Theater in Taufkirchen:Integration im Kraut- und Kartoffelland

Theater in Taufkirchen: Drei Ayses, drei Einwanderer-Biografien: Isa Weiß, Regina Vogel und Claudia Frost (von links) sitzen auf gepackten Rollkoffern.

Drei Ayses, drei Einwanderer-Biografien: Isa Weiß, Regina Vogel und Claudia Frost (von links) sitzen auf gepackten Rollkoffern.

(Foto: Claus Schunk)

Tuğsal Moğuls Stück "Die deutsche Ayse" erzählt von den Lebensläufen dreier türkischer Frauen der ersten Einwanderer-Generation.

Von Udo Watter, Taufkirchen

Es war grau und es war kalt. Am Sonntag trugen die deutschen Männer alle die gleichen Sonntagsanzüge und die gleichen Hüte. Aber meistens wurde eh gearbeitet in diesem fleißigen Land, über die Hälfte des Jahres war es dunkel in der Früh, wenn man zur Arbeit ging. Und es war dunkel am Abend, wenn man fertig war. Die deutschen Männer gingen dann oft noch in dunkle Kneipen.

Brr. Es fröstelt einen leicht bei der Tristesse, wenn Ayse - türkische Einwandererin der ersten Generation - vom eher tristen Alltag in dem Land erzählt, das eigentlich Destination ihrer Sehnsüchte gewesen war. Sie ist nicht allein auf der Bühne des Taufkirchner Kulturzentrums: Drei Frauen sitzen da, alle drei heißen Ayse, und sie erzählen von ihren Erfahrungen: "Die deutsche Ayse - Türkische Lebensbäume" heißt das Stück von Tuğsal Moğul, das auf einem Rechercheprojekt basiert: Der Theatermacher und Arzt, Westfale und Sohn türkischer Einwanderer setzt sich darin mit den Lebensläufen dreier türkischer Frauen der ersten Einwanderer-Generation auseinander - eine oft vernachlässigte Thematik, die aber zeitlos-aktuelle Züge hat.

Dass sich an diesem schönen Samstagabend Taufkirchen alles andere als grau zeigte, sondern unter dem Motto "Zusammen leben - zusammen feiern" Schauplatz eines großen Familienfestes "Taufkirchen ist bunt" war, erwies sich indes als starke Konkurrenz (siehe oben). Nur wenige Besucher wollten Moğuls Stück sehen, das bei den NRW-Theatertagen 2014 den Publikumspreis gewonnen hatte und originell die Debatte um Integration bereichert.

Dabei unterläuft der Autor, der für die Inszenierung dieser Produktion des Landestheaters Schwaben verantwortlich zeichnet, gerne die Erwartungshaltung des Zuschauers. Das fängt schon damit an, dass die drei Ayses im schicken Business-Outfit mit Rollkoffern einlaufen - das sind keine anatolischen Hinterwäldlerinnen, die ihr Hirn unterm Kopftuch verstecken, sondern selbstbewusste Frauen. Gespielt werden die drei Türkinnen zudem von den deutschen Schauspielerinnen Claudia Frost, Regina Vogel und Isa Weiß: Während sie sich zu Beginn auf Deutsch vorstellen und ihre Biografien in Bewerbungsgespräch-Floskeln für die Aufnahme in Deutschland packen, ist es am Ende umgekehrt: Nun, mit offenem Haar, stellen sie sich (mit ihren deutschen Namen) auf Türkisch vor, weil sie einen Job in der Türkei suchen - ein einfacher, aber wirkungsvoller Trick, um Schneisen in die Denkkonventionen zu schlagen. Ein ebenso simpler, aber nie zu überschätzender Satz fällt schon vorher: "Man muss differenzieren", sagt Claudia Frost als Ayse Buz. Nicht alle Türken seien gleich, nicht alle deutschen seien gleich. Die eine kommt aus der Nähe von Istanbul, die andere aus İskenderun.

Die Inszenierung bringt die Emotionen der drei Frauen, ihre Hoffnungen, ihre Träume, ihre Enttäuschungen, ihren Stolz auf die nachfolgende Generation, ihre Suche nach Geborgenheit auf unterschiedliche Weise nahe. Mitunter erzählen die Ayses klassisch-chronologisch, mitunter singen sie, tanzen verführerisch oder halten inne, während im Hintergrund verblichene Familienbilder auf der Leinwand nostalgische Stimmung aus den Sechzigern heraufholen. Mal herzen sie sich, quasseln wie Hühner, ergehen sich in Ayse-Gekreische, dann finden sie wieder berührende Beschreibungen ihrer Erlebnisse. Schön ist etwa, wenn Isa Weiß sagt, sie habe vor der Abreise noch mal in eine Melone gebissen, weil sie den Geschmack des Südens mitnehmen wollte. In Deutschland gebe es ja nur Kraut und Kartoffeln.

Natürlich werden auch falsche Vorstellungen und Klischees thematisiert, was witzig, irritierend und teils maliziös ist. "Ich freue mich auf Deutschland. Sie haben uns ja eingeladen", versichern sich die Türkinnen, um die Angst vor einer eventuell unfreundlichen Aufnahme zu vertreiben. Gewisse christliche Rituale scheinen ihnen merkwürdig: "Sie essen ihn", heißt es über Jesus. Schön böse auch, wenn sie sich über die NS-Vergangenheit unterhalten. "Es heißt, in Deutschland gibt es keine männlichen Vorbilder mehr. Die sind entweder tot oder waren Nazis." Auch der Holocaust ist ihnen nicht unbekannt: "Nicht, dass die jetzt aus uns Seife machen."

Das Schöne an Moğuls Stück: Es ist frei von Betroffenheiten und wohlfeilen Vorwürfen. Es zeigt Lebenswirklichkeiten auf, es lenkt den Blick auf Individuen mit ihren Gefühlen, macht also im besten Sinne konkretes Menschsein innerhalb des abstrakten Themas "Integration" sichtbar. Und auch wenn der Inszenierung manchmal ein wenig mehr Tempo und Drive gut getan hätte, berührt es auf merkwürdige Art, auch dank der drei Schauspielerinnen. Die hatten es an diesem Abend atmosphärisch nicht ganz leicht, zeigten aber eine weitgehend überzeugende Vorstellung und beeindruckten nicht nur mit ihrem Türkisch, sondern auch mit einer dreistimmigen Interpretation von "Kein schöner Land". Kleine Pointe am Rande: Sie sangen nicht "im Eichengrund", sondern "Aysengrund".

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