Theater:Jenseits aller Regeln

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Eigentlich ein Traumpaar, wäre da nicht diese Ziege. Wird Stevie (Sandra Heuer) ihren Mann (Patrick Gabriel) nach seiner Offenbarung mit in den Abgrund ziehen, wie sie ankündigt? Oder überwindet Liebe doch alles? (Foto: Claus Schunk)

Ottobrunn erlebt die packende Premiere eines Stücks über die Liebe zu einer Ziege

Von Udo Watter, Ottobrunn

In ihr brodelt es, sie reagiert sarkastisch, aber noch schafft sie es, halbwegs die Fassung zu bewahren. Stevie Gray, Frau des Architekten Martin Gray, sitzt vor einem Erdhaufen und streicht diesem mit fast zärtlichen Bewegungen über den Boden. Was sie sich anhören muss, ist kaum erträglich. Ihr Mann - Vater ihres Sohnes, Liebe ihre Lebens, beruflich höchst erfolgreich - hat ein Verhältnis mit einer Ziege. Als er erzählt, wie er eine Therapiegruppe für Sodomiten besucht, und er auf ihre Frage, welches Tier denn der Gruppenleiter beglücke, antwortet: "Ein kleines Schwein", kann sie nicht mehr an sich halten. Stevie (Sandra Heuer) bewirft den Mann, der ihre Welt zerstört hat, mit Erde. In ziemlich breiter Streuung fliegt der Dreck quer über die Bühne des Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus, sodass manch Zuschauer in den ersten beiden Reihen kurz zusammen zuckt.

Man könnte sagen: Auch sonst war die Vorstellung von Edward Albees dramatischer Komödie "Die Ziege oder Wer ist Sylvia?" eine Herausforderung für das Publikum. Wer freilich befürchtet hatte, man werde angesichts eines Stückes um einen "Ziegenficker" ständig mit verbalen oder sonstigen Sudeleien konfrontiert, der sah sich getäuscht. Dem Stoff, den sich Regisseur Bernd Seidel herausgesucht hat, wohnt zwar verstörendes Potenzial inne: Stein des Anstoßes ist die erotische Beziehung eines Menschen zu einem Paarhufer, dem er den Namen Sylvia gibt. Aber der 63-Jährige, der seit vielen Jahrzehnten Ottobrunn als Premierenort seiner Inszenierungen nutzt, legt es nicht drauf an, das Tabuthema skandalträchtig zu zeigen, sondern konzentriert sich neben der Frage, wie weit Grenzüberschreitungen in einer bürgerlichen Gesellschaft möglich sind und zu was uns eine (wie auch immer geartete) Liebe treiben kann, auf die Entfaltung der tief verstörten Gefühlswelten.

Dazu bedarf es eines starken Schauspiel-Ensembles, und das war in Ottobrunn zu sehen. Patrick Gabriel in der Rolle des Martin ist ein Zerrissener, der ein Tier genau so liebt wie seine Frau, und der mal sagt: "Es hat doch keinem weh getan!" Ab und an neigt Gabriel dazu, die innere Konfusion seiner Figur überdeutlich in die Mimik einfließen und die Augen recht oft blitzen zu lassen, aber generell packt er einen mit seiner darstellerischen Hingabe. Sandra Heuer ist als Stevie großartig, dosiert wunderbar in der Darstellung der zwischen Verletzung, Sarkasmus und Wut changierenden Frau. Frank Rafael Bosse mimt den Part des 17-jährigen Sohnes Billy, über den sein Vater sagt, er sei "schwul wie die Neunziger", überzeugend, obgleich er ein wenig Larmoyanz aus seinem Timbre filtern könnte. Manuel Castillo, der die Rolle von Martins besten Freund spielt (der ihn indes verrät), merkt man in der Artikulation an, dass er zuletzt viel in Spanien arbeitete, gleichwohl ist er in der Rolle des ambivalenten Ross sehr stark. Man weiß letztendlich nicht, ob er einfach nur oberflächlich-arrogant ist, nur den konventionellen Schein wahren will, oder eventuell doch ein guter Freund.

Für Seidel charakteristisch, lebt die in ihrer Intensität imponierende Inszenierung auch vom körperlichen Spiel der Akteure und von performativen Elementen. Das Bühnenbild ist durchaus gelungen, zwei Bilder von Monique Kammin entfalten leicht magische Abgründigkeit. Das Ende indes bleibt offen: Anders als bei Albee schlachtet Stevie die Ziege nicht, vielleicht bleibt Martin trotz seiner Verfehlungen "jenseits aller Regeln" nicht allein. Dem kräftigen Applaus nach fühlte sich das Publikum zwar heraus-, aber nicht überfordert.

Am Samstag, 21. Oktober, läuft das Stück im Kubiz Unterhaching.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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