Ukrainer in Pullach:Freundschaftsspiel

Ukrainer in Pullach: Sie stehen für eine lebendige Städtepartnerschaft zwischen Pullach und Baryschiwka.

Sie stehen für eine lebendige Städtepartnerschaft zwischen Pullach und Baryschiwka.

(Foto: Claus Schunk)

Auf dem Fußballfeld geht es bei der Begegnung Deutschland gegen die Ukraine um Sieg oder Niederlage. In Pullach erleben viele Menschen, wie die Partnerschaft mit Baryschiwka das Miteinander stärkt. Die Ehepaare Spannbauer und Berk erzählen ihre Geschichte

Von Jana Treffler, Pullach

"Träumst du eigentlich auf Deutsch oder Ukrainisch?" - "Auf Englisch!" sagt Viktoria Spannbauer und lacht. "Aber im Herzen bin ich Ukrainerin, durch und durch." Vor 16 Jahren kam die Englischlehrerin nach Deutschland, wobei die Pullacher Blasmusik eine nicht unwesentliche Rolle spielte.

Die Gruppe stattete dem Heimatort der damals 21-Jährigen einen Besuch ab, um zum zehnjährigen Bestehen der Städtepartnerschaft Pullachs mit Baryschiwka aufzuspielen. Viktoria Spannbauer verliebte sich in einen Trompeter. Deutschland-Ukraine, das ist jetzt eine Paarung auf die beide am Sonntag besonders schauen - bei der Fußball-EM.

Bei Apfelschorle und Weißbier sitzen Jochen und Viktoria Spannbauer in dem gemütlichen Café Treibhaus im Pullacher Ortskern, mit Fensterfront zur Isar. Mit am Tisch sind Barbara Kammerer-Fischer und Otto Horak vom Partnerschaftsverein Pullach-Baryschiwka.

Vier Hochzeiten und unzählige Freundschaften

"Die Partnerschaft lebt", sagt der Vorsitzende des Vereins stolz mit dem Ehepaar als lebendigem Beispiel an seiner Seite, und man glaubt ihm sofort. Mindestens vier Hochzeiten habe es gegeben und unzählige Freundschaften seien entstanden in den 26 Jahren, seit 1990 die Bürgermeister beider Kommunen die Partnerschaftsurkunde unterzeichneten.

Damals konnten die Unterschiede zwischen den beiden Partnerkommunen kaum größer sein. Westen und Osten, wohlhabender Münchner Vorort und ländliche Region nahe Kiew. Nach zaghaftem Abtasten am Anfang entwickelte sich mit der Zeit eine enge, von regem Austausch geprägte Beziehung zwischen den Gemeinden. Kinder und Jugendliche besuchen sich jedes Jahr und auch Erwachsene können am "Druschba-Besuch", Freundschaftsbesuch, teilnehmen.

"Bei uns fahren nicht nur die Obersten mit", betont Horak. Jeder könne mitmachen und es werde darauf geachtet, dass nicht immer die gleichen dabei seien. Außerdem schickt Pullach jedes Jahr einen "Freundschaftstransport" nach Baryschiwka mit dem, was gerade am dringendsten gebraucht wird. Medizinische Geräte, Schulbänke und Tafeln, Gefrierschränke und sogar ein gut erhaltenes Feuerwehrauto wechselten so schon den Besitzer. Otto Horak selbst war einer derer, die im ersten Jahr einen Lkw knapp 2000 Kilometer nach Baryschiwka fuhren.

Als Au-pair kam sie in den Landkreis

Noch weiter haben es Marc-Oliver und Elena Berk, wenn sie mit ihrem Sohn die Großeltern besuchen wollen. Bis zur Krim, Elena Berks Heimat, sind es noch ein paar hundert Kilometer mehr. "Eigentlich hat sie sich immer sehr wohl gefühlt auf ihrer Halbinsel", sagt der Bankfachwirt über seine Frau. Als Au-pair-Mädchen war Elena Berk 2007 nach Grünwald gekommen, wo sie ihren Mann kennenlernte und sich dann fürs Bleiben entschied. Heute hilft die Fremdsprachenkorrespondentin als ehrenamtliche Übersetzerin im Pullacher Partnerschaftsverein.

Fragt man in die Runde nach den Unterschieden zwischen Deutschland und der Ukraine, hat man das Gefühl, dass sich die im Café Treibhaus an einem Tisch Versammelten eigentlich viel besser mit den Gemeinsamkeiten auskennen. Die russisch-stämmige Elena ist laut ihrem Mann ohnehin deutscher als er selbst. "Ich bin hier der Russe! Sie liebt die Ordnung, schöne Autos und Mülltrennung", behauptet Marc-Oliver lachend und erntet dafür einen amüsiert-empörten Blick aus den strahlend blauen Augen seiner Frau.

Die selben Augen bekommen einen traurigen Ausdruck, wenn Berk über die aktuelle Lage in ihrer Heimat spricht. Anders als Baryschiwka, das heute erlebt, wie die Reformen auf kommunaler Ebene ankommen und sich demokratische Strukturen etablieren, ist die Krim nach der Annexion durch Russland eine Region mit einer gespalten Bevölkerung und der Lebensstandard gesunken. "Es ist einfach schwierig im Moment", sagt die Ukrainerin mit den russischen Wurzeln.

Ein kleines Licht für ein Land, das viel durchgemacht hat

"Aber bei der EM bin ich auf jeden Fall für die Ukraine." Früher habe sie sich immer nur mit gemischten Gefühlen entscheiden können, ob sie Russland oder der Ukraine die Daumen drücken soll. Dieses Mal aber habe die Ukraine es einfach verdient, weit zu kommen, sagt Elena Berk. Es wäre wie ein Geschenk, ein kleines Licht nach allem, was das Land durchgemacht habe.

Ihr Mann findet, gerade den Menschen in ländlichen Regionen, in denen oft nur der Garten das Überleben sichere, gebe es viel, an so etwas Großem teilhaben zu können. Die EM wird in der Ukraine generell sehr wahrgenommen, da sind sich alle am Tisch einig. Fähnchen und Nationaltrikots hätten Konjunktur.

Die Jugendgruppe, die diesen Sommer nach Pullach kommt, hat als Unternehmungswunsch fast ausschließlich Fußball angegeben. Diese Leidenschaft hänge vielleicht auch mit dem ausgeprägten Traditionsbewusstsein und dem Nationalstolz der Ukrainer zusammen, vermutet Otto Horak.

Eine Wange in schwarz-rot-gold - eine in gelb-blau

Bei den deutsch-ukrainischen Ehepaaren aus Pullach droht wegen des Spiels am Sonntag dennoch keine Beziehungskrise. "Eine Wange wird gelb-blau, eine schwarz-rot-gold bemalt", sagt Viktoria Spannbauer, auch wenn sie sich klar zur Ukraine als Favorit bekennt. Als ihr Mann 5:0 für Deutschland prophezeit, schüttelt sie bloß ihr kastanienbraunes Haar und verdreht die Augen in seine Richtung. Sie schließt sich dem diplomatischen 1:1 an, auf das Horak tippt. Abergläubige könnten die einzige Begegnung der Partnergemeinden auf dem Fußballfeld als Omen für das Spiel am Sonntag ansehen. Damals, vor zehn Jahren, verlor der SV Pullach gegen die Ukrainer.

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