Unruhe in der SPD:Innerlich zerrissen

SPD Fähnchen auf dem Volksfest in Puchheim, 2013

Der Volkspartei SPD läuft das Volk davon.

(Foto: Johannes Simon)

In einem offenen Brief an Sigmar Gabriel prangert Peter Paul Gantzer den Zustand der SPD an. Flügelkämpfe würden die Sozialdemokratie lähmen - die stellvertretende Landrätin Annette Ganssmüller-Maluche widerspricht ihm heftig

Von Martin Mühlfenzl

Es lässt sich viel Verachtung aus dieser Passage herauslesen. "Rosenkrieger" nennt Peter Paul Gantzer die unverbesserlichen Streithähne des linken und rechten Flügels in seiner Partei. Sie seien dafür verantwortlich, dass sich die Menschen von der SPD abwendeten - von der ältesten Partei der Republik, die nach außen, schreibt der Landtagsabgeordnete aus Haar, "als eine zerstrittene, zerrissene Partei" wahrgenommen werde. Sie führten einen "ständigen Rosenkrieg", der Kampf um die Meinungshoheit werde zu oft auf "die persönliche Ebene gehoben", Andersdenkende würden in der SPD "ungeachtet ihrer Qualität abgestraft".

Peter Paul Gantzer ist 77 Jahre alt. Er ist der älteste Landtagsabgeordnete in Deutschland, sitzt seit 38 Jahren ununterbrochen im Bayerischen Landtag. Und er gehört der SPD seit fast 50 Jahren an. Ein Leben in einer Partei - doch gelassen oder altersmilde hat diese Zeit Peter Paul Gantzer nicht werden lassen. Ganz im Gegenteil. "Ich leide um meine Partei", sagt er.

Keine Abrechnung - ein Weckruf

Und dieses Leid teilt er. "Brief an meinen Vorsitzenden. Lieber Sigmar Gabriel". So beginnt das Schreiben Gantzers an den Bundesvorsitzenden, das eigentlich ein Brandbrief ist. Keine Abrechnung, aber ein Weckruf. Ein sehr deutlicher.

"Und es ist auch vollkommen richtig, dass Peter Paul Probleme so klar anspricht", sagt die SPD-Kreisvorsitzende und enge Vertraute des Abgeordneten, Bela Bach. Schließlich seien es nicht zuletzt die kommunalen Mandatsträger und Verantwortlichen, die sich für die Politik der Bundes-SPD rechtfertigen müssten. Und Bach selbst verschweigt nicht, dass diese sehr handfest sind: "Es ist richtig, dass viele nicht mehr wissen, wofür die SPD steht. Es wird zu wenig und wenn zu falsch kommuniziert." Sie selbst, die bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr erneut kandidieren will, könne nicht verschweigen, dass die SPD in einer schwierigen Lage ist.

Unruhe in der SPD: In Sorge um die SPD: Annette Ganssmüller-Maluche.

In Sorge um die SPD: Annette Ganssmüller-Maluche.

(Foto: bard)

In einer Position, in die sich die Partei - da sind sich Gantzer und Bach einig - selbst hineinmanövriert hat. Das "Hauptübel" sagt Gantzer, sei das äußere Erscheinungsbild. Zu jedem Thema - TTIP, Vorratsdatenspeicherung, Altersvorsorge, Glyphosat, Türkei - gebe es in der SPD mindestens zwei unterschiedliche Meinungen. Die Parteiflügel müssten aber lernen, dass Parteitagsbeschlüsse zu akzeptieren und mitzutragen sind. Solange sich dies nicht ändere, sagt Gantzer, würden auch die Wahlergebnisse nicht besser.

Er muss nicht noch einmal vor der SPD-Linie zu Kreuze kriechen

Es ist die Zahl 19, die Gantzer mit dazu veranlasst hat, sich mit einem offenen Brief an seinen Vorsitzenden zu wenden. 19 Prozent in einer Sonntagsfrage. 19 Prozent für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die Geschicke der großen Koalition in Berlin mit sozialdemokratischen Themen zu diktieren. Gantzer treibt die Sorge um, seine SPD könnte den Status als Volkspartei verlieren.

Unruhe in der SPD: Warnt vor Flügelkämpfen: Peter Paul Gantzer.

Warnt vor Flügelkämpfen: Peter Paul Gantzer.

(Foto: unk)

Nicht viele in der SPD haben den Mut, dies so laut und deutlich auszusprechen. Gantzer aber darf das. Alles deutet derzeit darauf hin, dass der Haarer seine politische Karriere 2018 beenden wird. Er muss dann nicht noch einmal um einen guten Listenplatz für die Landtagswahl kämpfen und devot vor der - aus seiner Sicht eh kaum erkennbaren - Linie der Bundes-SPD zu Kreuze kriechen.

Gantzer darf aussprechen, was sich andere nicht sagen trauen: "Wichtig ist ein gemeinsamer Kurs mit klarer Kante. Seit Willy Brandt wurde unsere Partei nie gewählt, weil sie links oder rechts stand, sondern weil wir klare Antworten hatten." Die SPD hatte einst Hoffnung, sagt Gantzer, und mit ihr die Wähler: "Beides ist derzeit nicht vorhanden."

Bela Bach hat noch Hoffnung. Und es ist auch ihre eigene Partei im Landkreis, die ihr Mut macht. "Unsere starken Bürgermeister etwa, die zeigen, dass die SPD auch in dieser Region Erfolg haben kann", sagt Bach - und verweist auf die zehn Rathäuser, die SPD-Bürgermeister in den 29 Kommunen des Landkreises halten. "Zehn standhafte Bürgermeister, die für ihre Überzeugungen stehen und nicht ständig ihre Meinung wechseln", sagt auch Annette Ganssmüller-Maluche, stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende.

Und die Ismaningerin kann sich einen Seitenhieb auf ihren Parteikollegen Gantzer nicht verkneifen: "Er nennt die Partei im Ganzen und fällt ein pauschales Urteil. Das tut man nicht - vor allem nicht öffentlich." Gantzer würdige damit all jene herab, die auch im Landkreis München energisch und beharrlich für die SPD eintreten, sagt Ganssmüller-Maluche: "Er selbst sagt, es dürften keine Rosenkriege geführt werden, eröffnet aber sofort den nächsten. Das ist kein guter Stil."

"Ich erkenne keinen Schlingerkurs."

Die stellvertretende Landrätin erkennt auch an, dass die Bundes-SPD den Kommunalpolitikern die Arbeit nicht erleichtert: "Natürlich müssen wir uns ständig rechtfertigen. Für TTIP, die Flüchtlingspolitik und vieles mehr. Aber ich kann keinen Schlingerkurs erkennen, sondern einen Kurs der großen Koalition. Und der tut uns nicht gut." Sie selbst habe damals beim Mitgliederentscheid für die Zusammenarbeit mit der Union gestimmt, müsse aber rückblickend sagen, das dies ein Fehler gewesen ist: "Für die Partei war das von Nachteil."

Bela Bach indes verteidigt den Hilfeschrei ihres Mentors und ergänzt, die SPD müsse sich auch in der eigene Parteiarbeit erneuern: "Wir werden ganz neue Mittel der Kommunikation finden müssen, transparent und offen sein." Heute falle es vielen schwer, sich in der Partei zu engagieren; die Strukturen, etwa drei Sitzungen in der Woche und viel bürokratischer Aufwand, schreckten Jüngere, junge Familienväter- und Mütter ab: "Aber genau um die müssen wir uns bemühen."

Peter Paul Gantzer legt den Fokus bei seinem Rundumschlag noch einmal auf die Bundespolitik und gibt dem Parteivorsitzenden Gabriel klare Handlungsanweisungen: Die Einkommenssteuer sei zu ändern, mit steuerrechtlichen Privilegierung des Kapitals müsse Schluss gemacht werden. Die Erbschaftssteuer müsse geändert werden, um die ungleiche Vermögensverteilung zu ändern. Denn: "Wir leben in einer Gesellschaft ohne Solidarität der Vermögenden." Dies würden die Menschen nicht verstehen, auch wenn die SPD noch so viel von sozialer Gerechtigkeit rede.

Ob Sigmar Gabriel noch der richtige Vorsitzende ist, um die SPD wieder als echte Volkspartei zu etablieren? Gantzer und Bach wollen diese Personaldiskussion nicht führen, es gehe um Inhalte. Ganssmüller-Maluche sagt, sie schätze Gabriels Arbeit. Aber: "Es braucht ein neues Gesicht, um den Bürgern zu zeigen, es steht eine neue Kraft dahinter." Da sind sie wieder. Die zwei Meinungen in der SPD.

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