Übergangslösung:Das Garchinger Theater zieht in ein Zelt

Weil sich die Sanierung des Garchinger Bürgersaals verzögert, finden die Aufführungen bis Ende April in einem Notquatier statt. Lohnt sich der Aufwand?

Von Julian Carlos Betz, Garching

Gut organisiert, das ist der erste Eindruck, den der Besucher des Garchinger Theaterzelts hat. Schon auf dem Weg dorthin, das heißt beim Verlassen der U-Bahn-Station, wartet auf ihn wie bestellt eines der fünf geräumigen Shuttle-Taxis auf dem Maibaumplatz und er wird freundlich gebeten, einzusteigen. Zwar liegt der Bürgerpark, in dem sich das voluminöse Kulturzelt befindet, nicht weit entfernt, doch angesichts der Temperaturen wählt der auf Komfort Wert legende Theatergast gerne die kostenlose Beförderungsleistung der Stadt. Der Anblick des bunt beleuchteten Zelts ruft dann angenehme Erinnerungen an Tollwood-Besuche und winterliche Darbietungen von Musik über Theater bis Kleinkunst hervor. So wie es da einsam bei Nacht steht, könnte es sich genauso gut auf der Theresienwiese befinden.

Ist so ein großer Aufwand für eine Übergangslösung zu rechtfertigen? Angesichts horrender Mieten und mangelnder Gebäude im Münchner Raum erscheint es aber gar nicht so abwegig, auch mal exaltierte Wege zu gehen, vor allem wenn es schnell gehen muss. Weil sich die Sanierung des Garchinger Bürgerhauses verzögert, musste spontan Ersatz gefunden werden. Im Mai sollen die Arbeiten abgeschlossen sein, solange steht das Zelt zur Verfügung. Es überrascht schon beim Eintritt im Foyer: Bei dem Wort "beheizt" war man vorher skeptisch, denn solche Versprechen reichen aus Erfahrung von stubenwarm bis energieeffizient-lauwarm. Tatsächlich herrschen komfortable Temperaturen und die ersten Hits aus den Siebzigern schallen bereits vor Beginn der Aufführung des seit Jahrzehnten populären Musicals "Saturday Night Fever" aus den Boxen. Mit reichlich Garderobenplatz und zwei Bars sowie den obligatorischen Toiletten sind damit die wichtigsten Bedürfnisse erfüllt.

Als das Musical schließlich anfängt im äußerst gut besuchten Hauptzelt, sind also erst einmal keine Wünsche offen. Die singenden Tänzer stürmen auf die Bühne und wer die Zeit nicht selbst erlebt hat, kennt sie zumindest eindrücklich aus Filmen, Büchern oder Musikvideos. John Travolta, offene Hemden mit strotzendem Brusthaar, Schlaghosen, Farbkombinationen, die einem heute irrwitzig erscheinen, eigenwillige Frisuren und natürlich die Songs von den Bee Gees, allen voran "Night Fever". In der neu bearbeiteten Musicalfassung von Ryan McBride geht es jedenfalls hoch her. In Anlehnung an den berühmten gleichnamigen Film aus dem Jahr 1977 zeigen Tony Manero und Stephanie Mangano, was es heißt, leidenschaftlich zu tanzen und dabei noch die aufzehrenden Probleme des eigenen Lebens zu vergessen.

Hakan T. Aslan, der bei diesem Stück für Regie und Choreografie verantwortlich ist, präsentiert abwechslungsreiche Tanzfiguren und ansprechende Konstellationen. Die Darsteller liefern eine impulsive Darbietung, Fynn Duer-Koch als flamboyanter DJ Monty in der Manhattaner Disco "2001 Odyssey" wirkte sehr charismatisch und auch der Hauptdarsteller Marius Bingel als Tony steigert sich im Laufe des Abends in eine gelungene Vorstellung hinein. Nadine Kühn als Annette, die von Tony herablassend und respektlos in seiner Clique herumgereicht wird, kann wiederum gesanglich erfreuen, mit dem Song "If I can't have you" von Yvonne Elliman, als sich Tony endgültig von ihr abwendet.

Tänzerisch ist das ganze Ensemble zu loben, das gut aufeinander abgestimmt ist und den Charme der Siebziger durch facettenreiche Körpersprache zum Ausdruck bringt. Besonders eindrücklich ist die Österreicherin Carina Fitzi, deren Erfahrungen beim Geräteturnen auf der Bühne sichtbar durchschlagen. Gewöhnungsbedürftig aus heutiger Sicht ist natürlich der inhaltliche Blick auf die Frauenrollen: Außer "braven Mädchen", die auf ihre Männer hören, und "Schlampen", die nicht auf ihre Männer hören, gibt es da nicht viel. Und Vergewaltigung ist offenbar sowieso fester Bestandteil im Alltagsrepertoire eines gestandenen Mannes. Vergessen ist schließlich das Unglück, wenn sich zum Schluss alle noch einmal in glitzerndem Outfit in Gold und Silber zu "Disco Inferno" von The Trammps auf der Bühne austoben und der Refrain "Burn, baby, burn" aus den Lautsprechern die Zuhörer zum Mitwippen und Mitklatschen animiert.

Anton und Renate B., extra für das Musical aus Scheyern bei Pfaffenhofen angereist, sind jedenfalls begeistert. Vom Gesanz und vom Tanz. Die Zeit sei wie im Flug vergangen, sagen sie. Vom Zelt halten sie weniger. Aber das habe sie auch weniger interessiert. Außerdem funktionierte die Beheizung im großen Zelt nicht ganz so einwandfrei wie im Vorzelt. Kalte Strömungen und Phasen und mehrminütige Temperaturabfälle - da mussten Tanz und Musik noch einige Wärme von innen liefern.

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