U2 in München:Messe mit Bischof Bono

U2 liefern mit "360 Grad" im Olympiastadion eine grandiose Show. Bono, eine Rampensau allererster Güte, predigt charismatisch gegen Krieg, Folter und Verblendung. Er ist der würdige Nachfolger von Mutter Teresa.

Lars Langenau

Vorab: Es war eine grandiose Show, die U2 da Mittwochabend im ausverkauften Olympiastadion geliefert haben. Bono ist eine coole Rampensau allererster Güte. Ein Naturtalent seit 1976, seitdem der Sänger Paul David Hewson, Gitarrist David Howell Evans (besser bekannt als The Edge), der Bassist Adam Clayton und Schlagzeuger Larry Mullen Junior in Dublin zusammenfanden.

Konzert U2

Er setzt sich öffentlichkeitswirksam für Menschen ein: U2-Frontmann Bono.

(Foto: dapd)

Auch in München bebte das Stadion. Die mehr als 70.000 Fans erlebten eine Bühnenshow, die an Vielseitigkeit kaum zu überbieten ist. Die Akustik? Na ja. Was soll man von einem Stadion schon mehr erwarten? Aber ist das wirklich noch ein Konzert, wenn U2 auftreten - oder eher ein Gottesdienst?

Vorgewärmt für die irische Superband hatten die amerikanischen Poprocker von OneRepublic. Zu den Klängen von Space Oddity (besser als Major Tom bekannt) von David Bowie und im grellen Flutlicht schritten dann Bono, The Edge und Co weihevoll ins Stadion und legten dann nach Return of the Stingray Guitar mit einem ihrer bekanntesten Hits, Beautiful Day, los.

Ein hervorragender Einstieg für einen wundervollen Abend - und auch der Himmel sah zunächst aus, als sei er von Petrus persönlich begünstigt. Es reihten sich zunächst neuere Stücke wie Get on your Boots oder Magnificent aneinander, bis Bono die alten Gassenhauer auspackte und der typische Gitarrenschrammelrock von The Edge zum Tragen kam.

Bono trug eine schwarze Lederjacke, ein schwarzes T-Shirt, schwarze Lederhose und eine seiner typischen, großen Sonnenbrillen. Das ist auf gewisse Weise Understatement. Es mag ja viele Witze über das Gutmenschentum (ein schreckliches Wort) des Frontmannes von U2 geben. Aber Mutter Teresa ist einfach nicht mehr - die Welt aber verlangt nach jemandem wie ihr. Wer sonst sollte ihre Nachfolge antreten? Bono ist ein prima Ersatz, und er kann wohl auch besser singen.

Glauben und Politik pur

Der Frontmann der Iren vermittelt Politik und Glauben pur. Er ist gegen Krieg, Folter, Aids und Malaria. Er setzt sich öffentlichkeitswirksam für Menschen ein, die seit Jahren aus politischen Gründen weggesperrt sind, wie die seit 20 Jahren unter Hausarrest stehende Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus Birma. Für Amnesty International ist er ein unbezahlbarer Botschafter geworden. Den Einsatz gegen die Geißeln der Menschheit bringt keiner so überzeugend wie dieser Missionar aus Dublin rüber, der aus seiner tiefverwurzelten Religiosität keinen Hehl macht.

Die aktuelle Tour heißt "360 Grad". Tatsächlich sieht die Bühne wie ein gerade gelandetes gigantisches Ufo in Krakenform aus und ist von allen Seiten gleich gut einsehbar. Auf dem runden, variabel formbaren Bildschirm in Trichter oder Kubusform laufen Videoclips in allen möglichen Farben und Formen. Von verfremdeten Frauenkörpern bis zur Filmeinblendung der ISS und ihrem Blick auf die Erde. Zudem verwandelt sich die 45 Meter hohe Bühne hin und wieder in eine stilisierte Rakete. Unglaublich, was Bühnentechnik heute alles kann. U2 nutzen es - und gehen an die Grenzen des Möglichen.

Der Zuschauer ist irgendwann von dem Lichtspektakel und den Kunstnebelwaden da vorne auf der Bühne so gefangen, dass er sich selbst als Teil eines Videoclips wahrnimmt. Da laufen Bono und The Edge über fahrbare Brücken, rotierende Laufstege, gehen, springen, hetzen über das Rondell mit mehreren Ebenen und werden genial eingefangen durch die vielen Kameras, die sie auf die Leinwand übertragen. Eine perfekte Show.

"Wir sind keine Helden"

Nur: Ein wenig geraten die Songs bei diesem Feuerwerk der Ideen in den Hintergrund. Doch die Fans stört es nicht. Die singen alles mit - von Elevation über Vertigo bis zum unvermeidlichen Sunday, Bloody Sunday. Den Song muss die Band schon 1000 Mal gespielt haben und es ist ihnen zum Auftrag geworden: "How long must we sing this song?" heißt es fast verzweifelt in einer Zeile des Liedes.

U2-Konzert in München

Wie ein gigantisches Ufo in Krakenform: die Bühne der Band.

(Foto: dpa)

Einst geschrieben als Anklage gegen Fanatismus im Nordirlandkonflikt ist der Song heute eine allgemeingültige Ikone im Kampf der Band gegen Wahnsinn, Zerstörung und Verblendung. Und es ist ein Song, bei dem den Zuhörern nach wie vor kalte Schauer über den Rücken laufen.

Bei Bonos hymnischem Gesang fliegen keine Schlüpfer auf die Bühne. Er schwebt über den Dingen. In München auch ganz real: Ein leuchtend rotes Mikrophon wird zum Seil, das ihn durch die Luft trägt. Seine Lederjacke verwandelt ihn mit Laserstrahlen in ein schier überirdisches Wesen. Dieses Accessoire dürfte bei jedem Discogänger tiefe Neidgefühle auslösen.

Der inzwischen 50-jährige Bono sucht und findet umgehend den Kontakt zum Publikum. Er kokettiert mit dem Oktoberfest - und würde trotz aller Sympathie für die Jubiläumswiesn dem dort gereichten Bier doch ein Guinness vorziehen, scherzt er. Außerdem seien er und seine Bandmitglieder gemeinsam inzwischen genauso alt wie das Oktoberfest: 200 Jahre.

Und dann dankte er den Münchner Krankenschwestern und Ärzten, die ihm im Frühjahr mit einer Notoperation bei einer Ischias-Quetschung halfen. Ohne diese Hilfe in München, sagt er, wäre es nicht möglich gewesen, diese Show zu machen. "Wir sind keine Helden, aber die Krankenschwestern und Ärzte sind die wahren Helden. Danke München." Dann wünschte er München noch viel Glück im Fußballspiel gegen den AS Rom.

U2 spielten mehr als zwei Stunden. Ihren typischen Sound. Von Blues über Country bis zu Trip Hop. Mit einer schier unfassbar grenzüberschreitenden Vielseitigkeit. Die Fans gerieten vor allen bei den alten Songs aus dem Häuschen. Where the Streets Have No Name, With or without you oder etwa I Still Haven't Found What I'm Looking For - alles irre gute Songs. Alle geliefert. Doch selbst ihre wunderbaren Balladen wurden vom Publikum weggebrüllt. Als würden die Erinnerungen und damit die Möglichkeit des Mitsingens das fortschreitende Altern des Publikums stoppen können. U2 klauen dann noch kurz bei Frankie Goes to Hollywood mit Relax don't do it, aber sie können es sich erlauben. U2 schweben eben über den Dingen.

Das Konzert war eine heilige Messe, gerade zum Abschluss, als der südafrikanische Bischof Desmond Tutu auf einer Videobotschaft für die Organisation ONE und ihren Einsatz gegen Aids und extreme Armut in Afrika wirbt und Bono das dann musikalisch unterlegt. Bischof Bono - das wäre mal was. Doch die Erneuerung des Glaubens schafft er auch ohne kirchlichen Auftrag und Amt.

Vier heilige Männer

Unter der Lederjacke trägt Bono zum Finale ein Bayern-Trikot. Und tatsächlich: Bayern hat gewonnen: 2:0. Der Mann muss einfach ein Heiliger sein. Selbst oder gerade bei 155 Millionen verkauften Tonträgern, 22 Grammys und mit inzwischen 750 Millionen Dollar Einnahmen aus dem Live-Geschäft. Und selbst bei Eintrittspreisen von mehr als 170 Euro denkt man bei U2 noch, man hat etwas Gutes getan. Inzwischen regnete es etwas. Doch das konnte die Fans nicht mehr verunsichern an ihrem Glauben an die Band und in ihrem Glauben, mit ihrem Besuch des Konzertes die Welt ein Stückchen besser gemacht zu haben. Man singt eben gemeinsam Singin' in the rain.

Punkt 23 Uhr ist Schluss. Das muss so sein im Olympiastadion aus Gründen des Lärmschutzes. Dass sie sich an solche Vorschriften halten, auch darin bleiben sich die heiligen vier Männer aus Dublin treu. Denn wer möchte anderen Menschen während eines Gottesdienstes schon weh tun?

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