrichtsorganisation mit den Zielen einer Entschleunigung des Schulalltags für alle Beteiligten, der Druck- und Stressminderung im halbtägigen Lernen, für eine erweiterte Lehr- und Lernkultur mit innovativen Leistungsfeststellungsinstrumenten sowie für ein vermehrtes eigenverantwortliches und selbständiges Arbeiten.

Durner schwebt im Unterföhringer Gymnasium die Einrichtung von Experimentierbereichen vor, um dem gewünschten Profil, in der Mediengemeinde auch einen Medienschwerpunkt anzubieten, gerecht zu werden- Stichwort "Schülerlabor 4.0". Dabei könne es sich um ein Lehr-Lern-Labor der Wissenschafts- und Unterrichtskommunikation handeln, das vor allem der Entwicklung guter Unterrichtsmaterialien in Verbindung mit der Arbeitswelt diene - und auch in Sachen Inklusion von hörbehinderten Kindern und Jugendlichen punkten könne. Zum Beispiel, indem in solchen schulischen Experimentierstuben sogenannte Hörfassungen für Filme erstellt würden.

Der Unterföhringer Gemeinderat war begeistert von den Ideen, die Heinz Durner zusammengetragen hatte, und sprach sich für eine naturwissenschaftlich-technische sowie sprachliche Ausbildungsrichtung für die Inklusionsschule aus. Ihr Profil soll sich zudem durch einen musischen sowie Medienschwerpunkt ergeben. Bürgermeister Kemmelmeyer wurde vom Gremium beauftragt, eine Zweckvereinbarung mit dem Landkreis München abzuschließen. Darüber hinaus einigten sich die Kommunalpolitiker darauf, dass auf dem 50 000 Quadratmeter großen Gelände in S-Bahn-Nähe auch die notwendige zweite Grundschule gebaut werden soll. Geplant wird mit einem Haus für bis zu 400 Grundschüler. In Unterföhring könnte also ein Schulcampus entstehen. Die Vorläuferklassen für das Gymnasium sollen bereits 2017 starten.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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