Süddeutsche Zeitung

Serie: "Menschen an der Isar":"Wir waren zuerst da"

Der Flaucher ist das liebste Freizeitgebiet vieler Grill-Fans - zum Ärger mancher Anwohner

Von Margarethe Gallersdörfer, Thalkirchen

Der Flaucher hat Roswitha Hörmann krank gemacht. Sie hat es schriftlich, als Attest. Doch nicht die Isar ist schuld an Hörmanns schmerzender Brust, an ihren ständig entzündeten Bronchien, den Schlafstörungen, dem Asthma und den allmorgendlichen Hustenanfällen - natürlich nicht. Auch die sonnengewärmten Steine oder die Bäume und Sträucher können nicht verantwortlich gemacht werden. Das Problem sind die Griller.

Wer an einem schönen Sommerabend an der U-Bahn-Haltestelle Thalkirchen ankommt, riecht es schon, während er noch die Treppe hochsteigt: Die dicken Schwaden über dem Fluss sind kein Nebel, sondern der Rauch von kokelnden Grillfeuern. "Und von Bodenfeuern!", sagt Anton Hörmann, 72 Jahre alt und Ehemann von Roswitha Hörmann. Die Hörmanns sind - gezwungenermaßen - zu Experten geworden. Grillfeuer, Grillanzünder, Grillfackeln und Bodenfeuer, auch wenn die eigentlich verboten sind: Das ganze Bouquet könne man, sobald es warm wird, jeden Tag von circa 15 Uhr an auch bei Hörmanns in der Wohnung erschnüffeln.

Zumindest theoretisch, denn die Fenster bleiben zu bei Hörmanns: Wenn sie nach dem Beginn des großen Grillens am Flaucher nur für zehn Minuten lüften, fängt Roswitha Hörmann an zu husten. Die Folge: Die Hörmanns können abends und nachts die Fenster nicht mehr öffnen, manchmal auch schon nachmittags nicht mehr. Und das im Sommer, wenn sich ihre Wohnung im vierten Stock eines Siebzigerjahre-Betonbaus an der Schäftlarnstraße manchmal bis auf 40 Grad aufheizt.

Seit fast 40 Jahren wohnen die Hörmanns dort. Die Grillerei, erinnern sie sich, habe vor etwa 25 Jahren angefangen. Nach und nach bekam Roswitha Hörmann, zuvor kerngesund, Asthma und andere Atemwegsbeschwerden. Und sie ist sich sicher, dass die Grillfeuer die Ursache sind: "Das merke ich daran, dass ich im Winter gar nichts habe und im Sommer nur dann, wenn viel gegrillt wird."

Es ist ihr wichtig, dass sie nicht als die grantige Seniorin dasteht, die den anderen den Spaß verdirbt: "Ich gönn's ja den Leuten, dass sie grillen. Aber in diesen Massen - das geht nicht." Die 70-Jährige muss an ihre Gesundheit denken: Zu dieser Jahreszeit, sagt Hörmann, könne sie vormittags nichts erledigen, keine Termine wahrnehmen, weil sie die erste Hälfte des Tages mit Husten verbringe.

Ein Umzug kommt für sie trotzdem nicht in Frage: "Also, ich muss sagen, wir waren zuerst da!", stellt Hörmann empört fest. 1976 sind die Hörmanns an die Schäftlarnstraße gezogen, es ist eine Eigentumswohnung. Die Nähe zur Isar mit ihren begrünten Ufern, die Innenstadt nur ein paar U-Bahn-Haltestellen entfernt - sie hatten die Wohnung gekauft, um den Rest ihres Lebens darin zu verbringen. Die Hörmanns wollen nicht gehen; sie wollen, dass die Stadt ihnen hilft. Seit 25 Jahren versuchen sie, auf ihr Problem aufmerksam zu machen - in Bezirksausschüssen, mit Briefen ans Rathaus, einmal sogar in einer Bürgersprechstunde mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der habe gesagt, das Problem sei ihm zwar bekannt, von Verboten halte er aber nichts, erzählt Anton Hörmann resigniert.

Regeln und vor allem Personal, das deren Einhaltung überwacht, bräuchte es allerdings, wenn die Hörmanns ihren Willen bekommen sollten: stark eingeschränkte Grillzonen am Flaucher, ein Verbot, eigene Grills mitzubringen. Die Stadt solle einige stationäre Gasgrills aufbauen, sodass die Leute nur noch ihr Essen mitbringen müssten - oder am besten gleich Essensstände aufstellen, findet Roswitha Hörmann, der sich die Begeisterung für "das dreckige Zeug" vom Grill sowieso nicht ganz erschließen will.

Sie und ihr Mann jedenfalls beteiligen sich derzeit an der Unterschriftensammelaktion eines Harlachinger Bürgers, der die Entwicklung des Flaucher zur "Partyzone" rückgängig machen möchte. Die Hörmanns hoffen, dass sie und ihre Mitstreiter der Stadt vielleicht in diesem Jahr endlich klar machen können, dass am Flaucher etwas geschehen muss.

Wenn es stimmt, was in Roswitha Hörmanns Attest "zur Vorlage bei der Stadt München" steht, hängt nicht nur ihre Gesundheit davon ab. Hörmanns Ärztin, deren Praxis nur eine Straße weiter liegt, hat unter die Schilderungen von Roswitha Hörmanns Symptomen noch eine persönliche Anmerkung gesetzt: Zu ihr kämen seit Jahren immer mehr Patienten mit Atemwegsbeschwerden und Reizhusten - "besonders in den Sommermonaten, wenn die Grillsaison ihren Höhepunkt erreicht". Ein Zusammenhang mit dieser Rauchbelastung, schreibt die Medizinerin, könne angenommen werden.

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SZ vom 22.08.2015
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