Theater:Wider den Ventilator

clowns 2 1/1

Sie sind eigenwillig, kindisch, irgendwie liebenswert. Und in ihrer Renitenz durchaus einfallsreich: Die Senioren in Roberto Ciullis Theaterstück.

(Foto: Andreas Köhring)

Im Stück "Clowns 2 1/2" bäumen sich Bewohner eines Altersheims gegen Autorität und Langeweile auf und befeuern das Chaos

Von Marie Heßlinger, Pullach

Auf kleinen weißen Kinderstühlen sitzen sie, in großen Abständen zueinander, und lesen gewichtig die Süddeutsche Zeitung. Bis einer der Seniorengruppe anfängt, seine Zeitungsseite mit lautem Rascheln umzuschlagen. Ein anderer fühlt sich provoziert, und klappt seine Zeitung lauter zu. Die beiden schaukeln sich gegenseitig hoch, ein Rhythmus entsteht. Ruckartig zerreißen jetzt auch die sieben anderen Clowns die Seiten. Von ihren Rhythmen wird eine edle, große Gestalt angelockt. Sie begleitet das Geräuschkonzert auf einem Flügel. Am Ende Zeitungsfetzen überall im Altersheim.

"Schon das erste Bild ist eine Aussage über die Welt", erklärt der Regisseur Roberto Ciulli später: "Warum soll ich immer diese Zeitungen lesen? Je mehr man informiert ist, desto weniger weiß man." Viele Menschen hätten diese Erkenntnis viel zu spät. Die Clowns sollen ihr Publikum zu einer lachenden Erkenntnis bringen. "Sie bringen uns zum Lachen, aber es ist nicht ein Lachen über sie, es ist ein Lachen über uns selber", sagt Ciulli. Mit seinem Stück "Clowns 2 1/2" konfrontiert der 85-Jährige, der seit 1980 das Theater an der Ruhr leitet, die Zuschauer im Pullacher Bürgerhaus am Mittwochabend mit ihrer möglichen Zukunft in einem Altersheim.

Als das Lied zu Ende ist und die Senioren das Chaos um sich herum betrachten, betritt ein weißer Clown mit einer schnabelförmigen Maske den Raum. Mit einem Ventilator pustet er die Senioren weg. Sie kugeln einer nach dem anderen auf dem Boden davon. Nur einer von ihnen wirkt nicht überrumpelt. Er bleibt sitzen, so lange es geht, steht schließlich würdevoll auf, packt seinen Stuhl, und geht. Der weiße Clown mit dem Ventilator, ist er der Tod?

Von Ciulli lernt man, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Hochphase der Zirkusse, immer zwei Clowns gab: einen weißen und einen roten. Die Figur des weißen Clowns entstand, als ein angesehener Zirkuskünstler vom Pferde fiel und merkte, dass das Publikum darüber lachte. Seine Rolle war fortan die des überlegenen, des reichen und vernünftigen Clowns. Die Figur des roten Clowns entstand später, als ein Diener, der herbeieilte, um einem Zirkuskünstler ein Requisit zu bringen, stolperte. Er ist der unterlegene, der arme, der emotionale. Bald mochte ihn das Publikum lieber als den weißen Clown.

Die roten Clowns, das sind in diesem Stück die Senioren. Sie sprechen nicht und wenn sie Laute von sich geben, dann klingt es wie Babysprache. Sie alle haben eigenwillige und doch liebenswerte Charaktere. Da ist etwa "Schuschu", die, wie es Ciulli ausdrückt, "denkt, ihr erotisches Potenzial sei noch nicht zu Ende". Gleichzeitig wirkt sie wie die kleinste von allen, die trotzig alles haben will und ständig zu weinen beginnt. Auch die anderen Clowns verhalten sich wie Kinder. Der im blauen Jogginganzug scheint im Moment zu leben. Sei es im Spiel mit einem gefalteten Papierschiffchen, beim Rauchen oder beim Eisessen. Der weiße Clown nimmt ihm all diese Freuden weg: Als Pfleger und Aufseher stellt er die Alten bloß. Der Pianist hingegen, die edle, große Gestalt, steht immer bereit, wenn die Senioren Freude empfinden und begleitet sie mit seiner Musik. Sein Name ist Matthias Flake. Er arbeitete als Co-Autor an dem Theaterstück mit.

Um die Figuren des Stückes zu entwickeln, hat sich Ciulli nicht etwa in ein Altersheim gesetzt. Inspiriert haben ihn Erinnerungen an seine eigene Jugend in verschiedenen Internaten. Auch zahlreiche Filme dienten als Vorlagen. Eine Dokumentation etwa über das Casaverdi in Mailand, ein Altersheim für Musiker. Ciulli hatte als Kind nur eine Straße entfernt davon gewohnt. Für ihn ist das Thema des Stückes dieses: "Die Zerstörung, das Nicht-mehr-wollen." Und: Widerstand.

Dieser macht sich im Laufe des Stückes vonseiten der älteren Clowns immer stärker bemerkbar. Nachdem sie die Zeitungen zerrissen haben, teilt der weiße Clown ihnen am nächsten Tag einfach keine mehr aus. Doch sie komponieren trotzdem ein eigenes Lied: mit "Ritsch"- und "Ratsch"-Geräuschen aus ihren Mündern. Und als der weiße Clown den Ventilator auffährt, bäumen sie sich wie ein Schiff dagegen auf. Das findet selbst der weiße Clown so lustig, dass er den Ventilator ausstellt und stattdessen ein Foto von ihnen schießt.

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