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Landgericht München:Stalkerin war zu Unrecht in der Psychiatrie

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Von Iris Hilberth, Taufkirchen

Die Aufregung war groß, als bei einer Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl im September 2017 eine Frau in Taufkirchen plötzlich eine Pistole auf den CSU-Politiker Florian Hahn richtete. Wie sich später herausstellte, handelte es sich lediglich um eine historische Zierwaffe.

Die heute 51-Jährige wurde dennoch in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht, zunächst für ein halbes Jahr, von September an dann erneut. Zu Unrecht, wie das Landgericht München I jetzt entschied. In einem Beschluss hob es den Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts am Donnerstag wieder auf. Der Anwalt der Frau, David Schneider-Addae-Mensah aus Karlsruhe, spricht von einer "politisch motivierten Freiheitsberaubung".

Die Frau, der Ärzte und Gericht attestieren, psychisch krank zu sein, war bereits vor dem Vorfall in Taufkirchen bei verschiedenen Veranstaltungen aufgefallen. Insbesondere der CSU-Bundestagsabgeordnete Hahn fühlte sich von ihr gestalkt. Sie trat gezielt an Personen heran, von denen sie sich laut Gericht "krankheitsbedingt" verraten und betrogen wähnt, oder die sie bezichtigt, anderen Unrecht angetan zu haben. Auch nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie fiel die Frau auf, die im Landkreis München wohnt. Das Gericht spricht von verbalen Ausfällen. In einem Fall hatte sie eine Wasserpistole in der Handtasche. Diese Taten bewertet das Gericht jedoch allesamt als "straflose Lästigkeiten" oder "Bagatelldelikte".

Das gilt auch für die Bedrohung des Putzbrunner CSU-Abgeordneten Hahn mit der Zierwaffe. Die Waffe habe offensichtlich nicht für eine echte, funktionsfähige und damit potenziell lebensgefährliche Schusswaffe gehalten werden können, so die Richter. Die Tat könne daher nicht als "objektive ernst zu nehmende Bedrohung angesehen werden", selbst wenn der Bedrohte sich habe beeindrucken lassen. Das Gericht geht davon aus, dass die Frau nicht wirklich auf Hahn schießen wollte, sondern vordringlich das Ziel gehabt habe, mit ihm zu reden, "was bei einer Tötung gerade nicht mehr möglich wäre".

Für die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung sehen die Richter jedenfalls die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Bei der Verhängung einer solchen Maßregel, die wegen der zeitlich unbegrenzten Dauer massiv in die Freiheitsrechte des Betroffenen eingreife, müssten sich Gerichte allein an Recht und Gesetz orientieren.

Etwaige Wünsche, Hoffnungen oder Erwartungen von Zeugen, die sich belästigt fühlten, könnten kein Maßstab für gerichtliche Entscheidung sein. Das Gericht sieht auch keine Tendenz, dass es zu schwerwiegenderen Taten kommen könnte. Es verweist auf die Ärzte der forensischen Klinik, die laut einer Stellungnahme davon ausgehen, dass die Frau weder sich noch andere gefährdet. Ein Gutachter hatte sie dagegen noch im August als gefährlich eingeschätzt, woraufhin die Frau erneut in die Klinik gebracht worden war. Laut Gericht liegt dagegen "keine höhere Wahrscheinlichkeit für die Begehung erheblicher Straftaten" vor.

Der Verteidiger der 51-Jährigen ist mit dem Beschluss zufrieden: "Der Rechtsstaat hat über Populismus und wahnhafte Angst gesiegt", stellte der Karlsruher Anwalt David Schneider-Addae-Mensah am Donnerstag in einer Pressemitteilung fest. Für ihn bleibe dennoch ein bitterer Beigeschmack: "Ich bin überzeugt davon, dass meine Mandantin im September 2018 nur deshalb nochmals in die Psychiatrie gesperrt wurde, um den Politikern einen ungestörten Wahlkampf zu ermöglichen."

Der Anwalt fühlt sich an den Fall Mollath erinnert und spricht von "politisch motivierter Vorbeugehaft". Man habe eine politisch unliebsame Person, die man als störend empfinde, weggesperrt. Schneider-Addae-Mensah sieht in dem Vorgehen der Behörden "totalitäre Ansätze" und bezeichnet seine Mandatin als "politische Gefangene des Freistaats Bayern". Er werde seiner Mandantin daher empfehlen, gegen die betreffenden Personen und Institutionen rechtlich vorzugehen.

Weder die CSU noch Florian Hahn wollten sich am Donnerstag zu dem Beschluss äußern. Der Bundestagsabgeordnete führt an, er wolle zum Schutz seiner Privatsphäre keine Stellung nehmen.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2018
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